: Dampf aus den Ohren des Chinesen
FILMFEST Von Anfang an war das Festival Asian Hot Shots von unbändigem Enthusiasmus getragen. Auch wenn die Finanzlage dieses Jahr schwierig wurde, ist es großartig, welche Filme aus Indonesien, Indien usw. zu sehen sind
VON LUKAS FOERSTER
„Ich werde dich nicht foltern – ich werde nur tanzen!“, droht Madame X und beginnt, dem Bösewicht Tarjo, der Provinzmädchen mit falschen Versprechen als „migrant workers“ anwirbt und anschließend als Sklavinnen verkauft, einen rabiaten Lapdance zu verabreichen. Madame X ist ein indonesischer Dragqueen-Superheld, gekleidet in ein enges schwarzes Lederkostüm und unterwegs mit einem klaren Auftrag: dem Kampf gegen alle Formen von Intoleranz und Ungerechtigkeit. Zumindest hat er diesen Auftrag am Ende des Films.
Zu Beginn heißt Madame X noch Adam und arbeitet in einem kleinen Frisiersalon. Als eine homophobe Schlägertruppe die schwule Diskothek, in der sich Adam nachts ein wenig dazuverdient, aufmischt, verändert sich sein Leben. Nach einer kleinen Odyssee landet er in einer klandestinen Tanzschule und setzt sich fortan mithilfe von Lenggok-Rhythmen und eines lesbischen Sidekicks gegen die „National Morality Front“ und Designerburkas tragende Popstars zur Wehr.
Die queere Superheldensaga „Madame X“, eine Wundertüte von einem Film, die neben jeder Menge eindeutiger politischer Statements, knallbunter Spezialeffekte und ziemlich unglaublicher Kostümierung auch genaue Alltagsbeobachtungen enthält, stammt aus Indonesien. Selbst in der Kinostadt Berlin hat man nicht allzu oft die Gelegenheit, einen Film aus dem der Einwohnerzahl nach viertgrößten Land der Welt auf der Leinwand zu sehen. Umso wichtiger ist das Asian Hot Shots Festival, das ab Freitag zum vierten Mal im Moviemento in Kreuzberg stattfindet. Das Festival hat sich dem jungen, unabhängigen asiatischen Kino verschrieben, insbesondere liegt ihm die seit Jahren aufblühende Filmszenen Südostasiens am Herzen.
Von Anfang an war das Asian Hot Shots eine Veranstaltung, die eher von unbändigem Enthusiasmus als von satten Budgets getragen wurde. Da die Finanzlage dieses Jahr noch schwieriger war als sonst, sahen sich die drei Organisatorinnen gezwungen, in das sogenannte Crowdfunding einzusteigen.
Spendenaufruf im Internet
Tatsächlich gelang es mithilfe eines Spendenaufrufs im Internet, die nötigen Ressourcen für die neue Ausgabe aufzutreiben. Es bleibt zu hoffen, dass die Finanzierung in Zukunft wieder auf konventionellem Weg gelingt. Den öffentlichen Förderstellen der Stadt Berlin stünde es gut an, außergewöhnliche – und bewährte – Projekte wie das Asian Hot Shots am Leben zu erhalten.
Etwas geschrumpft ist der Programmumfang, das hat auch seine Vorteile: Die einzelnen Filme werden stärker konturiert. Ein Kleinod wie das fein- und eigensinnige chinesische Erzählexperiment „Thomas Mao“ zum Beispiel würde in einem umfangreicheren Programm nur zu leicht untergehen. Da streitet sich am Anfang ein europäischer Tourist mit dem Betreiber einer kleinen Provinzpension: Im Schlafzimmer haben Ziegen übernachtet, der Hund lärmt, das Essen schmeckt nicht. Schnell schleichen sich erste Irritationen ein in diesen Kulturkampf. Aus dem Nichts taucht ein Schmetterling auf, aus den Ohren des Chinesen tritt Dampf aus, der Europäer beobachtet aus dem Augenwinkel bunt gekleidete, reitende Krieger. Bald ist nichts mehr, wie es einmal war und die einfache Dichotomie Europa/Asien implodiert.
Die schöne indische Dokumentation „Videokaaran“ ist ein Film über das Leben nach dem Kino. Gleich in zweifacher Hinsicht: Die Ticketpreise der Multiplexe sind für die Bewohner der Armenviertel Mumbays längst unbezahlbar geworden; und auch eine lokale Alternative existiert nicht mehr, seitdem die Polizei einen „Videoladen“, in dem seit den frühen Achtzigern kostengünstig VHS- und später DVD-Vorführungen von Filmen aller Art – indische und amerikanische Blockbuster, aber auch Prügelfilme aus Hongkong und Thailand – organisiert wurden, geschlossen hat. Im Zentrum des Films steht Sagai, der letzte Betreiber des Ladens. Vergessen ist das Kino nicht. Sagai und seine Freunde erzählen in einem Fluss aus der Vergangenheit, über ihre Kämpfe mit der Polizei, über eine legendäre Vorführung von Mel Gibsons „The Passion of the Christ“ und dass sie den südindischen Filmstar Rajinikanth bewundern.
Ein objektiver Chronist ist der enthusiastische Sagai sicher nicht. Wurden in den Mumbayer Slums tatsächlich Arnold-Schwarzenegger-Filme mit dazwischengeschnittenen Pornoszenen vorgeführt? Man kann es glauben oder auch nicht, man hat nur Sagais Wort. Die Bilder sind erloschen, „Videokaaran“ überführt Filmgeschichte wieder in oral history.
■ 4. Asian Hot Shots Festival, 9.–11. September im Moviemento