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Archiv-Artikel

Radikales Experimentierfeld

STADTENTWICKLUNG Vor 15 Jahren gründete sich das Kollektiv Raumlabor Berlin. Die Architekten arbeiten an der Stadt von morgen – mit Installationen und Eingriffen, die eher an Kunst erinnern. Ein Bürobesuch

VON NINA APIN

Kein Fahrstuhl, vollgeschmiertes Treppenhaus, die Klingel neben der Blechtür hängt schief: Repräsentativ kann man die Büroräume von Raumlabor beim besten Willen nicht nennen. Aber schließlich ist Raumlabor Berlin auch kein normales Architektenbüro, sondern ein Kollektiv, das mit seinen Arbeiten die Grenzen zu Kunst, Theater und Städtebau auslotet. Seit 15 Jahren.

Eigentlich wäre das Jubiläum ein Grund zum Feiern. Aber die taz-Anfrage zum Jubiläum hat Raumlabor einigermaßen kalt erwischt. Zeit für feierliches Innehalten habe man bisher nicht gehabt, heißt es am Telefon. Aber Lust auf einen Plausch über die letzten anderthalb Dekaden – warum nicht? Nur Zeit müsse man mitbringen. „Wir sind viele und alle gleichberechtigt – das dauert etwas.“

Die Kunst-Architekten von Raumlabor sind bekannt geworden mit aufsehenerregenden Objekten und Aktionen: Sie haben einen Berg in den abrissreifen Palast der Republik hineingebaut, eine gigantische Blase als Instant-Architektur durch New York gefahren, eine monumentale Höhle aus Sperrmüll in eine Darmstädter Parkanlage gebaut. Sie mögen es groß, amorph, knallig.

Dagegen wirkt das Domizil im Dachgeschoss einer ehemaligen Lkw-Reparaturwerkstatt in Treptow geradezu konventionell: vier großzügige Räume voller heimeligen Chaos. Etwa 15 Menschen arbeiten an Computern, telefonieren, kopieren, zeichnen. Nur im Besprechungszimmer, aus dem man auf die Ausläufer die Schlesische Straße schaut, steht eine aus Stoffwülsten und Metallgitter gebaute Sitzgelegenheit – Überbleibsel einer temporären Messearchitektur, die Raumlabor ins Berliner Kongresszentrum baute.

Irgendwo dazwischen

Markus Bader und Jan Liesegang, zwei von vier Gründungsmitgliedern des Kollektivs, das sich anfangs in einer Ladenwohnung in Mitte traf, sind die ersten, die sich im Besprechungszimmer eingefunden haben. Aus den Fenstern hat man die ganze Umgebung im Blick: die Ausläufer der Kreuzberger Klubmeile Schlesische Straße auf der einen Seite. Auf der anderen die Spree mit der Skyline Friedrichshains. Wieder irgendwo dazwischen.

Ein Status, der nicht unbedingt selbst gewählt ist, sagt Markus Bader, der mit kleinen Augen und verstrubbeltem Haar aussieht, als wäre er gerade eben erst aus dem Bett gefallen: „Wir werden immer als „die anderen“ gesehen: Für die Theaterleute und Künstler sind wir Architekten. Für die Architekten und Stadtplaner sind wir Künstler. Dabei wollen wir das Trennende zwischen all diesen Feldern überwinden.“

Alle bei Raumlabor haben Architektur studiert. Doch von Anfang an war klar, dass man keines dieser üblichen Wettbewerbsbüros werden wollte. Lieber stürzte man sich auf Themen, die in der Luft lagen: temporäre Architektur für Kunst-Zwischennutzungen, Planungen für die Schrumpfenden Städte des Ostens, die Eroberung der Innenstädte.

