: Stadtplanung von unten
MITMACHEN Der Ideenaufruf Kreuzberger Ufer des Initiativkreises Mediaspree Versenken! versteht sich als Modellprojekt für eine direkte Bürgerbeteiligung an der Stadtplanung
■ Der Workshop zur Entscheidungsfindung findet im Rahmen der Experimentdays 11 statt. Die Planungsvarianten werden vorgestellt und diskutiert. Die Entscheidung, welche Varianten dem Bezirk zur Weiterentwicklung empfohlen werden, treffen drei gleichberechtigte Jurys: eine AnwohnerInnenjury, eine Fachjury sowie das Votum der Anwesenden. Es wird einen Bewertungsbogen geben, auf dem bis zu zehn Punkte für vier Kategorien vergeben werden können. Es wird drei Juryentscheidungen in vier Kategorien geben, also viele „Gewinner“. Angestrebt wird, dass sich Teams für die weitere Bearbeitung bilden. Das Ergebnis soll dann in einer Folgeausstellung in der Markthalle zu sehen sein. Abschlusspräsentation und Entscheidungsfindung: Sa., 24. September 2011, 14.00 Uhr, Ort: Markthalle IX, Eisenbahnstraße 42/43, 10997 Berlin
VON CARSTEN JOOST
Mit dem Bürgerentscheid „Spreeufer für alle!“ wurde 2008 eine Art Gestaltungssatzung für die Spreeufer beschlossen: 50 Meter Mindestabstand von Neubauten zu den Ufern, Einhaltung der ortsüblichen Bauhöhe (Berliner Traufhöhe) und Fußgänger- und Radstege statt neuer Autobrücken. Im daraufhin eingesetzten Sonderausschuss Spreeraum wurde auf unsere Initiative hin die Durchführung eines modellhaften Verfahrens für die Entwicklung der Kreuzberger Spreeufer beschlossen. Ein Jahr darauf, im November 2010, haben wir dies mit einer Online-Ausschreibung begonnen.
In unserem Aufruf wurde bewusst auf Zulassungsbeschränkungen und strikte Vorgaben verzichtet. Jegliche Form des Ideenbeitrags war erwünscht – wenn er auf eine Ausstellungstafel passt. Angesprochen waren Anwohnerinnen und Anwohner, Interessierte, Fachleute und natürlich auch Laien. Recht bald bot sich die Markthalle IX als niederschwelliger Ausstellungsort an. 2011 war hier die Phase der Neuprojektierung und engagierten Zwischennutzung, was viele Interessierte in die wunderbare Markthalle zog, die diese nicht alltäglich nutzen. In der Nachbarschaft von Aldi und Kik waren wir uns aber auch der Aufmerksamkeit vieler Menschen sicher, die sich sonst von politischen Entscheidungen besonders ausgeschlossen fühlen. Die einfache Ausgestaltung der Ausstellung überwand Berührungsängste mit dem Metier der Stadtplanung. An vielen Stellen konnte man seine Meinung niederschreiben. Es gab in den zehn Monaten keine Beschädigungen in der Ausstellung, obwohl es nie eine Aufsicht gab – was wir sehr bemerkenswert finden.
Frühe Präsentations- und Abgabetermine erzeugten ein schnelles Anwachsen der Ausstellung und machten „work in progress“ erst möglich. Dass viele Beiträge ausgearbeitete städtebauliche Planungen sind, war einerseits als konkrete Diskussionsgrundlage erfreulich, andererseits hat das die Schwelle zu Teilnahme sehr hoch gesetzt. Bei jeder Gelegenheit luden wir die Menschen ein, auch einzelne Anregungen zu Papier zu bringen. Erwähnenswert ist auch, dass der gesamte Prozess auf ehrenamtlicher Arbeit beruht – Spenden wurden allein für die entstandenen Sachkosten verwendet.
Vier der fünf Grundstücke, die zur Bebauung anstehen, sind ohne Bebauungsplan. Ein Großinvestor für das landeseigene Behala-Grundstück Viktoriaspeicher an der Schillingbrücke hat sich 2008 zurückgezogen. Somit ist eine bürgernahe Planung und dessen Umsetzung für das „Herzstück“ der Entwicklung am Kreuzberger Ufer nun eine Frage des politischen Willens. Obwohl wir uns nach dem Beschluss im Sonderausschuss deutlich mehr praktische Unterstützung und Initiative durch den Bezirk erhofft haben, steht dieser einem alternativen Entwicklungsprozess doch grundsätzlich wohlwollend gegenüber. Die Eigentümergemeinschaft des Zapf-Grundstückes, die Umzugspläne hat, strebt eine einvernehmliche Lösung mit den Anwohnern an und wird die Ergebnisse prüfen.
