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Archiv-Artikel

„Es ist der Fleiß, der uns umbringt“

TAZ-SERIE MÜSSIGGANG (1) Der Buchautor und Coach Thomas Hohensee preist die Kunst der Faulheit. Sie ist für ihn ein Mittel zur Gesundung des gestressten Individuums. Und ein Ausweg aus der globalen Wachstumsfalle

Thomas Hohensee

■ 59, ist Buchautor, Coach für Persönlichkeitsentwicklung und Seminarleiter.

VON NINA APIN (INTERVIEW) UND ELÉONORE ROEDEL (ZEICHNUNG)

taz: Herr Hohensee, Sie geben in Ihren Büchern „Erfolgstipps für Faule“ oder singen das „Lob der Faulheit“. Was finden Sie so erstrebenswert daran, faul zu sein?

Thomas Hohensee: Einer muss ja das Lob der Faulheit singen. Hochgehalten wird immer der Fleiß. Aber ich finde, dass der kein Selbstwert ist. Es kommt ja darauf an, was man durch seine Aktivitäten erreicht. Für gute Ergebnisse braucht man Zeit zum Nachdenken. Das ist viel sinnvoller und effektiver als „fleißiger“ Aktionismus.

Ihre Faulheit ist also etwas Positives?

Unbedingt – im Sinne eines entspannten Handelns. Ich habe allerdings feststellen müssen, dass Faulheit in unserer Kultur so negativ besetzt ist, dass ich leicht missverstanden werde. Deshalb spreche ich meist lieber von Gelassenheit.

Im Christentum gilt Faulheit als eine der sieben Todsünden. Sie haben sich dem Buddhismus zugewandt – wird Faulheit da anders bewertet?

In unserem Kulturkreis gilt Faulheit als Laster, als eine Eigenschaft, die einem Menschen ausgetrieben werden muss, wenn er sie zeigt. Im buddhistischen Kulturkreis hat man offenbar nicht dieselbe Schwierigkeit damit, Faulheit ist kein großes Thema.

Würden Sie sich selbst als faul bezeichnen?

Ich hätte keine Probleme damit, als faul bezeichnet zu werden. Aber wahrscheinlich würden mich andere eher als fleißig ansehen. Ich habe eine Ausbildung zum Juristen durchlaufen, in diesem Beruf gearbeitet – ich weiß nicht, ob das schaffen kann, wer im engen Sinne faul ist. Ich habe irgendwann aber gemerkt, dass ich mit weniger Aufwand besser durchkomme. Seitdem wende ich das in meinem Alltag an. Ich nehme mir Ruhepausen, gehe zu Fuß durch die Stadt, hänge meinen Gedanken nach.

Sie bewegen sich immerhin an der frischen Luft …

Es gibt ja ganz viel zwischen der sprichwörtlichen Hängematte und dem Marathon. Ich bewege mich gerne, aber nicht mit sportlichem Ziel.

In unserer Leistungsgesellschaft erntet man mehr Anerkennung, wenn man einen Marathon läuft, als wenn man flaniert …

Der Marathon ist eigentlich völliger Irrsinn: Warum sollte ein gesunder Mensch 42 Kilometer laufen? Es mag ja für den Einzelnen vergnüglich sein, seine Grenzen auszuloten. Aber dass dieser Extremsport ein gesellschaftliches Großereignis wird, ist bemerkenswert. Wir neigen zu extremem Verhalten. Das Unauffällige, Gewöhnliche hat einen schlechten Ruf. Es zählen die Rekorde. Gleichzeitig bewegt sich die Masse der Menschen viel zu wenig. Fast könnte man meinen, dass ein paar zehntausend Leute stellvertretend für die Zuschauer laufen. Ein merkwürdiges Bewusstsein.

Wie wollen Sie das ändern?

Ich möchte das Bewusstsein schärfen für unterschätzte Dinge, wie die Faulheit. Oder die Vernunft. Ich wünsche mir mehr vernünftiges Handeln auf der Welt. Und mehr Faulheit statt blindem Aktionismus.

Ein Gegenentwurf zum Getriebensein der Leistungsgesellschaft? Oder nur eine Atempause im laufenden Betrieb?

Ich finde, dass es sich lohnen würde, einen ganz anderen Lebensstil zu entwickeln. Ich halte nichts davon, einen stressgeprägten Alltag durch zwei Meditationspausen zu unterbrechen. Das ist eine Aufteilung des Tages in zwei Segmente, die miteinander nicht viel zu tun haben. Auf der einen Seite der atemlose Stress – und die Meditation als Ausgleich, mit dem Ziel, noch besser in diesem Irrsinn zu funktionieren.

