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Archiv-Artikel

Es geht ums Durchhalten

TRAURIGE ZEIT DER POSTDIKTATOREN Beim Theaterspektakel in Zürich startete die Tour zweier Stücke aus Tunesien und Ägypten, die von Diktatoren und Revolutionen erzählen

„Yahia Yaïch – Amnesia“ ist ein Stück über einen Diktator, der per Nachrichten von seiner Absetzung erfährt

VON HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Noch bevor die Vorstellung der ägyptischen Produktion „Lessons in Revolting“ beim Zürcher Theaterspektakel beginnt, bekommt der Zuschauer eine Wasserstandsmeldung vom demokratischen Fortschritt der Post-Mubarak-Zeit am Nil. Die Schauspieler Aly Sobhy und Omar Mustafa durften nicht mit auf Europatournee gehen. Der Grund: Beide haben den Militärdienst verweigert. Ali Sobhy hat außerdem seine Verhaftung und Folterung durch die Armee im März 2011 öffentlich gemacht.

Die Produktion der beiden Regisseure Laila Soliman (aus Kairo) und Ruud Gielens (aus Belgien), die im Juni und Juli in Kairo entstand, beginnt mit einer Rekapitulation der Aufstandstage bis zu Mubaraks Rücktritt am 11. Februar. Verwackelte Videoaufnahmen der Filmemacherin Aida El Kashef von Debatten unter Jugendlichen, von Straßenkämpfen und kreisenden Hubschraubern sind sind mit einer Datenleiste unterlegt. Dazu hat Karima Mansour für die sechs Performer eine Choreografie aus Flucht-, Wurf- und Abtastbewegungen entworfen. Der fade Realismus dieses Reenactments wirkt nicht erhellend, sondern eher als Konzession an die Koproduzenten zwischen Zürich, Rotterdam und Düsseldorf. Dann allerdings gewinnt die Aufführung einen wütend-aktionistischen Drive.

Der Titel „Lessons in Revolting“ sei nicht nur als Anleitung des Revoltierens, sondern auch des Ekels und Kotzens gemeint, sagt die zurückhaltende ägyptische Regisseurin Laila Soliman. Sie hat das Stück kollektiv mit befreundeten Künstlern wie Ruud Gielens, Karima Mansour, Aida El Kashef oder dem Musiker Mustafa Said erarbeitet. Die Tage bis zu Mubaraks Sturz interessieren sie eigentlich gar nicht mehr, ihr geht es um die Fortsetzung des Aufstands: „Wir müssten andere Wege finden, um weiterzukämpfen.“ Zugleich soll das Stück zu einer „alternativen Geschichtsschreibung“ beitragen, die die Rolle der Armee hinterfragt.

Die Armee, einst vergöttert

Zu elektronisch verfremdeten Oudklängen werden zwei drastische Gedichte aus der Zeit der Studentenbewegung und der Kriege gegen Israel (zwischen 1967 und 1973) den Berichten von Ali Sobhys Folterung durch die Armee und von einer Demo im April 2011 gegenübergestellt. In der Überlagerung changiert das Bild der Armee zwischen der Vergötterung nach dem Sinai-Krieg und den aktuellen Folterungen sowie der vermeintlichen Neutralität beim Aufstand.

Die Performer schleudern Fragen ins Publikum. Die wütende Gedichtzeile „Warum kämpft ihr nicht!“ der Studenten von 67 wird plötzlich zur aktuellen Aufforderung an die Demonstranten von heute. Das funktioniert in Zürich nur teilweise; trotz englischer Übertitel lässt sich vieles erst im Gespräch mit Laila Soliman entschlüsseln. Die Regisseurin wiederum ist sauer, weil der sehr ausführliche ägyptische Programmzettel nicht ins Deutsche übersetzt wurde.

Mit seinem Medien- und Stilmix kommt „Lessons in Revolting“ so heterogen daher wie das führerlose Aufstands-Patchwork der ägyptischen Revolution. Beglaubigt wird der Abend durch die emotionale Wucht, für die die Performer persönlich einstehen. Das Ende ist dann Agitprop: Ein Revolutionssong zu Geräuschsounds und eine bis zur Erschöpfung durchexerzierte Choreografie der Arme: Es geht ums Durchhalten.

Wie kann das Theater trotz seiner behäbigen Produktionsrhythmen mit der Politik Schritt halten? Das war die Frage, die neben den ägyptischen Lektionen eine weitere arabische Produktion in Zürich und kurz darauf auch in Berlin, im Haus der Festspiele, stellte. Im Februar 2010 brachten der Regisseur Fadhel Jaïbi und die Autorin Jalila Baccar in Tunis das prophetische „Yahia Yaïch – Amnesia“ heraus. Ein Stück über einen Diktator (Ramzi Azaiez), der per Nachrichten von seiner Absetzung erfährt, bei der Flucht verhaftet und in eine Klinik gesperrt wird, um ihn völligem Vergessen anheim fallen zu lassen. Eine zunächst groteske Story, die Jaibi von elf schwarz-weiß gekleideten Darstellern als Mischung aus Bewegungstheater mit kurzen Textpassagen ausagieren lässt. Da wird der Hofstaat von wildem Schusstremolo herumgeworfen, die Träume des Minutenschlafs verführen ihn zu wilden Fratzen und Gesten. Würde sich das Stück auf die Vorhersage vom Sturz Ben Alis beschränken, hätte es heute allenfalls historischen Wert. Der Abend wird jedoch aus der Perspektive des Diktators erzählt. Und obwohl der Terror in all seinen Facetten aufscheint, kann man sich dem Mitleid kaum entziehen.

Raffgier als Antrieb

Zugleich entwirft der 66-jährige Jaïbi ein ambivalentes Bild der Postdiktatur mit unterwürfig-selbstgerechten Ärzten, Journalisten, die wie Fliegen surren, aber auch einem Putzfrauenchor, der auf Plastiktonnen zwischen Lob und harscher Kritik des alten Systems schwankt.

Trotzdem: Raffgier, Opportunismus, Selbstrechtfertigung, das sind die beherrschenden Triebfedern der neuen Gesellschaft. Am Ende entpuppt sich alles als Diktatoren-Alb, die Realität kehrt in Form von Maschinengewehrfeuer zurück. Dass diese Produktion die Zensur passiert hat, erscheint im Nachhinein wie ein Wunder. So treffend Fadhel Jaïbi den Sturz Ben Alis vorausgesagt hat, es wäre der tunesischen Gesellschaft zu wünschen, dass sein zweiter Befund nicht Wirklichkeit wird.

■ „Lessons in Revolting“ gastiert am 7. und 8. Oktober im Forum Freies Theater in Düsseldorf