: Ein langer Weg, aber viele Möglichkeiten
STANDARDS Kommunen und Länder nutzen nur einen Bruchteil ihrer Möglichkeiten, um fair einzukaufen. Eine Reihe von Organisationen und Initiativen zeigt ihnen, wo es ganz pragmatisch langgeht
Ob Computer für die Verwaltung, Baumaterialien für öffentliche Gebäude, Bekleidung für Feuerwehr und Polizei oder Lebensmittel für Krankenhäuser und Altersheime – jährlich kauft die öffentliche Hand für etwa 360 Milliarden Euro ein, rund 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mehr als die Hälfte dieser Ausgaben entfällt dabei auf die Kommunen, denen damit bei der Durchsetzung fair gehandelter Waren und Dienstleistungen eine Schlüsselrolle zufällt. Verschiedene Initiativen und Organisationen, zu denen neben Cora, dem „Netzwerk für Unternehmensverantwortung“, und der Nichtregierungsorganisation Weed auch die 16 entwicklungspolitischen Landesnetzwerke in Deutschland zählen, bemühen sich, diese Entwicklung voranzutreiben.
Die in der AGL, der Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt Landesnetzwerke e. V., organisierten entwicklungspolitischen Netzwerke der Länder verfolgen dabei eine Art Bottom-up-Strategie, bei der Städte, Gemeinden und Kommunen zumindest einige Mindeststandards bei der öffentlichen Beschaffung einhalten sollen. „Die Kommunen haben mittlerweile Möglichkeiten, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht nur der günstigste Preis ausschlaggebend sein muss“, sagt Harald Kreutzer, Koordinator des Netzwerks Entwicklungspolitik im Saarland und AGL-Vorstandsmitglied. Die Grundlage, soziale und ökologische Kriterien bei der Auftragsvergabe der öffentlichen Hand zuzulassen, bildet das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts. Damit wurde 2009 eine EU-Richtlinie von 2004 in Deutschland umgesetzt, entsprechende Ländergesetze folgten. „Wenn auch Jahre verspätet, wurden dabei soziale und umweltverträgliche Kriterien explizit zugelassen“, so Kreutzer – aber nur als Kann-Bestimmung.
Auf kommunaler Ebene wurden indes zum Teil schon vorher entsprechende Beschlüsse erlassen. Ein Vorreiter ist dabei die Stadt Saarbrücken, die 2009 zur ersten „Fair Trade Town“ Deutschlands gekürt wurde. „Seit 2003 gab es vier Stadtratsbeschlüsse, um den fairen Handel und die damit verbundenen sozialen und ökologischen Kriterien zu stärken“, sagt Kreutzer.
2003 gab es zum Auftakt einen Stadtratsbeschluss zur Einführung von fair gehandeltem Kaffee und fairen Präsenten in der Stadtverwaltung Saarbrückens. 2008 folgte gemäß der Konvention 182 der International Labour Organization (ILO) der Ausschluss von ausbeuterischer Kinderarbeit bei der Beschaffung von Waren. Bei Produkten aus Asien, Afrika oder Lateinamerika muss dies laut Beschluss „durch die Zertifizierung einer unabhängigen Organisation oder eine entsprechende Selbstverpflichtung“ nachgewiesen werden. Zuletzt folgte im März 2011 eine Änderung der Friedhofssatzung. Demnach dürfen nur noch Grabsteine verwendet werden, die aus fairem Handel stammen und ohne Kinderarbeit im Sinne der ILO-Konvention 182 hergestellt wurden.
Allerdings ist die Aufnahme ökosozialer Kriterien in die Vergabegesetze von Bund und Ländern nur ein erster Schritt. „Man muss die Beschlüsse und Gesetze mit Leben füllen“, sagt Kreutzer. Alles in allem gehe es ohne Frage voran, aber es seien weiterhin „dicke Bretter zu bohren“. Denn das Thema erhält durch die Gesetze zwar die notwendige politische Legitimität, doch ob diese Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe tatsächlich Berücksichtigung finden, entscheidet sich maßgeblich in der konkreten praktischen Umsetzung – und der Begleitung des Prozesses durch eine kritische Öffentlichkeit. In einem Aktionsplan fordert Cora etwa Zeitpläne: So solle die Beschaffung des Bundes bis 2018 zu 100 Prozent unter Beachtung sozialer und ökologischer Kriterien erfolgen.
Um diese Entwicklung voranzutreiben, hat Weed beispielsweise das Projekt „Berlin be fair“ ins Leben gerufen. In der deutschen Hauptstadt ist 2010 ein neues Vergabegesetz in Kraft getreten, bei der sich der Berliner Senat zur verbindlichen Aufnahme von ökologischen Kriterien, ILO-Kernarbeitsnormen und Mindestlohn bei der öffentlichen Auftragsvergabe ausgesprochen hat. Damit diese Grundsätze keine leeren Formeln bleiben, bietet „Berlin be fair“ sowohl den Verantwortlichen für die Beschaffung als auch Multiplikatoren Beratungen und Schulungen zum Thema an. Zur Expertise gehört beispielsweise, wie die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen nachgewiesen und kontrolliert werden kann. OLE SCHULZ