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Archiv-Artikel

Ein bisschen Talent genügt nicht

KRIMITHEATER Der junge Regisseur Jan-Christoph Gockel versucht sich im Schaubühnen-Studio an Patricia Highsmith’ „Der talentierte Mr. Ripley“

Während Axel Prahl und Jan Josef Liefers im Münsteraner „Tatort“ ihre Krimi-Komödie mutmaßlich gewohnt pointenreich abspulen, lädt die Berliner Schaubühne zum Krimi-Alternativ-Programm. Premiere feiert die Theateradaption von Patricia Highsmith’ 1955 erschienenem Roman „Der talentierte Mr. Ripley“, der zuletzt 1999 von Anthony Mighella mit Matt Damon und Jude Law prominent verfilmt wurde. Im Schaubühnen-Studio inszeniert nun der junge Regisseur Jan-Christoph Gockel (Jahrgang 1982), der am selben Ort schon diverse Uraufführungs-Häppchen des „Deutschlandsaga“-Projekts von 2007/08 gewuppt hat.

Highsmith stellt nicht die Aufklärung eines Falles ins Zentrum, sondern folgt dem Mörder, jenem mit Talent zu Anpassung und Nachahmung ausgestatteten Tom Ripley, gräbt sich tief in die Windungen seiner Psychologie und lässt den Leser Anteil nehmen am Schicksal ihres ambivalenten Helden: Von dem reichen Reeder Greenleaf wird er von New York nach Europa geschickt, um dessen Sohn Dickie zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen. Der jedoch frönt in Italien mit Freundin Marge dem Dolce Vita, dem Jazz und der Malerei – zu der er leider überhaupt kein Talent hat. Schon bald hat Tom sich zu Dickies engem Freund und ständigem Gast emporgeschmeichelt, reist mit ihm durch die Gegend und treibt Marge mit dieser andeutungsweise homosexuell aufgeladenen Männerfreundschaft Eifersuchtsfalten auf die Stirn. Als bei Dickie Misstrauen und Überdruss aufzukommen drohen, beschließt Tom, ihn zu töten und seine wohlstandsgepolsterte Identität anzunehmen.

Diese Geschichte eines talentierten Aufsteigers zu erzählen, der den untalentierten Millionärs-Sprössling umbringt, um sich dessen Leben zu stibitzen, könnte durchaus ein spannendes, heutig-triftiges Projekt abgeben. Da wäre die Sozialneid-Story, auf die man es hätte zuspitzen können – der Underdog holt sich sein Stück vom Kuchen. Auch intensiver Psycho-Suspense wäre möglich gewesen. Beides aber lässt Gockel ziemlich weit links liegen. Und interessiert sich noch am ehesten für die Dreiecksgeschichte, für das unbeholfene Heranwanzen Toms und den mühsam weggelächelten Ausgeschlossenheits-Schmerz Marges. In die Tiefe geht er aber auch hier nicht, auf den Seelenpelz rücken uns diese Figuren nicht.

Stattdessen verfertigt Gockel mit seinen drei Schauspielern ein szenisches Leichtgewicht in schön ausgeleuchteter, stilsicher auf 50er Jahre getrimmter Bühne, halb Zimmer-, halb Sandstrand-Setting. David Rulands moppeliger Ripley spuckt beim Reden, pflegt den Watschelgang und lässt den alten Greenleaf, als er ihn imitiert, aus unerfindlichen Gründen heftig sächseln. Sebastian Schwarz räkelt sich als Dickie in überheblicher Unbekümmertheit. Luise Wolframs Marge führt ihre Porzellanhaut in Tellerröcken spazieren und hackt trotzig ihre Reiseführer-Impressionen in die Schreibmaschine. Dazu wehen leichte Brisen aus Schallplatten-Jazz und italienischen Arien vorüber, flackern retrofarbene Fotos im Hintergrund. Hübsch anzuschauen ist das, keineswegs talentfrei, handwerklich solide. Mehr aber auch nicht. Was das Interesse, die Haltung, das Wollen dieses zweistündigen Theaterabends ist, warum er sich diesen Roman-Stoff vornimmt? Man kann es ihm nicht abspüren.

Am Ende wird sogar die Kriminalhandlung ungebührlich verläppert, ohne dass David Ruland in irgendeiner Weise herausgefordert würde, die große Bedrängnis, in die Ripley mit seinem doppelgesichtigen Spiel bei Highsmith zusehends gerät, spielen zu müssen. Marge gibt sich ganz einfach mit der Erklärung zufrieden, Dickie habe Selbstmord begangen. Und Tom Ripley ist fein raus. Dabei zeigt diese Inszenierung, dass ein bisschen Talent keineswegs genügt. ANNE PETER

■ Nächste Termine: 7., 13., 14. Oktober, jeweils 20.30 Uhr, 12., 15. Oktober, jeweils 20 Uhr, Schaubühne am Lehniner Platz