Idylle zu Dumpingpreisen

Masse statt Klasse scheint das Motto bulgarischer Tourismuspolitik zu sein, schnelles Wachstum der einzige Weg aus der provinziellen Randlage. Lieblose Touristenburgen machen auch vor dem bulgarischen Strandscha-Nationalpark nicht halt

VON DIRK PFEFFER

„Die Investoren würden am liebsten so nahe ans Meer bauen, dass die Touristen direkt vom Balkon ins Meer springen können“, erzählt uns ein älterer Mann nicht ohne Galgenhumor in Tzarevo, der Hauptstadt der gleichnamigen Region im äußersten Südosten Bulgariens. In der Grenzregion zwischen Bulgarien und der Türkei befindet sich der Nationalpark Strandscha, benannt nach dem gleichnamigen Gebirge. Hier gedeihen über die Hälfte aller in Bulgarien bekannten Pflanzenarten, es ist die Heimat von Steinadlern, Schwarzstörchen und Bienenfalken. Zahlreiche Fischarten tummeln sich in den drei Flüssen Ropotamo, Weleka und Resowska, die auf Nationalparkgebiet in das Schwarze Meer münden. Doch die Idylle ist in Gefahr.

Im April dieses Jahres sollte das Gesetz zum Schutz der Schwarzmeerküste in Kraft treten. Damit wollten die Bulgaren der wilden Bebauung an ihrer Küste ein Ende setzen. Doch Bauunternehmen und Politiker haben sich wieder einmal durchgesetzt. Das Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz der nur 380 km langen Küste wurde auf 2008 verschoben. Unterdessen geht der Bauwahn südlich der bulgarischen Hafenstadt Burgas weiter. Ohne Rücksicht auf Kultur oder Natur sprießen dort Betonburgen wie Pilze aus dem Boden.

Nachdem der Bauboom am Schwarzen Meer, vor allem im nördlichen und zentralen Teil der Küste, langsam an seine Grenzen gerät, haben Investoren die Strände im Strandscha-Nationalpark ins Visier genommen. In den schönsten Buchten, wie der „Butamiata“ in Sinemoretz, sind bereits Bettenburgen mit 500 Betten entstanden, All inclusive, versteht sich. Ein paar Meter weiter an der Mündung der Weleka enstehen Ferienwohnungen für ausländische Touristen, lieblos hochgezogen, ohne Rücksicht auf die Natur.

Masse statt Klasse scheint das Motto der Verantwortlichen zu sein und schnelles Wachstum der einzige Weg aus der provinziellen Randlage. So behauptet der verantwortliche Bürgermeister für die Region, Petko Arnaudow (BSP), ein Mann der alten Schule, für seine Region gebe es nur den eingeschlagenen Weg. Er spricht von der Armut der Gegend, seiner jahrzehntelangen Randlage und den Vorteilen des Tourismus für die Einwohner. Deshalb hat er gemeinsam mit Bauunternehmern vor Gericht gegen das 1995 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz des Nationalparks geklagt und vor dem Obersten Gericht in Sofia Recht bekommen. Arnaudow will drei Prozent des Schutzgebietes zur Bebauung freigeben, um seinen Einwohnern die Chance zu geben, vom Aufschwung zu profitieren. Zwei bis drei Prozent, das könne der Natur doch nicht schaden, fügt er hinzu, ohne zu erwähnen, dass es sich hier um den Küstenstreifen des Strandschagebiets handelt. Arnaudow sieht sich als Entwickler der Region, Klagen von Umweltschützern oder die zunehmenden Proteste gegen den Ausverkauf der Küste lassen ihn kalt.

Ganz anders beurteilt die junge Journalistin Swetoslawa Banchewa die Lage. In ihren Artikeln für die ihn Sofia ansässige Zeitung E-Westnik versucht sie die bulgarische Bevölkerung über die Machenschaften von Politkern und Baumafia aufzuklären. Sie spricht ganz offen von gefälschten Baugenehmigungen und Korruption. Ihrer Ansicht nach wirft das Geschäft mit Bauland höhere Gewinne ab als Drogen- oder Schwarzmarktgeschäfte. Von einem Volumen von 3,5 Milliarden Euro ist die Rede. Dazu kommt, dass das für April geplante Inkrafttreten des „Gesetzes über die Bebauung der Schwarzmeerküste“ verschoben wurde. Dieses Gesetz soll zum ersten Mal verbindliche Vorschriften zur Bebauung der Schwarzmeerküste Bulgariens festlegen. So sollen in einem Abstand von einhundert Metern zur Küste nur zweistockige Bauten, bis zu einem Abstand von zwei Kilometer nur noch vier Stockwerke erlaubt sein, bestehende Gebäude und bewilligte Projekte davon ausgenommen.

Infolge dessen gehen die Bauarbeiten jetzt noch schneller voran. In Windeseile wird Tag und Nacht gebaut, um die Hotels noch in diesem Jahr schlüsselfertig zu bekommen. In Warwara kam ein Bauunternehmen mit dem zweifelhaften Namen „Crash 2000“ mit Hilfe einer gefälschten Unterschrift des stellvertretenden Umweltministers Jordan Dardow (DPS) zu einer Baugenehmigung und rodete direkt an der Küste ein Waldgebiet in einer Größe von 10.000 m[2]. Die Rohbauten stehen bereits und trotz offiziellem Baustopp und einer Geldstrafe für Crash 2000, laufen die Bauarbeiten weiter, als sei nichts geschehen.

Einige Menschen in der Region stehen hinter den zwielichtigen Bauprojekten, sie hoffen von der touristischen Erschließung profitieren zu können, etwa durch die Umwandlung von Agrar- zu Bauland oder durch die Entstehung von neuen Arbeitsplätzen in der Tourismusbranche. Die meisten aber sind unentschlossen, sie möchten ihre Natur am liebsten so ursprünglich wie möglich erhalten, erhoffen sich vom Tourismus aber eine Verbesserung ihrer Infrastruktur und ihrer Lebensbedingungen. Anders ist die Stimmung in den großen Städten des Landes. Hier häufen sich spontane Proteste und Kundgebungen, die nicht nur von Naturschützern und Ökologen unterstützt werden, sondern zunehmend auch von der jungen Bevölkerung. Sie kritisieren das Konzept der Tourismusmacher, das einzig und allein auf Pauschal- und Billigtouristen abzielt. Ihrer Meinung nach ist die Infrastruktur durch die Hotelburgen inzwischen völlig überlastet. Abwässer und Fäkalien übersteigen die Kapazität der wenigen Kläranlagen, anderen Orts gelangen sie ungeklärt ins Schwarze Meer.

Kritiker wie die Journalistin Swetoslawa Banchewa setzen daher ihre Hoffnung auf eine Neuauflage des Strandscha-Verfahrens vor Gericht. Getragen von Oppositionspolitikern und öffentlicher Meinung wurde im Juli ein Revisionsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof angestrengt. Die Entscheidung soll im September fallen. Ginge es nach ihr, sollte für die Strandscharegion ein alternatives Tourismuskonzept entwickelt werden. Nachhaltigkeit und Rücksicht auf die Natur sollten dabei an erster Stelle stehen. Sie wünscht sich neben den Pauschaltouristen Besucher, die sich an der alten thrakischen Kultur und deren Traditionen genauso begeistern können wie an der naturbelassenen Landschaft mit ihren Dünenlandschaften, Flussmündungen und wilden Stränden.

Von der Regierung in Sofia fordert sie, die Grenzregion wirtschaftlich zu unterstützen, um eine Alternative zum Tourismus zu schaffen. Dann würden die Menschen hier ihr Land auch nicht mehr zu Dumpingpreisen an gerissene Geschäftemacher verscherbeln, die aus der Armut der Einwohner und der Gewissenlosigkeit der Politiker Profit schlagen.

Etwas sarkastisch gibt uns der alte Mann aus Tzarevo mit auf den Weg: „Unser Bürgermeister träumt schon davon das Meer zu verkaufen, von der Küste ist bald nichts mehr übrig.“