piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ohne Arbeit geht der Mensch zugrunde“

Der Philosoph Frithjof Bergmann ist einer von 100 Referenten, die auf dem heute Nacht beginnenden Festival-Camp 9to5 im Radialsystem über neue Arbeitsformen nachdenken. Mit lokal produzierten Elektroautos und Kühlschränken will er ökonomische Verhältnisse umkrempeln, hier und in Südafrika

FRITHJOF BERGMANN

Frithjof Bergmann, 1944 in Sachsen geboren, verbrachte seine Kindheit in Österreich. Als 19-Jähriger gewann er mit einem Aufsatz zur „Welt, in der wir leben wollen“, ein Studienjahr in Oregon und blieb in Amerika. Dort schlug er sich als Preisboxer und Hafenarbeiter durch und lebte als Einsiedler in den Wäldern von New Hampshire, bevor er in Princeton Philosophie studierte. Seit 1978 hat er einen Lehrstuhl für Philosophie an der University of Michigan Ann Arbor inne. 1984 gründet er zusammen mit General Motors das erste Zentrum für Neue Arbeit in der Automobilstadt Flint in Michigan. Die New-Work-Bewegung will durch intelligente Nutzung von Hightech ein funktionierendes Gegenmodell zum Kapitalismus entwickeln und unterhält Zentren in vielen Ländern der Welt. Bergmann berät aktuell die Regierung von Südafrika, wo er die Idee der neuen Arbeit umsetzen will. Auf dem Festival-Camp 9to5 im Radialsystem wird er Samstagnacht um 21 Uhr einen Vortrag halten.

FOTO: ROBERT URANITSCH

INTERVIEW NINA APIN

taz: Herr Bergmann, Sie forschen seit 1984 zur Möglichkeit einer neuen Arbeit. Was läuft falsch in unserer Arbeitswelt? Frithjof Bergmann: Arbeit, wie wir sie kennen, macht krank und unglücklich. Unwürdige Niedriglohnjobs, 50-Stunden-Wochen, Karrieredruck: Die meisten Menschen erleben Arbeit wie eine milde Krankheit: „Es ist Mittwoch, zwei Tage halte ich noch aus, dann ist es vorbei“. Gleichzeitig leben 70 bis 80 Prozent der Weltbevölkerung in fürchterlicher Armut. Es ist offensichtlich, dass wir so nicht weitermachen können. Wir brauchen eine neue Kultur der Arbeit.

Wie könnte die aussehen?

In Zukunft könnte es drei Arten von Arbeit geben: Man produziert gemeinschaftlich Güter wie Kühlschränke, Treibstoff und Autos für den lokalen Bedarf. Das sind etwa sechs Wochenstunden für jeden. Daneben leistet man zehn Stunden traditionelle Lohnarbeit in einem Unternehmen, denn ohne Bargeld geht es nicht. Die restliche Zeit ist für sinnvolle, selbst gewählte Arbeit reserviert, die einen persönlich als Mensch weiterbringt.

Mit nur 16 Wochenstunden Arbeit das tägliche Brot verdienen, das klingt zu schön, um wahr zu sein …

Es ist aber praktikabel: Das Zentrum für Neue Arbeit an der Universität in Michigan entwickelt gerade erfolgreich mit der südafrikanischen Regierung das erste Elektroauto, das nicht in Fabriken für den globalen Massenmarkt produziert wird, sondern in kleinen, lokalen Hyper-Hightech-Hallen. Die dezentrale Fertigung wird die zentrale Massenproduktion ablösen.

Wollen Sie die Globalisierung rückgängig machen?

Sehen Sie, ich begann meine Forschung in Flint, einem aufgegebenen Autoproduktionsstandort in Michigan. Ich bereiste Länder wie Haiti, Indonesien und Südafrika. Ich erkannte: Der globale Standortwettbewerb führt zu nichts, Wirtschaftswachstum ist kein Rezept gegen Armut und Arbeitslosigkeit. Wir müssen umdenken. In vielen Ländern beginnt man das zu erkennen, darum werde ich eingeladen, um Regierungen zu beraten.

Auch in Deutschland erhofft man sich wichtige Impulse von Ihnen. Wie könnte neue Arbeit für Berlin aussehen?

In Berlin und Brandenburg wollen wir Hallen einrichten, die nach dem Prinzip von Stadtteilzentren funktionieren. Sie sollen Orte zum Treffen und Tanzen sein. Für Kinder und Alte, mit Gewächshäusern. Der Kernpunkt aber sind die Werkstätten, wo unter vielem anderen auch Elektroautos produziert werden. Das brandenburgische Wirtschaftsministerium ist an der Idee sehr interessiert.

Brandenburg mit Hightech zu retten, daran sind schon andere gescheitert.

Es geht weniger um das Produkt Auto als um lokale Entwicklung und Umweltschutz. Vor allem aber geht es darum, Menschen eine Perspektive zu geben. Eine zweite Ökonomie für all die aufzubauen, denen es jetzt schlecht geht. Das sind nicht nur die Arbeitslosen, sondern Kellner im Fast-Food-Restaurant, Supermarktkräfte, Menschen, die in Hotels die Betten machen und unter der Sinnlosigkeit ihrer Jobs leiden.

