: „Chor der Geflüchteten“ darf nicht singen
KULTURPOLITIK Die Polit-Performer „Schwabinggrad Ballett“ verschwanden plötzlich von der Förderliste des Hauptstadtkulturfonds. Nur eine Kommunikationspanne oder doch am Ende eine politische Entscheidung?
VON NINA APIN
Eigentlich war es nur ein Kommunikationsfehler, wie er mal vorkommen kann in einer Pressestelle: Am 18. 12. verschickte die Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten eine Pressemitteilung, auf der die vom Hauptstadtkulturfonds (HKF) geförderten Projekte für das Jahr 2015 aufgelistet waren. Dummerweise gelangte die Liste zu früh an die Öffentlichkeit: Die sechsköpfige Fachjury hatte ihre Entscheidung getroffen, die Absegnung durch das politische Kontrollgremium, den Gemeinsamen Ausschuss, stand aber noch aus. Und prompt hatte der Ausschuss eine andere Meinung und strich eines der Projekte wieder von der Förderungsliste. Jetzt ist die Aufregung groß: Warum bekommt die Performance-Truppe Schwabinggrad Ballett jetzt doch keine 60.000 Euro dafür, mit Flüchtlingsaktivisten zusammen „Chöre der Angekommenen“ im Stadtraum anzustimmen? War das eine politische Entscheidung – ist ein Projekt mit Lampedusa-Flüchtlingen zu brisant, um als Aushängeschild der Hauptstadtkultur durchzugehen?
„Wir haben noch immer keine genauen Informationen erhalten“, sagt ein Mitglied der in Berlin und Hamburg agierenden Performance-Truppe, die den Antrag gemeinsam mit dem Hebbel am Ufer (HAU) gestellt hatte. Einen Tag nachdem man vom HAU zur Projektförderung beglückwünscht worden war, sei die Pressemitteilung im Internet ausgetauscht gewesen. „Dieselbe Liste – nur ohne das Schwabinggrad Ballett“. Eine Begründung vom HKF gab es nie.
Das ist allerdings auch nicht üblich. Das Bund-Länder-Gremium, das über knapp 10 Millionen Euro jährlich für die Förderung der Hauptstadtkultur entscheidet, begründet seine Beschlüsse nicht einzeln. Dass sich die Fachjury und der Politikausschuss unter Vorsitz des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) nicht ganz einig sind, kam in der Vergangenheit allerdings öfter vor. Immer mal wieder hob der Ausschuss, dem auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Kulturstaatssekretär Tim Renner angehören, Jury-Entscheidungen auf – oder erhöhte nachträglich festgesetzte Zuwendungen. Zweimal reichte das gentrifizierungskritische Bündnis „Kotti & Co.“ bereits einen Antrag zu Stadtplanungsfragen ein, der vom Ausschuss am Ende gekippt wurde. Angeblich, so erzählt man sich, um Investoren nicht zu erschrecken.
Was am Fall des Schwabinggrad Balletts jetzt besonders aufhorchen lässt, ist die politische Lage, vor der die Ablehnung des Flüchtlingschors getroffen wurde: Rechtspopulistische Aktionen gegen Flüchtlinge häufen sich. Und gab es nicht erst massive Kritik an der HKF-Förderung des Zentrums für Politische Schönheit, das zum Mauerfalljubiläum Kreuze von Mauertoten aus Berlin an die EU-Außengrenzen entführte, um auf die Flüchtlingspolitik aufmerksam zu machen? Mit 100.000 Euro hatte der HKF die umstrittene Aktion unterstützt – im genehmigten Antrag stand allerdings nichts von Störung der Totenruhe und dem Aufbrechen von Frontex-Stacheldraht mit Kneifzangen.
Der Kulturjournalist Tobi Müller, der Jury-Mitglied ist, hält wenig von Spekulationen über politische Rücksichtnahmen. Die Aktion mit den Mauerkreuzen sei trotz der Kontroversen im Fonds auch nachträglich positiv besprochen worden, immerhin habe das Projekt relevante Debatten angestoßen. „Ich glaube nicht, dass Ängstlichkeit dazu geführt hat, das Schwabinggrad Ballett doch nicht zu fördern.“
Die Jury war dafür
Der Gemeinsame Ausschuss sei im Allgemeinen durchaus liberal. Dafür, dass sich in Jury und Ausschuss Kulturakteure und Politiker gegenüberstünden, gebe es nur selten Dissens. Sauer ist Müller trotzdem. Denn auch in der zweiten, korrigierten Pressemitteilung stand noch der Satz: „Der Gemeinsame Ausschuss ist den Empfehlungen der Jury gefolgt“. Davon, so Müller, könne beim Schwabinggrad Ballett keine Rede sein. Die Jury habe das Projekt für gut befunden. Zusammen mit dem Journalisten Frank Weigand hat Müller einen Beschwerdebrief an HKF-Leiter Joachim Sartorius geschrieben. Er fordert eine Offenlegung, wie es zur Entscheidung kam.
Nüchtern betrachtet ist es kein großes Wunder, dass der Antrag des Schwabinggrad Balletts im Abgeordnetenhaus nicht durchgegangen ist: Die Antragsteller beschrieben ihr Vorhaben ganz unverblümt als „eine Performance-Serie, die den öffentlichen Raum mit dem Theater verbindet sowie eine Zusammenarbeit des Schwabinggrad Balletts mit Aktivisten der Lampedusa Gruppen aus Berlin und Hamburg“. Zehn Lampedusa-Aktivisten sollten zusammen mit Theaterleuten an flüchtlingsrelevanten Orten in der Stadt auftreten – darunter in der Gerhart-Hauptmann-Schule und auf dem Oranienplatz. Kein Ballett im engeren Sinne, sondern eine „Verschmelzung von künstlerischer und politischer Praxis“.
Keine Diplomatie
„Es gehört zu unserem Selbstverständnis, nicht diplomatisch vorzugehen“, heißt es dazu beim Schwabinggrad Ballett. Man habe den Antrag absichtlich politisch formuliert, auf die Gefahr, abgelehnt zu werden. Dass man die Schule und den Platz nicht als Ort der Flüchtlingskämpfe wiederbelebt sehen will, wäre aus Sicht der verantwortlichen Kulturpolitiker tatsächlich ein Grund, ein solches Projekt abzulehnen. Ein anderer wäre der rechtlich unsichere Status von Lampedusa-Flüchtlingen. Unter der Hand heißt es, dass es genau diese Bedenken waren, die den Gemeinsamen Ausschuss bewogen, die „Chöre der Angekommenen“ von der Liste zu streichen.
Aus der Kulturverwaltung, die durch ihr fehlgeleitetes Fax das Gezerre hinter den Kulissen überhaupt erst sichtbar gemacht hatte, hieß es am Dienstag, man bedaure den Irrtum: „Der Hauptstadtkulturfonds arbeitet derzeit an einer Neustrukturierung der Entscheidungsabläufe, um solche Irrtümer künftig zu vermeiden“. Die Jury und die Antragsteller seien allerdings „wie immer“ am Tag nach der Sitzung über die getroffenen Entscheidungen, also auch über die Nichtförderung des Projekts „Schwabinggrad Ballett“, informiert worden.