Klicken, Fiepen, Zupfen

Neuartige und ambitionierte Musik auf Instrumenten, die von Haus aus keine sind – eine Bookingagentur promoted „Kontrastorchester“. Das Laptoporchester ist eines davon. Ein Porträt

Abba auf der Nasenflöte und Händel am Laptop – das alles ist möglich

VON NINA APIN

Ein kahler weißgestrichener Raum an der Greifswalder Straße. Einzige Möblierung ist eine lange, weiße Tischreihe, an der sich sechs Männer über ihre Laptops beugen. Bis auf das Klickern der Tastaturen ist es vollkommen still. „Everybody ready?“, fragt Takeshi Nishimoto in die Runde. Nicken. Dann gibt der japanische Musiker das Startzeichen und die Regieanweisung: „Just follow the timetable“.

Exaktes Timing ist beim Laptoporchester alles. Bei der Probe für das 45 Minuten lange Stück, das sie zur Langen Nacht der Museen am Kulturforum aufführen wollen, klappt es schon ganz gut. Komponist und Gastmusiker Nishimoto, der als Einziger ein reales Instrument spielt, gibt auf der Gitarre die Leitmelodie vor. Dazu erklingen aus sechs Laptops verschiedene Tonspuren: ein hohes Fiepen, ein Basslauf, sphärisches Rauschen, Knarzen. Die sechs Klangschichten legen sich übereinander zu einem warmen Klanggewebe, aus dem gelegentlich die Gitarre durchscheint. Eine Symphonie für acht Laptops und eine Gitarre, die erstaunlich lebendig klingt.

„Jeder von uns spielt seinen Laptop wie ein Instrument“, erklärt Marek Brandt die Spielweise des 2003 in Berlin gegründeten Laptoporchesters. Eine klassische Partitur wird dabei in sechs bis acht Tonspuren zerlegt und in eine Audiosoftware übersetzt. Statt Notenbögen sind auf dem Bildschirm Soundkurven, Marker und Pausenbereiche zu sehen. Dirigent ist der Mann am Tonmischer, der die sechs zusammenlaufenden Tonspuren regelt und ausbalanciert. Der Rest ist Konzentration mit einem Schuss Improvisation: Während sich Nishimoto geradewegs durch seine Komposition spielt, vergisst das Rauschen die Pause, setzt der Oberton zur falschen Zeit ein, blickt ein Musiker hilfesuchend den Nachbarn an oder fummelt am Kopfhörereingang.

„Die Fehler des Humanen sind gerade das Schöne an der Sache“, findet André Klein, Mitgründer und Manager des Laptoporchesters, „sie nehmen der Computermusik das Seelenlose.“ Er schwärmt davon, wie sie in Leipzig Terry Rileys Minimal Music-Meisterwerk „In C“ aufgeführt haben – ganz pannenfrei.

Die acht Musiker aus Berlin nennen sich auf ihrer Website eine „all digital boygroup“. Bei aller musikalischen Professionalität nehme man sich nicht immer ganz so ernst, sagt Klein – und erklärt sehr ernsthaft, warum es nur eine vergleichbare Combo auf der Welt gibt, im amerikanischen Princeton.

Die Männer hinter den Laptops wollen mit den verkopften Elektronikfricklern der Popszene nichts zu tun haben. Der klassischen Musik fühlen sie sich näher als den popkulturellen Szenen wie Laptop-Folk oder Networked Music. „Es interessiert uns nicht, unsere eigene Software zu programmieren oder das Publikum über Rechner an der Aufführung zu beteiligen“, sagt Klein. „Für uns steht die Musik im Vordergrund, der Laptop ist nur ein Instrument, wenn auch ein besonderes.“

Mit besonderen Instrumenten kennt André Klein sich aus. Der 30-jährige hat eine Bookingagentur gegründet, um das Laptoporchester und andere bizarre Ensembles zu promoten. „Kontrastorchester“ hat acht Nischenformationen im Programm, eine bizarrer als die andere: Die Leipziger Autosymphoniker musizieren mit Gas, Zündung und Scheibenwischern, das Gameboyorchester mit Gameboys und das Avatar Orchestra Metaverse ausschließlich virtuell. Auch die Kultformation „Oberkreuzberger Nasenflötenorchester“, die mit Plastiknasenklemmen Gassenhauer intoniert, ist in Kleins Portfolio. Bei „Kontrastorchester“ kann man eine oder zwei Orchester buchen – oder gleich die ganze Packung einkaufen, wie die Lange Nacht der Museen, die mit allen acht das Kulturforum beschallen will. „Unsere Orchester spielen neuartige Musik auf Instrumenten, die im klassischen Sinn keine sind“, fasst Klein die Gemeinsamkeiten der Kontrastorchester zusammen. Oder eher den kleinsten gemeinsamen Nenner, denn die Bandbreite zwischen U und E oder Abba auf der Nasenflöte und Händel am Laptop, ist gewaltig.

Der Jungunternehmer und Laptopsymphoniker meint es ernst mit seiner Bookingagentur. Ein Jahr lang hat er über Konzept und Businessplan gebrütet, jetzt will er Theater, Festivals und Museen als Kunden gewinnen. Seit letzter Woche ist die Website online, jetzt soll es „aus der Nische in die Breite“ gehen.

Die sechs Männer am Laptop und der Mann an der Gitarre haben derweil in der Nische zur Perfektion gefunden: Das Zusammenspiel stimmt, der Timetable wird eingehalten, niemand guckt mehr verzweifelt zum Nachbarn. Der Gitarrist Takeshi Nishimoto grinst zufrieden. Es ist das Grinsen eines Komponisten, der sein Werk in guten Händen weiß.