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Archiv-Artikel

Der Öko-Pionier

BEWUSSTSEINSWANDEL Lange galt Rüdiger Priegnitz in seinem Dithmarscher Heimatort als „Ökospinner“. Trotz eines schweren Unfalls machte er weiter – und seine Firma floriert

„In Dithmarschen wählt man CDU. Als Grüner wurde ich hier jahrelang beschimpft“

RÜDIGER PRIEGNITZ, ÖKO-PIONIER

VON DENNIS BÜHLER

Rüdiger Priegnitz steht an der großen Fensterfront im Dachgeschoss seiner Firma und blickt betrübt nach draußen. „Mit Wind hatte ich gerechnet“, sagt er, „aber nicht mit heftigem Regen.“ Bei diesem Wetter könne er nicht bauen, sagt er. Keine Dächer dämmen, keine Photovoltaikanlagen errichten, keine Sonnenkollektoren aufstellen. Wenigstens, sagt Priegnitz, habe er nun Zeit, um aus seinem Leben zu erzählen. Der Mann mit dem wirren weißen Haar und dem grauen Bart setzt sich in seinen Strandkorb, den er im Flur gleich vor seinem Büro platziert hat.

Vor 20 Jahren gründete er im schleswig-holsteinischen Meldorf mit einem Tischler und einem Weinhändler eine Ladengemeinschaft und stieg in die ökologische Baubranche ein. Aus dem Ein-Mann-Betrieb entstand die Firma „Naturbau Meldorf“ mit heute 25 Angestellten. 1993 baute er eines der ersten ökologischen Holzrahmenhäuser in Norddeutschland, sieben Jahre später die ersten Passivhäuser Schleswig-Holsteins. Im Jahr 2000 wurde er mit dem Umweltpreis des Landesministeriums für Umwelt, Natur und Forsten ausgezeichnet.

Dennoch blieb Priegnitz für viele der „Ökospinner“. „Im Landkreis Dithmarschen wählt man CDU“, sagt er. „Als Grüner wurde ich hier jahrelang beschimpft.“

Keine Zeit für Fotos

Immer wieder klingelt das Telefon, Priegnitz‘ Rat ist gefragt. Der Geschäftsführer wechselt an seinen Schreibtisch, auf dem sich lose Blätter und Baupläne stapeln. Fotografien in Bilderrahmen sind an die Wand gelehnt, viele persönliche Erinnerungen. Aufnahmen, die das Meldorf des vorletzten Jahrhunderts zeigen, Bilder seiner drei Kinder. Noch hat Priegnitz keine Zeit gefunden, die Fotografien aufzuhängen – auch wenn das Dachgeschoss seit einem Jahr ausgebaut ist. Auch die Jubiläumsfeier zum 20-jährigen Bestehen der Firma hat er auf nächstes Jahr verschoben. Das Unternehmen floriert.

Ort der Lieder

Ein Mitarbeiter ruft an und berichtet, dass Holzbretter in falscher Größe angeliefert worden seien. Priegnitz bleibt gelassen. Der Wetterbericht verheißt ohnehin nichts Gutes. Gebaut werden kann heute wohl nicht mehr.

Priegnitz ist in Meldorf geboren, vor 56 Jahren, und am Grenzweg aufgewachsen. Seine Firma hat er 600 Meter entfernt aufgebaut, gleich neben seinem Elternhaus errichtet er derzeit zwei neue Lagerhallen. Zwei Richtkränze schweben unter dem Dach. Drei Arbeiter in blauen Overalls tragen Eisenstangen über das Gelände, sonst ist die Baustelle am Dorfrand menschenleer. Hinter den Lagerhallen, wo jetzt noch hohes Gras steht, will Priegnitz eine kleine Wohnsiedlung bauen. „Hier bin ich als Kind mit meiner Mutter entlangspaziert“, sagt er. „Sie hat mir Wanderlieder vorgesungen.“

Als Priegnitz 16 war und eben aus der Schule raus, wollte er weg, die Marsche und Deiche hinter sich lassen. Schleswig-Holstein war ihm zu eng geworden, er fuhr zur See. Schon immer sei es sein Traum gewesen, Schiffskapitän zu werden, sagt er. Auf großen Frachtern reiste er als Matrose über die Weltmeere, sah Mittel- und Südamerika. „Die Rassenprobleme in den USA und die erschütternde Armut haben mich politisiert“, sagt Priegnitz.

Anfang 1974, die Ölkrise erreichte ihren Höhepunkt, arbeitete er für Reeder, die absichtlich langsam nach Europa fuhren, um die Öl-Knappheit zu verlängern und die Preise in die Höhe zu treiben. Ganz gemächlich umrundete der Frachter das Horn von Afrika. Priegnitz verlor die Freude an der kommerziellen Schifffahrt, ein Spielball der Weltpolitik wollte er nicht sein. Er ging an Land und meldete sich bei der Bundespolizei.

Vier Jahre lang ließ er sich zum Beamten ausbilden, dann wurde er Zugführer einer Wasserwerfereinheit. Eines Tages wurde sein Zug eingeteilt, um bei einer Demonstration gegen das Kernkraftwerk Brokdorf aufzuräumen. Priegnitz stellte sich die Gewissensfrage. „Ich war ausgebildet, um Demonstranten zu bekämpfen“, sagt er. „Zugehörig fühlte ich mich aber der Gegenseite.“ Priegnitz entschied sich, den Einsatz zu verweigern, und wurde strafversetzt. Bei der Polizei sah er keine Zukunft mehr.

Er ließ sich die Haare wachsen, trug Bart und begann eine Lehre als Bootsbauer. „Im Herzen bin ich das bis heute geblieben“, sagt er. Gerade baut er eine Werft am Meldorfer Hafen, wo er schon als Jugendlicher ein Segelboot hatte.

Zweite Geburt

Im September 2009 lag Rüdiger Priegnitz 30 Stunden im Koma. Bei einer Dachsanierung war er aus acht Metern Höhe auf Beton gefallen. Seine Lunge war gequetscht, seine Schultern zerborsten, seine Gehirnleistung ist seither um 20 Prozent reduziert. Gebrochen waren alle Rippen – nicht aber sein Wille, ökologischem Bauen und Sanieren in Schleswig-Holstein zum Durchbruch zu verhelfen. Seit seinem zweiten Geburtstag, wie Priegnitz den Unfall nennt, schuftet er mehr denn je.

„Seit drei, vier Jahren interessieren sich auch ganz normale Leute für ökologisches Bauen“, sagt Priegnitz. Ein Umdenken habe stattgefunden, auch als Folge von Umweltkatastrophen. „Endlich hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass Dämmung nicht nur eine Gewissensfrage ist.“