: Ernsthafte Spiele
VIRTUELLE BILDUNG Mit Computerspielen lassen sich wichtige Erfahrungen für den Berufsalltag vermitteln und Softskills trainieren. Immer mehr Unternehmen entdecken deshalb ‚Serious Games‘ für die Fortbildung ihrer Mitarbeiter. Auch das Medizinstudium wird digitaler
VON BIRK GRÜLING
Schnell wird es hektisch auf dem Bildschirm. In wenigen Wochen soll ein neues Haifisch-Aquarium namens „Sharkworld“ in Shanghai eröffnen. Der letzte Projektleiter ist erkrankt. Nun muss der Spieler einspringen. Die chinesische Bauaufsicht kommt mit immer neuen Vorgaben um die Ecke, die Mitarbeiter drängeln mit ihren Anliegen und bald sollen die ersten Fische eintreffen. Ständig klingelt das Smartphone, Mails kommen am Fließband. Sharkworld ist ein sogenanntes „Serious Game“. Die Spieler sollen nicht nur Spaß haben, sondern auch etwas lernen.
„Für den Spielerfolg muss ich die Kosten, Lieferzeiten und Bauvorschriften im Auge behalten und gleichzeitig mein internationales Team motivieren. Das ist ein gutes Training für angehende Projektmanager“, erklärt Dirk Hitz, Geschäftsführer von „Ranj Serious Games“ in Hamburg. Die kleine Spieleschmiede ist Ableger einer niederländischen Firma und einer der wenigen spezialisierten Anbieter am Markt.
In den letzten Jahren erlebten Spiele wie „Sharkworld“ hierzulande einen Boom in der Nische. Statt ihre Mitarbeiter mit Schulungsunterlagen und Powerpoint-Vorträgen zu quälen, lassen Firmen ihre Mitarbeiter zu Bildungszwecken spielen. Bei der Lufthansa müssen die Nachwuchskräfte beispielsweise eine virtuelle Airline führen. Die Spieler planen dabei eigene Flugrouten, stellen Personal ein und sollen am Ende natürlich schwarze Zahlen schreiben. Spielerisch lernen sie so die Luftfahrtbranche kennen. Der Autobauer Volkswagen schickt seine angehenden Mechatroniker in eine digitale Werkstatt und Vodafone schult seine Verkäufer in virtuellen Welten.
Auch in der Ausbildung von jungen Ärzten könnte diese Methode verstärkt Einzug halten. Ein entsprechendes Spiel entwickeln derzeit Boris Tolg und seine Kollegen von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. In ihrem virtuellen Krankenhaus sollen angehende Mediziner den Umgang mit Patienten üben. Im Moment nutzen die meisten Universitäten dafür Schauspieler, die bestimmte Krankheitsbilder vorspielen. Allerdings sind solche Rollenspiele zu aufwendig, um sie regelmäßig anzubieten.
„In unserem virtuellen Krankenhaus kann man Arzt-Patienten-Gespräche deutlich bequemer simulieren“, sagt Tolg. Reales Vorbild für sein Krankenhaus ist die Uniklinik Essen, gleichzeitig Kooperationspartner des Hamburger Projektes. Derzeit sind die Informatiker noch in einer frühen Entwicklungsphase. In der Notaufnahme gibt es bisher nur ein Behandlungszimmer. Darin wartet ein aufgeregter Patient auf die Versorgung, der Krankheiten und Verletzungen sind einstellbar. Am Bildschirmrand sind die Krankenakte und Röntgenbilder zu sehen. Per Mausklick können dem Patienten Diagnose-Fragen gestellt werden.
„Wir wollen den Klinikalltag möglichst realistisch darstellen. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Arzt nur die Informationen bekommt, die er bewusst einfordert“, erklärt Tolg. Mittelfristig soll eine ganze Station entstehen, mit samt aller Hektik, Schwestern, die eine dringende Unterschrift brauchen und schnell zu versorgenden Notfällen.
Auch mit den Darstellungsformen wird in dem Forschungsprojekt experimentiert. Neben einer 3D-Brillen-Version wird über eine Verknüpfung mit medizinischen Simulationspuppen nachgedacht. Nebenher soll es auch eine einfache Version für Zuhause geben. „Der Medizinstudent kann so die Inhalte aus der Vorlesung nochmal spielerisch wiederholen“, sagt der Medizin-Informatiker.
Während solche Ideen bei großen Unternehmen und an Hochschulen schon fast zum guten Ton zählen, sind gerade kleine Firmen zurückhaltender. Die Gründe dafür: Einerseits gibt es immer noch Vorbehalte gegenüber Spielen am Arbeitsplatz, andererseits sind die Entwicklungskosten für gute Serious Games hoch. Ein für die eigene Firma entwickeltes Lernspiel kostet schnell das Zwei- bis Dreifache einer herkömmlichen Weiterbildung. Fertige Spiele wie Sharkworld sind eher die Ausnahme, die meisten Serious Games werden individuell auf die Firmen zugeschnitten.
„Der Kunde kommt meistens mit sehr konkreten Schulungswünschen zu uns und wir entwickeln eine passende Anwendung dafür“, erklärt Hitz. Die Erwartungen seitens der Personalabteilungen sind hoch: Die Serious Games sollen nicht nur unterhaltsamer als klassische Weiterbildungsangebote sein, sondern auch effektiver.
Dass spielendes Lernen tatsächlich Vorteile bei der Konzentration und der Motivation haben könnte, darauf weist eine Studie hin. So haben US-Forscher klassischen Frontalunterricht mit Unterricht verglichen, bei dem ein Lernspiel eingesetzt wurde. Das Ergebnis: Den Stoff beherrschten beide Schülergruppen ähnlich gut. Die Kinder, die das Lernspiel benutzen, waren allerdings besser gelaunt und empfanden den Unterricht als angenehmer.
Ein Ergebnis, dass sich in Teilen auch auf die betriebliche Weiterbildung übertragen lässt, wenn die Voraussetzungen stimmen. „Gute Lernspiele müssen den Mitarbeitern Spaß machen, sie fesseln und gleichzeitig Wissen vermitteln“, sagt Hitz.
Bei knappen Budgets müssen die Entwickler für den Erfolg oft kreativ werden. Weil sie die Hochglanz-3D-Welten aus der normalen Spielebranche aus Kostengründen nicht bieten können, filmen Hamburger Spieleentwickler gerne echte Schauspieler ab statt Kunstfiguren zu entwickeln. Bei Sharkworld sieht der Spieler echte Menschen vor sich, die auf seine Antworten reagieren, im Extremfall auch mit einem Wutausbruch. Die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt werden bewusst durchkreuzt. So verschicken die virtuellen Mitarbeiter aus dem Spiel Nachrichten an die echte E-Mail-Adresse. Sogar eine SMS und ein Anruf auf dem Handy des Spielers sind möglich.
„Diese Verknüpfungen in die reale Welt kommen bei den Teilnehmern gut an und erhöhen ihre Motivation“, sagt Hitz. Nicht selten berichteten die Unternehmen, dass ihre Mitarbeiter Sharkworld gleich mehrfach durchgespielt haben.