: In die Sitzgruppe geklebt
GEFÜHLSDRAMA Zurück zum Ernst: Leander Haußmann inszeniert nach acht Jahren Bühnenpause wieder – Henrik Ibsens „Rosmersholm“ an der Berliner Volksbühne. Inklusive Schauspielerstars und viel Bekenntnistheater
VON SIMONE KAEMPF
Zwischenzeitlich schien er tatsächlich dem Theater den Rücken gekehrt zu haben. Bis auf eine szenische Einrichtung von Sven Regeners „Der kleine Bruder“ mit Studenten der Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule vor zwei Jahren, die partout nicht als Premiere angekündigt war. Aber nun inszeniert Leander Haußmann erstmals wieder. An der Volksbühne, mit Aufmerksamkeit weckender Schauspielerbesetzung. Die Pause schmilzt plötzlich zur Kunstpause.
Großer Andrang, großes Interesse. Ein Dreieinhalbstundenabend auch noch, alles schien möglich: großes Gefühlsdrama, Parodie auf ideologieverblendete Lebensanschauung, alles auch komödiantisch abgefedert. Und das mit einer Hauptfigur, die man sich mit etwas Fantasie sogar gut in Leander Haußmanns Regie vorstellen kann: Johannes Rosmer, ein ehemaliger Pfarrer, der nach dem Tod seiner Frau mit einer anderen zusammenlebt und sich von gesellschaftlichen Zwängen freigemacht haben will, die ihn natürlich immer noch umgeben.
Das Bühnenbild atmet dann allerdings überraschend viel alte Zeit. Biedermeierliche Stühle und ein Sofa, links ein Grammofon, eine Konsole, darüber ein Gemälde der verstorbenen Frau Rosmer. Ein wenig stilisiert von Bühnenbildner Uli Hanisch, der Filme wie Tom Tykwers „Das Parfum“ oder Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ ausgestattet hat, gleichzeitig aber auch historisch ernst gemeint. Durch den Fokus einer Filmkamera mag sich darüber schnell vom Geist einer Zeit erzählen lassen. In den offeneren Theatersituation reichen solche Details nicht aus, um eine imaginäre Welt zu erschaffen. Es braucht andere Kräfte, und es gibt sie anfangs sogar: in Person der großartigen Margit Carstensen als Haushälterin. Wie sie mit einem Fingerschnipp die elektrischen Kerzen anspringen lässt oder auf der Suche nach dem richtigen Ausgang herumirrt, das signalisiert mit jeder Faser, dieser Spielsituation gehörig auf den Puls zu fühlen.
Aber weitere widerständige, selbstironische Momente bleibt Leander Haußmann in seiner „Rosmersholm“-Inszenierung schuldig. Es ist ein Sprech- und Bekenntnistheater geworden. Über weite Strecken kleben die Figuren in der Sitzgruppe und reden. Reden darüber, wie geistige Radikalität draußen zunimmt, sich Gesinnungen wandeln und selbst auferlegte Verbote über allem schweben.
Das könnte spannend sein, aber dieses Reden bleibt auf dem Sofa szenisch gänzlich unverbrieft. Man spürt nicht, dass die Figuren durch die Ereignisse in der Vergangenheit geprägt sind, spürt genauso wenig von der unterschwelligen Aufladung der Beziehungen untereinander. Die Inszenierung hängt viel zu dicht am Text, gefüllt mit durchaus sympathischen Figuren. Annika Kuhl als Rebekka West, die seit dem Tod von Rosmers Frau an seiner Seite lebt und an ihrem Ableben vielleicht sogar mitgeholfen hat, ist nicht die berechnende Intrigantin, sondern ein modern-leutseliges Mädchen. Peter Lohmeyers Johannes Rosmer ist daneben eher eine trockene Figur, steif in den Anzug geklemmt. Dass er seine Gesinnung gewechselt, als Abtrünniger in politische Lokalintrigen geraten ist und doch auch eine Selbstbefreiung erlebt – man ahnte es nicht, wäre nicht so viel die Rede davon.
Wie er umständlich nach seinem Zwicker sucht, sich dann tief über die Zeitung beugt und aus dem Schmähartikel über ihn liest, das zeigt den ganzen Umgang der Inszenierung mit Ibsens Stück: den Figuren plan vor die Nase gehalten. Die Inszenierung entwickelt im zweiten Teil dann sogar mehr Dichte, aber es geht kein Denkraum auf. Das schwergewichtig Dunkle umgeht Haußmanns Regie, aber Leichtigkeit schafft sie auch nicht. So bleibt die massive Holztreppe im Hintergrund auf der Drehbühne das abgründigste Element. Die schweren Stufen winden sich zentralperspektivisch nach oben ins Nichts. Und am Ende steigt das verkappte Paar Rebekka und Rosmer Hand in Hand nach oben, vielleicht in den Tod, vielleicht in die Ehe. Ein symbolisch hochgefahrenes Schlussbild mit ganz schön viel Aufwand dafür, dass die Bilanz eher nüchtern ausfällt.
■ Wieder am 24./25. September, 7./13./21. Oktober, jeweils 19.30 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz