: „Das ist Unsinn“
Das Land Bremen bekommt unter Rot-Grün ein Jugendstrafvollzugsgesetz, das in vielen Punkten auch den internationalen Mindeststandards widerspricht. Die Hoffnung der Experten ruht nun auf der neuen, jungen, weiblichen Anstaltsleitung
JOHANNES FEEST, 67, war bis 2005 Professor für Strafverfolgung, Strafvollzug, Strafrecht an der Uni Bremen. Er ist immer noch Leiter des ebenfalls an der Universität angesiedelten Strafvollzugsarchivs.
Interview Jan Zier
taz: Herr Feest, was spricht gegen das neue Jugendstrafvollzugsgesetz, das im Parlament mit Zustimmung auch der Opposition verabschiedet wurde?
Johannes Feest, Leiter des Strafvollzugsarchivs der Uni Bremen: Eine Reihe von Punkten, die auch gegen ähnlich lautende Entwürfe aus anderen Bundesländern sprechen.
Viele Fachleute sagen, dass das Bremische Gesetz nicht einmal die internationalen Mindeststandards erfüllt.
In einigen Punkten werden sie ganz offensichtlich nicht eingehalten, etwa wenn das Gesetz unausgesetzte Einzelhaft für Jugendliche ermöglicht – und zwar für einen unbegrenzten Zeitraum. Geradezu grotesk ist, dass Jugendliche in Bremen zwei Monate lang in Einzelhaft gehalten werden können, ohne dass die Aufsichtsbehörde davon erfährt. Das hat auch das Anti-Folter-Komitee des UN gerügt.
Ist das Gesetz sonst auch so repressiv?
Härtester Kritik aller namhaften Experten ist auch die so genannte „Mitwirkungspflicht“ ausgesetzt. Das ist nach allgemeiner Meinung Unsinn. Im Erwachsenenstrafvollzug heißt es: Die Gefangenen wirken an ihrer Behandlung mit. Ihre Bereitschaft dazu ist zu wecken und zu fördern. Das wird so interpretiert, dass keine Mitwirkungspflicht besteht. Aber bei Jugendlichen soll sie nun überall eingeführt werden. Diese Pflicht ist noch dazu sanktionsbewehrt. Da können Disziplinarmaßnahmen ergriffen, Lockerungen entzogen werden. Bremen macht da mit, wie alle anderen auch. Viele Bundesländer planen, diese Pflicht auch bei den Erwachsenen einzuführen.
Die Grünen wollten vor der Wahl einige Verschärfungen abmildern, konnten sich aber nicht durchsetzen. Im rot-grünen Koalitionsvertrag tauchen diese Punkte nicht weiter auf.
Der Rechtsausschuss hat vor der Wahl – unter Leitung der CDU-Hardlinerin Sibylle Winther – das Ansinnen der Grünen abgelehnt. Sie wollten unter anderem den offenen Vollzug zum Regelvollzug machen. Das ist abgelehnt worden. Trotzdem haben die Grünen dem Gesetz am Ende zugestimmt – weil sie keine Probleme mit ihrem künftigen Koalitionspartner haben wollten.
In den Verhandlungen mit der SPD konnten sich die Grünen aber offensichtlich auch nicht durchsetzen. Dabei tritt das Gesetz erst am 1. Januar in Kraft. Es wäre also noch Zeit.
Die Mitwirkungspflicht sollte gestrichen werden, die derzeit unbefristet mögliche Einzelhaft sollte zumindest eng befristet werden. Der Aufenthalt im Freien sollte auch bei besonderen Sicherungsmaßnahmen gewährleistet bleiben. Und der Wohngruppenvollzug ist zwar prinzipiell vorgesehen. Aber im Gesetz steht, dass „geeignete Gefangene in der Regel“ in Wohngruppen untergebracht werden sollen. Doch es ist nicht einzusehen, warum auch bei geeigneten Jugendlichen Ausnahmen zulässig sind. Außerdem müssten die Wohngruppen eine bestimmte Mindestausstattung bekommen, nicht mehr als 15 Gefangene aufweisen. Gerade in Bremen besteht die Gefahr, dass es 20 oder noch mehr werden. Das ist zu viel, wenn die Leute den eigenen Alltag ein Stück weit selbst mitbestimmen sollen.
Müsste nicht vor allem auch der offene Vollzug zur Regel gemacht werden?
Ja. Bei den Erwachsenen ist der offene Vollzug nach herrschender Meinung als Regel definiert. In der Praxis ist das Gegenteil eingetreten, ist der geschlossene Vollzug die Regel. Jugendliche sollen im Zweifelsfall immer in den offenen Vollzug. Das wäre vernünftig und sinnvoll. In Bremen hat man einen Kompromiss geschlossen, demzufolge die Gefangenen im offenen oder geschlossenen Vollzug untergebracht werden. Man hat es also einfach offen gelassen.
Und wie sieht die Praxis aus?
In Bremen ist schon seit längerer Zeit kein einziger Jugendlicher im offenen Vollzug, obwohl es dafür sechs Plätze gäbe. Das ist an sich schon sehr wenig. Und es ist doch merkwürdig, dass es in Bremen keinen einzigen Jugendlichen geben soll, der für den offenen Vollzug geeignet wäre. Aber da ändert auch das neue Gesetz nichts.
Aber SPD und CDU wollten doch gar nicht, dass Jugendliche in den offenen Vollzug kommen.
Ja, das ist erklärter politischer Wille. Das Problem ist aber nicht allein das Gesetz, sondern vor allem die Anstaltspraxis. Auch der befürchtete Wettbewerb der Schäbigkeit wird erst in der Praxis einsetzen.
Gibt es auch Vorbilder?
Ja, ausgerechnet Hessen hat beispielsweise in Sachen Einzelhaft eine akzeptable Regelung, als einziges Bundesland. Und in Bayern und Baden-Württemberg gibt es vorbildliche Jugendstrafanstalten.
Kann man gegen das bremische Gesetz klagen?
Nein. Ich sehe keine Ansatzpunkte etwa für eine Verfassungsbeschwerde. Und internationale Gerichte sind nicht zuständig. Aber Jugendliche klagen ohnehin kaum.
Sie haben also nicht, wie die Grünen, die Hoffnung, dass die Gerichte hier zu Hilfe eilen?
Nein. Aber sowohl die Justizvollzugsanstalt als auch die Jugendabteilung haben eine neue Leitung – zwei junge Frauen. Das lässt hoffen.