: Es war einmal im wilden Westen
In „Go West, Young Man“ folgen Peter Delpeut und Mart Dominicus den Spuren der Western
Vor ein paar Tagen schrieb Cristina Nord aus Venedig, dass viele Filme des diesjährigen Festivals „den US-amerikanischen Westen heraufbeschwören, die Felsen und die Tafelberge, die Koppeln und die holzgezimmerten Frontier-Städtchen.“ Zum Teil würden sogar die „Narrative und die Topografien des Western“ genützt, um vom Krieg im Irak zu erzählen. Das Genre erlebt also erneut eine Wiedergeburt – deren erstes Anzeichen vor zwei Jahren der Erfolg von „Brokeback Mountain“ war. 2003 schien dagegen die Zeit der Pferdeopern endgültig vorbei zu sein, und so wirkt die in diesem Jahr entstandene niederländische Dokumentation „Go West, Young Man“ wie ein nostalgischer Schwanengesang auf eine in den letzten Zügen liegende Filmgattung. Mit Annie Proulx wurde sogar die Autorin der Kurzgeschichte, auf der „Brokeback Montain“ basiert, interviewt. Aber sie erzählt nur davon, dass in Wyoming auch heute noch die Menschen lieber reiten als reden.
Die Grundidee der beiden Filmemacher Peter Delpeut und Mart Dominicus ist bestechend einfach. Sie wählten stilbildende Western aus, reisten in die Landschaften, in denen sie entstanden und suchten dort nach den Drehorten. Manchmal gelang es ihnen, genau die damaligen Kamerapositionen zu finden, und so sieht man etwa Allan Ladd 1953 in „Shane“ bei Schießübungen und danach den gleichen, kaum veränderten Ausschnitt der Landschaft in Wyoming 50 Jahre später. Im Monument Valley in Arizona ist dagegen der „John Ford Point“ mit dem aus dessen Filmen berühmten Panoramablick inzwischen eine Touristenattraktion. Hier machen jährlich Tausende von Durchreisenden genau die gleiche Aufnahme, auf die es Delpeut und Dominicus ankam. Doch die machten aus der Not eine Tugend und fotografierten die Fotografierenden. Denn ihr Film ist eben keine Stilübung, bei der es um den millimetergenauen Nachbau einer Kameraeinstellung aus Fords „The Searchers“ geht, sondern die Suche nach den Spuren eines Mythos. Dass dieser kaum mit den Fakten übereinstimmt, ist eine Binsenweisheit, die durch Fords Satz „When the legend becomes fact, print the legend“ (den die Filmemacher als so bekannt voraussetzten, dass sie ihn nicht einmal zitieren) in eine fast schon sprichwörtliche Form gegossen wurde. Und so wirkt der Historiker Drew Gomber eher lächerlich, wenn er vor dem historischen Gerichtsgebäude in Lincoln, New Mexico genau zu erklären versucht, dass Billy the Kid dort nicht wie in Sam Peckinpahs Film aus dem Fenster, sondern vom Balkon herunterschoss. Dass er selbst dabei wie ein Westernheld kostümiert für die Kamera posiert, lässt ihn nur noch banaler wirken, und auch sonst haben die beiden Filmemacher einen europäisch scharfen Blick dafür, wie der Mythos vom amerikanische Westen kommerziell ausgeschlachtet und dadurch trivialisiert wird. Ein paar Stuntmen zeigen, wie unterschiedlich man hinfallen kann, wenn man mit einem Colt, einem Revolver oder einem Gewehr erschossen wird und ein Cowboy-Poet rezitiert bei einer Dichterlesung ein kitschiges Gedicht über die Nachtgedanken eines Kuhjungen am Lagerfeuer.
Aber die Filmemacher finden auch in einem Navaho-Reservat einen alten indianischen Western-Darsteller, der in vielen Filmen mitspielte, selbst aber keinen davon je gesehen hat. Und im tiefsten Nevada treffen sie junge Männer, die heute noch als Cowboys arbeiteten, aber nicht so aussehen, als wären sie auf diese schlecht bezahlte Knochenarbeit angewiesen. Auch sie reiten offensichtlich dem Mythos nach. Wilfried Hippen