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Archiv-Artikel

Der hochaktive Blutsauger

Biodiversität steht wieder auf der Agenda der Politik. Aber muss wirklich jede Art überleben? Es gibt Kreaturen, die die Welt nicht braucht. Zum Beispiel die Zecke

TAZ-SERIE, TEIL 4

Im September will Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) seine nationale Biodiversitätsstrategie vorstellen. Und im Mai 2008 streiten in Bonn 5.000 Politiker auf einer Konferenz der Vereinten Nationen, wie Tiere und Pflanzen geschützt werden können. Denn in den nächsten 100 Jahren werden 30 bis 50 Prozent aller Arten ausgestorben sein. Trotzdem mal ehrlich: Ethisch und politisch mag das ja alles korrekt sein. Aber es gibt doch auch Arten, die gern verschwinden dürften, zumindest aus unserer Nähe. In der Serie „Kreaturen, die die Welt nicht braucht“ macht die taz der Evolution ein paar Vorschläge.

BERLIN taz ■ Zuerst tastet er sorgfältig die Haut ab, sucht sich eine geeignete Stelle und reißt mit seinen scharfen Zähnen ein Loch. Dorthinein schiebt er sein Mundwerkzeug, das mit etlichen Widerhaken besetzt ist. So verankert, kann das Vergnügen beginnen: Blut saugen, tagelang. Das Thema sind nicht Vampire, es ist die bekannteste Zeckenart Europas, der Gemeine Holzbock. Ein Parasit, der zur Klasse der Spinnentiere und zur Familie der Milben gehört. Und der Name ist Programm.

Das Leben des Holzbocks besteht zu 99 Prozent aus Warten und Lauern. In Büschen oder auf Grashalmen sitzend, scannt er die Umgebung und hofft, dass eine unwissende Person in kurzen Hosen vorbeikommt. Dann lässt er sich fallen, krallt sich fest und krabbelt los: dorthin, wo die Haut des Wirts warm, feucht und gemütlich ist. Deshalb finden sich die ungeliebten Begleiter gerne in den Kniekehlen, der Leistengegend, am Haaransatz oder hinter den Ohren der Opfer.

Unglücklicherweise besitzt der Ixodes ricinus auch noch einen großen Trumpf: das Haller’sche Organ. Es ist vergleichbar mit unserer Nase und sitzt ganz unten am vordersten Beinpaar. Mit ihm erkennt er alle Spuren, die einen potenziellen Nahrungskandidaten ankündigen – egal ob Kohlenstoffdioxid und Stickstoff aus dem Atem, Ammoniakspuren aus dem Urin oder Butter- und Milchsäure aus dem Schweiß. Auch geringste Temperaturerhöhungen und Vibrationen bleiben dem Holzbock nicht verborgen.

Und dass wir ihm unser Blut geben, ist nicht alles: Zum Dank bekommen wir Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Borreliose, Babesiose oder Hasenpest. FSME ist eine unheilbare Viruserkrankung mit grippeähnlichen Symptomen und Fieber, die oftmals mit einer Entzündung der Hirnhäute verläuft. Bei der Lyme-Borreliose handelt es sich um eine Infektionskrankheit, die durch Borrelia burgdorferi ausgelöst wird, einem Erreger, der im Darm der Zecke lebt. Wird er übertragen, gelangt er über den Blutkreislauf in den gesamten Organismus und befällt jedes Organ, das Nervensystem, die Gelenke und das Gewebe.

Die Zecke taucht vor allem im Süden und der Mitte Deutschlands auf. Derzeit weist das Robert-Koch-Institut 129 Risikogebiete aus – 33 mehr als 2006. Davon befinden sich rund 70 in Bayern, 40 in Baden-Württemberg, in Hessen und Thüringen knappe zehn, hinzu kommt ein Landkreis in Rheinland-Pfalz. Und der Begriff Risiko ist ernst zu nehmen: Durch den milden Winter und das feuchtwarme Wetter sind die Zecken aktiver denn je und damit auch eine ganzjährige Bedrohung.

Deshalb haben jetzt auch Wissenschaftler der Universität Hohenheim entschieden: Der Holzbock muss weg. Mit Schimmelpilzen wollen sie die Zeckenpopulation radikal verringern. Bisher ist es ihnen gelungen, zumindest die Larven des Spinnentieres mit den Pilzsporen zu töten. Ziel des Projekts ist es, auch erwachsene Holzböcke zu infizieren – damit wir endlich unbefangen und barfuß durch Wiesen und Wälder stromern können.

JULIA LANGENSIEPEN