Jan Liesegang, auch er trägt die Frisur strubbelig und ein zerknittertes Hemd, erinnert sich: „Als wir studierten, machte sich die Erkenntnis breit, dass uns der Sozialismus wohl nicht retten wird. Aber es blieb unklar, was an die Stelle der großen Utopien treten würde. In dieser Ungewissheit entstand viel Neues in der Literatur, in der Kunst. Auch in der Architektur entstanden daraus andere Ansätze, wie man mit Stadt umgeht.“

Als Akt der Stadtaneignung setzte sich das Quartett, zu dem damals Andrea Hofmann und der inzwischen verstorbene Matthias Rick gehörten, mitten ins Scheunenviertel und nutzte den Ort als Stützpunkt und Ideengenerator.

Das erste Projekt der Gruppe war – eine Ausschreibung: ein Theaterfestival im Plattenbauviertel Halle Neustadt. Ein Hotel in einer leerstehenden Platte, betrieben von Jugendlichen. Raumlabor organisierte und baute am Hotel mit, installierte „Aktionsknoten“ als neue Treffpunkte, baute einen Fahrradparcours aus alten Türen. Ein erster Erfolg, von außen betrachtet: Das Medienecho war positiv, der Name Raumlabor eingeführt. Bader erinnert sich eher an einen mühsamen Lernprozess: „Wir hatten neun verschiedene Projekte geplant, aber keins davon kam zur Durchführung, weil wir sie alle vorher zerredet haben.“ Seitdem mache man es umgekehrt: erst machen, dann diskutieren.

Raumlabor Berlin besteht heute aus acht Partnern, dazu diversen Angestellten, freien Mitarbeitern und Praktikanten. Das Etikett „Kollektiv“ führt freilich in die Irre, eher könnte man von einer losen Struktur sprechen. Jeder kann eigenverantwortlich Projekte anstoßen und durchführen – auch gegen den Widerstand von Kollegen, wie Jan Liesegang erzählt. Umstritten sei zuletzt ein Festival in einem Gefängnis gewesen. Und die Teilnahme an einem Wettbewerb für das neue Axel-Springer-Domizil. „Die Kritik muss dann allerdings bei der Durchführung mit eingearbeitet werden“, so verlangt es die Hausregel. Auch wenn nur zwei Mitglieder beteiligt sind: Es steht am Ende immer Raumlabor auf dem Produkt.

„Es gibt eine große Entspanntheit, was die Autorschaft angeht“, betont Liesegang. Man sei ohnehin befreundet, „für klassische Konflikte ist in unserer Struktur kein Platz“. Ein Teil des Honorars wird in eine Gemeinschaftskasse eingezahlt, aus der Ausstellungen, Publikationen und die Pressearbeit finanziert werden. Zur Zeit ist Raumlabor mit Aktionen, Ausstellungen und Vorträgen in Montreal, Berlin, Köln, Leipzig, Helsinki und Durban präsent. Um da noch einigermaßen den Überblick zu behalten, trifft man sich beim Mittagessen. Oder bei den neu eingeführten „Friday Lectures“, wo externe Gäste zum Vortrag kommen.

Aller Umtriebigkeit zum Trotz – zuletzt hatte man die Raumblase „Küchenmonument“ an die Berlinische Galerie gebaut und eine Parade auf der Trasse der zukünftigen Autobahn 100 veranstaltet – wird Raumlabor in Berlin noch immer mit dem „Berg“ assoziiert. Die temporäre Rauminstallation belegte 2005 den todgeweihten Palast der Republik und machte ihn zum Erlebnisort: Man konnte die von innen beleuchtete Struktur besteigen, darin campen und auf einem künstlichen See fahren.

Bader und Liesegang freuen sich über das Langzeitgedächtnis. „Der Berg war grandios“, findet Liesegang. Nur sechs Wochen Vorlauf habe man gehabt. Und trotzdem sei es gelungen, einen Ort zu schaffen, der Spaß machte, Menschen zusammenführte, Diskussionen anstieß.