Aber vielleicht arbeiten manche gerne im Supermarkt. Bestimmen Sie, was gute und was schlechte Arbeit ist?

Nein, jeder Mensch soll für sich selbst herausfinden, was für ihn gute Arbeit ist. Wir helfen ihm nur dabei zu erkennen, was er wirklich will. Das kann ein jahrelanger Suchprozess sein und zu den verschiedensten Ergebnissen führen. Aber bisher zeigte sich: Gute Arbeit, das bedeutet für die meisten Weiterbildung, Nutzen für die Gemeinschaft, Arbeiten in der Natur. Vor allem Arbeit, die Sinn hat.

Aber irgendwer muss doch auch den Müll wegbringen?

Die Müllbeseitigung kann man weitgehend automatisieren. Ein Rest an unpopulären, notwendigen Arbeiten wird aber natürlich übrig bleiben. Die könnte man nach dem Rotationsprinzip verteilen: Ein ganzes Leben in Manhattan Taxi zu fahren ist eine Strafe. Aber ein Semester lang ist es eine Ausbildung.

Alle machen alles – das klingt nach Kollektiv. Sollen alle auch das Gleiche verdienen?

FESTIVAL-CAMP 9TO5

Tagsüber arbeiten, nachts feiern: das Festival „9to5 – Wir nennen es Arbeit“ im Radialsystem wirft diese Ordnung um und lädt drei Nächte lang zum Austausch über Arbeitsmodelle und praktische Fragen ein. Für jede Nacht gibt es einen vollen Stundenplan. Der Freitag beginnt mit „Getting Things Done“ und handelt von ritueller Geldvernichtung als Kunsthappening und kreativer Geldvermehrung: Kleine Labels/große Bands stellen sich vor, Will Bradley redet über Self-Organisation und Counter-Economic Strategies, die Bunny-Lectures beschäftigen sich mit Zukunftsstudien. Die zweite Nacht ist „Getting Things Done“ überschrieben und fragt nach der robusten Programmierung, die der Einzelne braucht, gibt aber auch praktische Hinweise zu Fragen von Copyright und Steuerrecht. Die letzte Nacht, in der auch Frithjof Bergmann auftritt, lenkt den Blick aufs große Ganze und heißt: „Weltverbesserung“. Knapp über hundert Referenten treten auf, die sich besondere performative Formen ausgedacht haben, ihr Wissen an die Frau, den Mann zu bringen. Denn zwischen 9 Uhr nachts und 5 Uhr morgens will man doch ein bisschen mehr als business as usual.

Wenn Sie jetzt auf die Idee eines staatlichen Grundeinkommens für alle anspielen: Davon halte ich wenig. Den Menschen einfach nur Geld zu geben und zu hoffen, dass sie damit etwas Gutes anstellen, das ist nicht nur naiv, das ist sogar verheerend. Besuchen Sie mal ein Indianerreservat, dann sehen Sie: Ohne sinnvolle Arbeit verkommt der Mensch.

Trauen Sie den Menschen nicht zu, sich sinnvoll selbst zu beschäftigen?

Ich glaube, dass wir verlernt haben, mit freier, unstrukturierter Zeit umzugehen. Die meisten Menschen brauchen Unterstützung, um etwas Gutes, Nützliches zu tun. Unsere Mentoren beraten und versuchen mit ihnen herauszufinden, wie sie Arbeit finden können, die ihnen etwas bedeutet und mit der sie etwas erreichen können.

Sie sind also kein Freund des gepflegten Müßiggangs?

Mein Credo heißt nicht: no work, sondern: new work. Ich bin eher jemand, der die Arbeit predigt. Eine gute, sinnvolle Beschäftigung gibt Menschen mehr Kraft als jede Therapie der Welt. Davon bin ich überzeugt. Außerdem bin ich Pragmatiker und nicht irgend ein Professor, der sich am Schreibtisch eine schöne, neue, arbeitsfreie Welt ausdenkt. Ohne Arbeit wird es nicht funktionieren, wir müssen arbeiten. Nur eben anders als bisher.

Sie selbst haben mit den verschiedensten Arbeits- und Lebensmodellen experimentiert: Preisboxer, Hafenarbeiter, Einsiedler, Philosoph. Wann waren Sie am zufriedensten?

Sicher nicht als Einsiedler. Ich hatte mir „Walden“ von Henry David Thoreau gekauft und versucht, nach diesem Vorbild ganz in und mit der Natur zu leben. Ich kann Ihnen sagen: Zurück zur Natur ganz ohne Technik, das ist Sklaverei. Was ich jetzt mache, ist ohne Abstriche das, was ich will: mit Hilfe der Technik neue, intelligentere und menschenfreundliche Arbeit schaffen. Es hat 25 Jahre gedauert, aber ich habe meinen Weg gefunden.