Yoga nach Feierabend, solche Tipps stehen nicht in Ihren Büchern?

Nein, das wäre nur ein Heftpflaster. Wir brauchen weniger Arbeit und mehr Muße und Selbstbestimmtheit. In meinem Buch „Lob der Faulheit“ erwähne ich das Ehepaar Helen und Scott Nearing, die an der amerikanischen Ostküste lebten. Sie zogen sich aufs Land zurück, arbeiteten täglich vier Stunden, sechs Tage die Woche, sechs Monate im Jahr. In der Zeit bauten sie Lebensmittel an, musizierten, ernteten Ahornsirup. Im Lauf ihres Lebens bauten sie drei wunderschöne Steinhäuser. Scott wurde 100, Helen 90. Und ich denke, das ist kein Zufall.

Inwiefern?

Die beiden widerlegen in meinen Augen die gängige These, dass wir in dieser Welt dauernd ums Überleben kämpfen müssen. Mit relativ wenig Aufwand kann man ein müßiges, vielfältiges Leben führen, mit Gartenarbeit und Produktion, Kultur, Reisen … Vielleicht nichts für jeden. Aber die Richtung stimmt. Ich bin überzeugt: Es gibt ein Leben abseits des ständigen Produzieren- und Konsumieren-Müssens. Wir alle haben die Zeit, die Seele baumeln und es uns gut gehen zu lassen. Und am besten ist es, wenn das Arbeiten und die Entspannung miteinander verschmelzen.

Sie haben irgendwann beschlossen, auszusteigen – warum?

Ich hätte gern als Jurist in Teilzeit gearbeitet, aber da begegneten mir unheimlich viele Vorurteile. Alle um mich herum arbeiteten 40 Stunden, mit meinem Wunsch stand ich im Verdacht, nicht leistungsfähig, krank oder irgendwie komisch zu sein. Diesen Schuh wollte ich mir nicht anziehen. Also stieg ich ganz aus und suchte mir einen Bereich, in dem ich nach meinen eigenen Wünschen arbeiten kann. Ich bin heute sehr produktiv, verspüre aber keinen Leistungsstress.

Ein Privileg – was raten Sie Menschen, die nicht so gut ausgebildet sind wie Sie?

Ich halte die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für dringend nötig, damit alle die Chance zu mehr Selbstbestimmung haben. Politisch werden leider aber die Möglichkeiten, ein müßiges Leben zu führen, systematisch beseitigt. Man möchte nicht, dass Leute Zeit haben, über Alternativen nachzudenken. Bereits in den Schulen herrscht Druck, es muss der Abschluss geschafft werden, dann der Numerus clausus, ein guter Abschluss …Wenn man einen guten Arbeitsplatz ergattert hat, kriegt man vielleicht schon mit 50 einen Tritt und ist draußen. Wenn ein Kind dazukommt oder eine Krankheit, wird es schon vorher schwierig. Wir haben im Moment ein System, das die Mehrheit der Menschen zu Verlierern macht.

Also sind Ihre Bücher eine Anstiftung zur Rebellion?

Durchaus: Wir müssen dringend umdenken. Die Zahlen zeigen, dass es eine Vollbeschäftigung nur noch auf der Basis von 10 oder 20 Stunden geben wird. Wir müssen fauler werden. Oder wir gehen unter. Die Erde erträgt diese irrsinnige Produktion und Ausbeutung der Rohstoffe nicht mehr. Bei uns kommen auf 1.000 Einwohner 500 Autos, in China sind es 12. Der von uns eingeschlagene Weg hat uns an einen Punkt gebracht, an dem das Überleben der Menschheit auf dem Spiel steht. Wir brauchen also einen Lebensstil, der bescheidener ist.

Bescheidenheit liegt auch nicht im Trend. Wie machen Sie das Ihrem Publikum schmackhaft?

Man muss sich nicht fürchten vor Veränderung: Es ist schön, Zeit zu haben, sich zu treffen und drei Stunden zu verplaudern.

taz-Serie Müßiggang

■ Die leisen und ruhigen Tage zwischen Weihnachten und dem ersten Arbeitstag im neuen Jahr – diesmal ist es der 5. Januar – sind Tage der Entschleunigung. Das ganze Land schaltet ein paar Gänge zurück, wird leiser. Die Tage sind erfüllt mit Völlerei, Wiederholungen im Fernsehen, dicken Wälzern, Ausschlafen, langen Spaziergängen … Die taz hat für die entspannten Tage „zwischen den Jahren“ die passenden Ausreden: In unserer Serie dreht sich ab heute alles um Müßiggang und Faulheit in den unterschiedlichsten Facetten – und warum das so gut und richtig wie wichtig ist!