Und ein Thema ins öffentliche Bewusstsein holte: den Streit um die Neugestaltung der Stadtmitte. Dass das Barockschloss den Palast der Republik am Ende verdrängt hat, ist für Markus Bader ein Beispiel dafür, dass Berlins Stadtplanung in die falsche Richtung steuert, zurück in eine vermeintlich gute alte Zeit. Man hätte, sagt Bader, aus dem Palastgerippe einen Fun Palace machen können. Für all die losen Kreativgruppen, die „Freie Szene“ genannt werden und mit denen sich die Stadt gern schmückt.

Aber: „Der Supertanker Berlin hat eine andere Fahrtrichtung: Man restauriert aufwändig Opern. Und der Freien Szene gönnt man allenfalls ein paar Brosamen. Eine Denkart, zu der ein Barockschloss perfekt passt.“

Liesegang, der kürzlich auf einer Städtebaukonferenz in Yale war, berichtet, man habe dort „total abgelästert“ darüber. „Von außen betrachtet ist dieser Schlossbau absurd und läuft total konträr zu dem experimentellen Image, das die Stadt hat.“

Berlin sei auf dem besten Weg, eine durch und durch langweilige Stadt zu werden, sagen die beiden Raumpioniere. Der kreative Nährboden, von dem Berlin immer gelebt habe, drohe langsam auszutrocknen. Da helfe es auch nicht, ein paar Atelierhäuser zu bauen. „Das führt zu einer Zentralisierung und Gettoisierung“, sagt Bader: „Anstatt die Stadt als Handlungsraum zu verstehen, verschanzen sich Künstler dann in ihrer Trutzburg und wollen mit der struppigen Welt mit ihren hohen Mieten möglichst wenig zu tun haben. Die Perspektiven sind dabei, sich radikal zu verschieben und damit auch die Selbsteinschätzung.“

Man hört den beiden an, dass sie ihr Engagement an Orten wie dem Tempelhofer Feld oder dem Kulturforum etwas müde gemacht hat. Müde von Stadtplanern, die Bürgerbeteiligung als lästig empfinden. Von Politikern, die nicht in der Lage sind, günstigen Lebensraum zu erhalten. Von einem Diskurs, der immer um Geldknappheit und Problemflächen kreist. Während gleichzeitig der öffentlichen Raum, auf dem sich doch die Menschen einer Stadt treffen sollen, immer mehr eingehegt und beschnitten wird. „Zum Glück waren wir von Anfang an nie auf Berlin beschränkt“, sagt Markus Bader.

Dass der Görlitzer Park als urbane Katastrophe diskutiert wird und ausgerechnet das umzäunte und von einer GmbH gemanagte Tempelhofer Feld immer wieder als Vorbild dient, halten die Raumpioniere für eine Katastrophe. Sie haben die Öffnung des Felds in mehreren Projekten begleitet. Ihr letzte Installation „Junipark“, die um die Wohnsituation von Jugendlichen kreiste, haben sie abseits aufgebaut, in der Einflugschneise. „Keine Lust, uns dem Vertragswerk einer gewinnorientierten GmbH zu beugen“, sagt Bader trotzig. Er verstehe nicht, warum man Tempelhof nicht „viel radikaler als städtisches Experimentierfeld“ hätte denken können. „Menschen sich einen Ort aneignen zu lassen, das ist doch auch eine Art von Stadtplanung. Nur hat man das hier immer noch nicht gemerkt.“

Gerade als die Stimmung im Konferenzzimmer depressiv zu werden droht, kommt der taz-Fotograf. Gruppenbild auf dem Flachdach, von dem aus man ein grandioses 360-Grad-Panorama über Friedrichshain, Kreuzberg und Treptow hat. Alle kommen mit, die Praktikantinnen und Praktikanten, die Neuzugänge, die Altgedienten. Es wird Englisch gesprochen, gescherzt. Und bei der Gelegenheit auch durchgewechselt: „Es ist ja immer so eine Sache mit dem Kollektiv“, sagt einer spöttisch im Vorübergehen. „Am Ende reden doch immer ein paar wenige.“

Für diese Aussage wird Benjamin Foerster-Baldenius sofort in die Pflicht genommen. Zu ihm gesellen sich noch Andrea Hofmann, Frauke Gerstenberg und Christof Mayer. Zeit, das Grundsätzliche zu erklären an Raumlabor. Die Visionen. Obwohl Raumlabor eigentlich keine haben wollen. Und doch: Architektur sei für sie die Suche nach der Stadt von morgen, heißt es auf der Website. Also doch eine Vision?

