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Archiv-Artikel

Trübe Wolken im Überangebot

POPBETRIEB Bei der Berlin Music Week machte sich die Musikindustrie Mut und setzte aufs Internet

„Berlin boomt. Alle sollen was davon haben!“ Mit dieser Forderung empfiehlt sich der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf derzeit auf einem Plakat der Linken als Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahlen. Um zu demonstrieren, dass er es ernst meint, fördert der Senat auch Großveranstaltungen wie die Berlin Music Week vergangene Woche. „Mehr Musik geht nicht“, so das Versprechen der Senatsverwaltung.

Dabei sorgt sich die Musikbranche keinesfalls darum, zu wenig Musik im Angebot zu haben. Eigentlich geht es, wie auch auf der Popkomm, einem der Hauptpartner der Berlin Musik Week, mehr als deutlich wurde, weiterhin um Krisenmanagement im Zeitalter sinkender Verkaufszahlen bei gleichzeitigem Überangebot an frei herunterladbarer Musik im Netz. Doch obwohl Wolf zur Eröffnung der Messe den „Rohstoff Kreativität“ und die Bereitschaft, sich zu verändern, beschwor, beschränkte man sich in Sachen Kreativität bei der Popkomm auf neue Internet-Geschäftsmodelle.

Die „Cloud“, wie man das Internet seit dem vermehrten Aufkommen von Streaming-Angeboten nennt, ist der Hoffnungsträger für alle Onlinedienste. Damit man sich sein Smartphone nicht mit Musikdaten vollstopfen muss, kaufen „Cloud Services“ wie spotify billigen Speicherplatz und bieten die Musik ihren „Endkunden“ als Stream an, den diese bequem online hören können. Piraterie von Musik im Netz scheint hingegen keine Sorge mehr zu sein. Für Ben Drury von 7digital, einem britischen Cloud-Service-Anbieter, werden die Schlachten der Zukunft zwischen lizenzierten und unlizenzierten Diensten geführt, die dann die Konsumenten entscheiden. Drury sieht eine Chance für Lizenzdienste, wenn sie auf Qualität setzen.

Wie es mit der Qualität genau besser werden soll, schien den Sprechern der Popkomm nicht so ganz klar. Man hofft auf kuratierte Angebote, für die es jedoch noch reichlich Entwicklungsbedarf gibt. Henning Grambow vom Label SugarCandyMountain etwa empfahl den Musikplattformen sehr dringend: „Bitte verbessert diese ganzen Suchmaschinen und Empfehlungen!“ Die seien noch inhaltbasiert und böten, mit Ausnahme von SoundCloud, kaum die Möglichkeit, nach Kontext zu suchen.

Viel entscheidender ist aber der Umstand, dass man mit Angebot allein noch keine Anreize schafft, Speicherplatz hin oder her. Dass die bloße Verfügbarkeit kaum Erfolg garantiert, bekommt ein Großteil der Musiker tagtäglich zu spüren. Christof Ellinghaus vom Berliner Label City Slang brachte die Sache auf den Punkt: „Bei der Diskussion wird ein bisschen vernachlässigt, dass man auch noch gut sein muss.“

Oder man verlegt sich gleich auf einen durchweg „kreativwirtschaftlichen“ Kreativitätsbegriff wie Matthias Gülzow von der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation, der als Resümee seiner „Stresstest“-Studie für Musikplattformen den Musikschaffenden riet: „Marketing muss als Teil des kreativen Prozesses betrachtet werden.“ Bach habe sich schließlich auch um seine Finanzen kümmern müssen.

Das leuchtete Ellinghaus durchaus ein, und er hatte sogar schon ein Modell für die Band der Zukunft parat: Bei dem von ihm vertretenen Projekt Caribou gebe es vier Leute. Einer kümmere sich um Merchandising, einer um das Internet, ein weiterer um das Booking, und dann gibt es noch den künstlerischen Leiter, der für Musik und die Auswahl der Remixe zuständig ist. Da passte es nur zu gut, dass die all2gethernow, ursprünglich als Gegenkonferenz zur Popkomm gestartet, eine eintägige Werkstatt mit handfesten Tipps rund ums Musikgeschäft bot.

Musik gab es während der Berlin Music Week auch. Besucherzahlenfreundliches Popprogramm bediente das Berlin Festival, Raum für Experimente fernab renditeorientierter Geschäftsmodelle bot die ICAS-Suite – ein Ableger des Festivals Club Transmediale –, und auf der Berlin Music Week Clubnacht durfte man zwischen 62 Clubs pendeln. Fast alles gleichzeitig, sodass sich die Angebote weitgehend gegenseitig ausschlossen. Die Masse allein jedoch wird in Zukunft nicht reichen, damit „alle“ was davon haben.

TIM CASPAR BOEHME