: Überstunden für Kinderschutz
Die Jugendämter haben auch zwei Jahre nach Jessicas Tod noch nicht genug Personal. Die Fallzahlen in Harburg und Bergedorf sind gestiegen. Bezirksamtsleiter fordern 24 zusätzliche Mitarbeiter
VON KAIJA KUTTER
In Harburg machte kürzlich ein Fall Schlagzeilen. Ein psychisch kranker Vater von zwei Kleinkindern meldete dem Jugendamt, dass er nicht in der Lage sei, auf seine Kinder aufzupassen. Es passierte eine Woche lang nichts. Erst nachdem eine besorgte Nachbarin anrief, kamen Mitarbeiter des Jugendamtes und nahmen die Kinder in Obhut.
Der Fall erinnerte an die Serie von verwahrlosten Kindern, die im Herbst 2005 aus Wohnungen geholt wurden. Damals gab es einen heftigen Streit, ob in den für den Kinderschutz zuständigen Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) genug Leute arbeiten. Die sieben Bezirksamtsleiter forderten 15 Stellen zusätzlich. Und auch der „Sonderausschuss zum Tod von Jessica“ trug dem Senat in seinem Abschlussbericht auf, zu prüfen, ob die „Soll-Stellenzahl“ reicht.
Inzwischen hat sich einiges getan. Jeder Bezirk hat einen Kinderschutz-Beauftragten und die Bezirks-Chefs sorgten dafür, dass es keine vakanten ASD-Stellen mehr gibt. Aber mehr Soll-Stellen rückte der Finanzsenator nach der Prüfung nicht raus.
„Die Situation der ASD hat sich nicht wirklich verbessert“, mahnt nun die GAL-Politikerin Christiane Blömeke und verweist auf eine aktuelle Fallstatistik. Demnach musste im Bezirk Harburg ein Sozialpädagoge im ersten Quartal 2007 im Schnitt über 26 neue Fälle bearbeiten, während es im Vergleichszeitraum 2004 nur 22 waren. Noch höher ist die Belastung in Bergedorf. Dort gingen von Januar bis März 27,77 neue Fälle ein, wohlgemerkt neue. Blömeke: „Im Schnitt ist dort ein Mitarbeiter mit 90 Fällen beschäftigt.“
Die Bergedorfer stellten „Überlastungsanzeigen“ und sandten am 11. Juni einen Brief an den Bürgermeister Ole von Beust (CDU). „Die Belastungsgrenzen sind seit Jahren überschritten“, schrieben sie. „Nur durch außerordentlich hohen persönlichen Einsatz konnten und können wir das Schlimmste verhindern und Kinder schützen.“ Unbezahlte Überstunden, Nacht- und Wochenendarbeit waren keine Seltenheit.
Die Bergedorfer sehen sich strukturell benachteiligt. Kommen im Bezirk Mitte beispielsweise 52,56 Soll-Stellen des ASD auf rund 230.000 Einwohner, so sind es in dem erst in den 90ern durch Neubauten gewachsenen Bergedorf nur 14,68 Stellen für rund 120.000 Menschen. „Es fehlt dort an Menschen, die in die Familien reingehen“, mahnt Christiane Blömeke und fordert, in Bergedorf und Harburg die Stellenpläne zu erhöhen.
CDU-Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram ist für den Kinderschutz zuständig, verweist aber bei den ADS auf die Finanzbehörde. Und die verweist an den Bezirksamtsleiter von Bergedorf, Christoph Krupp.
„Es stimmt nicht, dass sich nichts verbessert hat“, stellt dieser klar. So hatte die Finanzbehörde seinem Bezirk schon Anfang 2006 erlaubt, für zwei zusätzliche Stellen das Budget zu überziehen. Da zudem im letzten halben Jahr Personen aus Elternzeit zurückgekehrt seien, habe der ASD-Bergedorf „eine Ist-Stärke von 19,23 Stellen sozial-pädagogischer Fachkraft“.
Doch Krupp verhehlt nicht, dass auch er erwartet, dass die Zahl der Soll-Stellen dauerhaft erhöht wird. „Der Senat hatte uns Bezirksamtsleitern 2005 versprochen, dass dort frisches Geld fließt. Das muss auch geschehen“, sagt er. Deshalb forderten alle sieben Bezirksamtsleiter jetzt gemeinsam 24 Stellen von den Rückkehrern des privatisierten Landesbetriebs Krankenhaus (LBK). Krupp: „Da sind Sozialpädagogen dabei. Die kann man gut im ASD einsetzen.“
GAL-Politikerin Blömeke ist von Krupps neuen Mitarbeiterzahlen überrascht: „Mir liegen andere Informationen vor.“