„Die Stadt von morgen, das ist für uns kein fertiges Bild, sondern ein Prozess, für den wir als Architekten höchstens die Rahmenbedingungen schaffen können“, erklärt Christof Mayer. Es gehe weniger um ein Produkt, als um eine Haltung zur Stadt, die man beeinflussen wolle, sagt Andrea Hofmann. „Es geht weniger ums Gebaute, sondern darum, was in der Stadt passiert. Wie Menschen ihr Zusammenleben gestalteten“, ergänzt Benjamin Foerster-Baldenius.

Die Antworten kommen kurz nacheinander. Ein kollektiver Denkprozess. Keiner fällt dem anderen ins Wort. Frauke Gerstenberg: „Wir beanspruchen keine Lösung, wir stellen nur Fragen mit unserer Arbeit.“ Foerster-Baldenius: Wir bauen lediglich Gefäße zum Nachdenken über die Gesellschaft, nicht welche zum Wohnen oder Arbeiten.“ Andrea Hofmann: „Manchmal stoßen wir nur ganz kleine Handlungen an, etwa, indem wir Orte verknüpfen, die bisher stadträumlich getrennt waren. Wir rütteln an einer Situation, küssen Geschichten von Orten frei, und stellen damit eine neue Sicht auf den Ort her.“

Dysfunktionale Orte

Wie bei der Oper, die Raumlabor auf einer Verkehrsinsel in Mühlheim organisierte. Oder einer Kochstation am Kreuzberger Wassertorplatz – dysfunktionale Orte ziehen das Kollektiv an wie die Motten das Licht.

Allerdings feiert Raumlabor nicht das Hässliche, wie es etwa der wesensverwandte Volksbühnen-Bühnenbildner Bert Neumann gern tut. Im Gegenteil: Vieles ist ausgesprochen dekorativ, etwa die dehnbaren, von innen beleuchtbaren Kunststoffblasen, die Raumlabor zu den verschiedensten Gelegenheiten entwickelte.

Man müsse schon aufpassen, sagt Liesegang, der sich wieder in den Konferenzraum geschlichen hat, dass man nicht missverstanden werde: „Bei uns haben schon Kaugummihersteller oder Alcopop-Produzenten angefragt, ob wir ihnen nicht auch so eine schöne rosa Blase bauen können.“ Ja, aber nichts gegen hübsche Oberflächen, sagt Bader, der ebenfalls wieder im Türrahmen aufgetaucht ist. „Wir leben eben in einer Welt der glossy Bilder und wollen, dass unsere Aktionen gut fotografierbar sind. Man muss halt aufpassen, dass es nicht oberflächlich wird.“ Für so etwas wie die Mauerfall-Ballonaktion würde man sich etwa nie hergeben. Zustimmendes Nicken im Raum. Dann ein Einwand: „Ach ja, aber für Springer wollen wir schon einen Park gestalten?!“ Das mit Springer müsse man differenzierter sehen, schließlich …

Aus dem geordneten Interviewtermin ist nun doch ein Plenum geworden. Das Kollektiv diskutiert über Möglichkeiten, Grenzen, Sichtweisen. Zumindest Teile davon: Im Nebenraum werden bereits wieder neue Projekte entworfen. Der Tanker Raumlabor Berlin fährt weiter. Die grobe Richtung ist klar. Kleinere Kurskorrekturen werden unterwegs durchgeführt. Bei voller Fahrt.