: Die Exportschlager
MUSIK Lee Soo-man hat Südkoreas Popmusik mit den Methoden der industriellen Massenfertigung zum Hit für ganz Asien gemacht
AUS SEOUL FABIAN KRETSCHMER
Wäre Lee Soo-man ein paar Jahre später geboren, dann würde der 61-Jährige heute vermutlich in Südkorea ganze Stadien füllen. In den 1980ern schien seine Karriere als Musiker äußerst vielversprechend. Doch das autokratische Militärregime setzte seinem Traum von der ersten Heavy Metal Band Südkoreas ein jähes Ende. Resigniert zog Lee nach Kalifornien, stürzte sich in sein Ingenieurstudium.
Dann aber sah Lee Soo-man im Fernsehen, wie ein noch unbekannter Sender namens MTV die Unterhaltungsbranche revolutionierte, und auch in Südkorea befreite sich das Volk damals in den ersten demokratischen Wahlen von seinen totalitären Herrschern. Kurzerhand beschloss Lee zurückzukehren, in seine Heimat und zur Musik. Mit seinem Label S. M. lieferte er die Blaupause für das, was heute, 20 Jahre später, das Image seines Heimatlandes auf den Kopf stellt. Dank K-Pop erhebt sich das emsige Samsung-Volk zum Königreich der Coolness.
Koreanische Bands touren von Manila bis nach Beijing, die Telenovelas des Tigerstaats laufen im irakischen und usbekischen Vorabendprogramm. Seit 15 Jahren flutet die koreanische Welle weite Teile Asiens. Begründet wurde der Hype vor allem durch die Musik. K-Pop erzählt mit jeder Note die Geschichte vom Wunder am Han-Fluss: wie sich ein Land auf seine eigenen Stärken besinnt, seine begrenzten Ressourcen ultraeffizient einsetzt und dank eiserner Disziplin an der ausländischen Konkurrenz vorbeizieht.
Lee Soo-man ist der Prototyp dieser Erfolgsgeschichte. Statt etablierte Musiker unter Vertrag zu nehmen, baute er sie selber auf. Bis zu sieben Jahre lang werden seine Sänger im 2.500 Quadratmeter großen Trainingszentrum des Labels S. M. ausgebildet. 12-Stunden-Schichten sind das Minimum, freie Sonntage die Ausnahme. Gesang steht auf dem Programm, Tanz- und Modelunterricht, aber auch Fremdsprachenkurse, Interviewtrainings und exzessive Schönheitsoperationen. Über 300.000 Heranwachsende aus neun Ländern bewerben sich jedes Jahr.
Am Ende laufen perfekte Unterhaltungsmaschinen vom Fließband. Girl’s Generation heißen sie, Big Bang oder T-ara. Der Pop Südkoreas besteht aus zuckersüßen Plastik-Beats, eingängigen Refrains und einem starken Fokus auf die visuelle Verpackung. Deshalb kommt die Musik auch bestens ohne CDs aus. Das Medium der Stunde ist das Smartphone. Im Land der schnellsten Breitbandanschlüsse der Welt haben bereits 2006 die digitalen Erlöse die der physischen Tonträger überholt.
Der Schlüssel zum Siegeszug von K-Pop liegt keinesfalls im Koreanischen an der Musik, sondern – ganz im Gegenteil – darin, dass sie überhaupt nicht mehr zu verorten ist. Songwriter werden aus Schweden engagiert, Beats von australischen Produzenten geschickt, und die Sänger sprechen je nach anvisierter Zielgruppe Japanisch, Chinesisch oder Englisch. „Koreaner haben ständig das Gefühl, dass ihr Markt zu klein ist und sie exportieren müssen, um zu überleben. Deshalb haben alle musikalischen Größen der Branche von Anfang an nach Übersee geschielt“, sagt Mark James Russell über die Anfänge des K-Pop.
Der US-Autor hat bereits zwei Bücher über die Popmusik seiner Wahlheimat verfasst. Seit zehn Jahren wird er nun schon regelmäßig von Journalisten gefragt, wann denn endlich der K-Pop-Hype seinen Zenit erreicht habe. Letztlich wachse die Branche seither nur noch rasanter, sagt Russell. „Mittlerweile habe ich es aufgegeben, Prognosen über den Niedergang von K-Pop abzugeben.“
Allein 2012 erzielte Südkoreas Musikindustrie Gewinne über 5 Milliarden Dollar, vorrangig auf ausländischen Märkten. K-Pop entwickelte sich nicht zufällig im Zuge der Asienkrise, die die Wirtschaft des Landes tief erschütterte. Nach Computerchips und Billigautos wurde gezielt ein neues Geschäftsmodell erschlossen: der Kulturexport. K-Pop hat Südkorea zudem ein neues Image verpasst. In einer Umfrage der koreanischen Handelskammer vom Vorjahr gaben mehr als die Hälfte aller 300 befragten Unternehmen an, dass die koreanische Welle erheblich zum Anstieg ihres Exportgeschäfts beitrug. Mit ihren Saubermann-Images eignen sich K-Pop-Bands zudem ganz hervorragend für Werbedeals.
„Viele Leute auf der Welt sehnen sich nach Popmusik, die weniger zynisch und kantig ist. Westlicher Pop ist sehr sexualisiert und rau“, sagt Autor Russell. K-Pop hingegen besteche vor allem durch seine biedere Unbeschwertheit. Tatsächlich wird das Subversive, das westlichen Pop ausmacht, bei K-Pop vollständig ausgeklammert.
Eine Ausnahme bildet da der Sänger Psy, der in seinem ikonischen „Gangnam-Style“ die Statusbesessenheit seiner Heimat persifliert. Anfang Dezember erreichte sein Video die Marke von 2,1 Milliarden Klicks auf Youtube.