Entsorgung durch Modernisierung

Der Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim ist eines der Symbole, die für den Deutschen Herbst stehen. Jetzt soll er abgerissen werden

In einem seiner besten Songs – „Bei Nacht“ – beschreibt Rio Reiser 1986 die Bundesrepublik leise und ironisch als „schönes Land“. Nicht nur „Berge und Täler“, „Wiesen und Felder“, der „Rhein und die Elbe“ gehören dazu, sondern auch „Stammheim und Godesberg“. Ein lyrisches Statement, das die beiden Symbole der alten Bundesrepublik zueinander in Stellung bringt. Dort der Bonner Vorort, Symbol der rheinischen Sozialdemokratie, hier der Hochsicherheitstrakt, Symbol des Deutschen Herbstes – so sah es der 1996 verstorbene Ex-Frontmann der Szeneband „Ton Steine Scherben“.

Damit soll Schluss sein. Geht es nach dem Willen der Stuttgarter Lokalpolitik, wird das Hochhaus mit seinem berühmten siebten Stock, in dem einst die RAF-Promis einsaßen, in Bälde kleineren, funktionaleren Justizgebäuden weichen. Die Modernisierung der Anstalt dürfte jedoch nur ein Grund für den Abriss sein. Mit Stammheim würde auch das entsorgt, was Reisers Lied anklingen ließ – eine Architektur, die an Radikalität hinter der der RAF kaum zurücksteht.

Wie immer man diesen Ort empfindet, Tatsache ist: Stammheim ist ein Teil der deutschen Geschichte, dessen man sich nicht unter einem Vorwand entledigen kann. 30 Jahre nach dem Deutschen Herbst sind nun die Denkmalschützer gefragt: Wäre es nicht klug, schlügen sie vor, den Knast der Knäste von der Unesco zum Weltkulturerbe zu erklären? UWE RADA

UWE RADA, Jahrgang 1963, ist seit 1994 Redakteur bei der taz. Er beschäftigt sich vor allem mit Stadtentwicklung und dem Nachbarland Polen