REAKTION IN DER TÜRKEI : Satanische Verse
Das Attentat auf unsere französischen Karikaturisten-Freunde hat eine tiefe Wunde in unsere Herzen gerissen“, so die Stellungnahme der Autoren-Vereinigung in der Türkei, die auch zu einem Trauermarsch für die Opfer des Anschlags auf Charlie Hebdo aufgerufen hat. Die NGO wurde 1974 auf Initiative des Dichters und Satirikers Aziz Nesin gegründet, der zeitlebens auf der Abschlussliste islamischer Fundamentalisten stand.
Nesin war Herausgeber der türkischen Version von Salman Rushdies „Die satanischen Verse“, deren Lesung auf einem alewitischen Kulturfestival am 2. Juli 1993 zum Massaker von Sivas führte. Nach dem Freitagsgebet zog eine aufgepeitschte Menge zu dem Festivalort, blockierte die Ausgänge und steckte das Gebäude in Brand. 37 Menschen starben, Aziz Nesin überlebte und starb zwei Jahre später 1995 an einem Herzinfarkt.
Dieser nie aufgearbeitete Brandanschlag steht für den Bruch, der sich auch dieser Tage in der türkischen Berichterstattung zu dem Attentat in Paris erkennen lässt. Während demokratische Medien den Anschlag auf Charlie Hebdo verurteilen, verbreiten regierungsnahe Journalisten Verschwörungstheorien und doppeldeutige Botschaften an türkische Satiremagazine, die aus dem Anschlag „ihre Lehre ziehen“ sollen.
Satiremagazine wie Leman, Penguen und Uykusuz genießen in der Türkei große Popularität und nehmen die islamisch-konservative AKP-Regierung aufs Korn. Leman erneuerte am Donnerstag ihre 2002 erschienene Sonderausgabe online, die in Kooperation mit Charlie Hebdo entstanden war – auf deren Titel war der nun ermordete Karikaturist Georges Wolinski in einem türkischen Bad zu sehen. Leman-Chefredakteur Tuncay Akgün schreibt dazu: „Dieser Anschlag galt uns allen.“ FATMA AYDEMIR