Haben Sie einen Einstiegstipp: Wie fängt man an mit dem müßig-faulen Leben?

Wer das will, findet einen Weg. Man sollte nicht danach gehen, was man für möglich hält, sondern träumen und überlegen: Was ist mir wirklich wichtig, wo will ich hin? Worauf habe ich Lust? Wenn man das vor Augen hat, kann man in kleinen Schritten versuchen, sich darauf zuzubewegen. Zu mir als Coach kommen Menschen, die mit dem Stress nicht zurechtkommen. Ich erlebe in den Sitzungen immer wieder: Es gibt eine Lösung, einen Ausweg. Man darf sich nur nicht einschüchtern lassen.

Und die Sachzwänge? Die Miete, das Studium der Kinder, die Raten fürs Häuschen …

Vergessen Sie das! Die Frage ist nicht: Kann ich es mir leisten, etwas zu verändern? Sondern: Kann ich es mir leisten, einfach so weiterzumachen? Phänomene wie Burn-out und Depression häufen sich. Die Gesellschaft und die ganze Erde ächzen unter dieser Belastung. Vom Klimawandel bis zum Burn-out – die ganze Welt hat Stress. Das darf nicht so bleiben!

Wie viel arbeiten Sie eigentlich noch pro Woche?

Ich persönlich habe die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit aufgegeben. Ich folge dem Lustprinzip; 80 Prozent von dem, was ich tue, macht mir Spaß. Das ist mein Lohn dafür, mich aus der juristischen Arbeitswelt befreit und mich der rational-emotiven Verhaltenstherapie zugewandt zu haben. Das war nicht einfach, hat sich aber gelohnt.

Wäre es für Sie auch o. k., klassisch faul zu sein, also in den Tag hineinzuleben?

Für mich würde das nicht funktionieren, denn produktiv zu sein ist mir ein Anliegen. Und ich behaupte, den meisten Menschen geht es ähnlich. Wir müssen nicht zur Arbeit gezwungen werden, das ist ein negatives Arbeits- und Menschenbild. Es gibt natürlich auch eine Faulheit, die selbstschädigend ist. Wenn jemand gar nicht mehr auf die eigenen Bedürfnisse achtet. Die möchte ich natürlich nicht propagieren. Ich wähle die kleine Provokation über den Begriff „Faulheit“, um zu zeigen, dass in unserem Hochhalten des Fleißes und der Arbeit etwas Destruktives steckt. Dass Arbeit und Leistung per se etwas Gutes sind, wird von zu wenigen hinterfragt. Wir müssen uns auch fragen, ob in stigmatisierten Begriffen wie Faulheit und Müßiggang nicht auch Lösungen stecken können. Was würde passieren, wenn wir alle ein wenig fauler würden, wenn jeder nur noch 10 oder 20 Stunden arbeitet, wenn wir den Druck aus der Gesellschaft nähmen? Man könnte mit kleinen Experimenten beginnen und schauen, was passiert.

Was würde denn passieren?

Ich glaube, es würde keine Katastrophe passieren, sondern etwas Gutes. Wenn wir weitermachen wie bisher, dann droht die Katastrophe. Und die haben dann nicht die Faulen zu verantworten, sondern die Fleißigen. Ich habe das in meinem Buch anhand von Adenauer und Ole von Beust veranschaulicht. Adenauer war bis 87 Kanzler, der fing erst mit 72 an. Von Beust hat mit 55 aufgehört, weil er sagte, er sei „durchgenudelt“. Wie kann das sein? Adenauer hat im Kanzleramt eine Boccia-Bahn und ein Teehäuschen am Rhein anlegen lassen, er züchtete Rosen. Unsere Politiker brüsten sich damit, rund um die Uhr erreichbar zu sein. Mit diesem Irrsinn wird man keine 87, schon gar nicht als Kanzler. Darüber sollten Konservative, aber auch Gewerkschafter mal nachdenken: wohin uns dieser Arbeitsethos noch führt. Das Bewusstsein dafür wächst, es kann sich aber derzeit noch nicht durchsetzen.