Alle Jahre wieder kommen auf den „Experimentdays“ Akteure und Interessierte selbst organisierter Wohnkulturen zusammen, um sich über gemeinschaftliches Wohnen und sozial-ökologische Stadtentwicklung auszutauschen. Alle fünf Jahre sind auch Berliner Landeswahlen und bereiten die Grundlage für künftige Weichenstellungen, die unser Leben und Wohnen in der Stadt beeinflussen. Dieses Jahr fallen beide Anlässe im September zusammen und bieten so die Gelegenheit, zivilgesellschaftliches Engagement im Kontext aktueller Entwicklungen der Stadtpolitik zu thematisieren.
Die Experimentdays 11 gehen insbesondere auf die Umwandlungen des östlichen Spreeraums ein, der sich aktuell in einer Umbruchphase und im öffentlichen Blickfeld befindet. id22: Institut für kreative Nachhaltigkeit lädt Interessierte vom Donnerstag, den 22. September, bis Sonntag, den 25. September 2011, dazu ein, die Experimentdays 11 in den Ausstellungsräumen des Deutschen Architektur Zentrum (DAZ, Köpenicker Straße 48 /49), auf dem Sonnendeck des Radialsystems V (Holzmarktstraße 33), im neu eröffneten KaterHolzig (Köpenicker Str. 50), der Markthalle IX (Eisenbahnstr. 42/43) sowie im angrenzenden Spreeraum zu erkunden.
Neben der ProjektBörse, bei der sich über 20 Wohnprojekte sowie Finanzierungspartner präsentieren, dem WohnProjektStudio, dem WohnSalon, Exkursionen der creative sustainability tours berlin zu Land und zu Wasser und einem Filmabend findet in diesem Jahr erstmalig das experimentcity camp statt. Poesie, Theater und Kunst mit Gütesiegel ergänzen das Programm.
Mehr Infos unter: www.experimentdays.de
Wir wollen, dass städtebauliche Entwicklungen offen ausgeschrieben werden, Wettbewerbsergebnisse erst ausgestellt und mit den AnwohnerInnen diskutiert werden, bevor es zu einer Entscheidung kommt. Meist wird die Öffentlichkeit erst informiert, wenn es zu spät und alles entschieden ist. Für die Kreuzberger Spreeufer rufen wir zu direkter Bürgerbeteiligung und einer „Stadtplanung von unten“ auf.
Dadurch wollen wir starke Akzente setzen, Schlimmes verhindern und am Ende Außergewöhnliches erreichen. Was eine soziale, ökologische und nachhaltige Nutzung und Gestaltung ausmacht, soll mit diesem Prozess ermittelt und in konkrete Ergebnisse umgesetzt werden. Gleichzeitig bremst der Prozess rein kommerzielle Verwertungsinteressen für die Grundstücke aus und leistet damit einen Beitrag gegen die grassierende Spekulationswelle im Bezirk. Eine gelungene Umsetzung würde bedeuten, dass am Spreeufer nicht die teuersten Wohnungen entstehen – wie an Flussufern üblich–, sondern alternative, kollektive Modellprojekte. Dann wäre der Aufwertungsdruck in dem Bezirk auch langfristig geringer.
Der Ideenprozess fügt sich ein in die stadtweite Diskussion über demokratische Planungsprozesse. Er ist ein anschaulicher Beitrag – zum Anfassen und Mitmachen – zur Debatte um die Gestaltungs- und Nutzungsansprüche, die an die zukünftige Entwicklung der Spreeufer gestellt werden. Durch den Ideenprozess entstehen nicht nur Chancen für alternatives Bauen und Gestalten, sondern auch neue Optionen für temporäre Nutzungen. Ganz bewusst stellen wir auch die Frage nach Eigentumsmodellen, Wohnformen, sozial orientierten Projekten und einem neuen sozialen Wohnungsbau. Es sind Akteure gesucht, die sich an der Spree engagieren wollen. Lasst uns diese wertvollen Flächen nicht der Immobilienwirtschaft überlassen!
■ Carsten Joost ist Mitgründer der Initiative „Mediaspree versenken“, www.ms-versenken.org