: „Schwarz-Grün gibt es 2013 nicht“
GRÜNE Wir brauchen die CDU nicht mehr, um die Wirtschaft auf Grün zu trimmen, sagt Winfried Kretschmann
■ Der 63-Jährige ist seit Mai Ministerpräsident Baden-Württembergs – und der erste grüne Regierungschef eines Bundeslands in Deutschland. Kretschmann kommt aus Oberschwaben, ist im Schützenverein und Katholik. Bei den Grünen gilt er als konservativer Vordenker, der aus einer ökolibertären Tradition heraus argumentiert. Er hat innerparteilich immer dafür geworben, auch Koalitionen mit der CDU einzugehen.
INTERVIEW NADINE MICHEL UND ULRICH SCHULTE
taz: Herr Kretschmann, Sie regieren jetzt fast ein halbes Jahr – Zeit für eine schnelle Bilanz. Ist Regierung eigentlich Mist?
Winfried Kretschmann: Nein. Regieren ist eine große und spannende Herausforderung.
Blödes Gefühl, wenn Grüne von Stuttgart-21-Gegnern auf Demonstrationen als „Lügenpack“ beschimpft werden?
Das ist schon eine harte Ansage. Aber ich habe von diesem Ruf schon nichts gehalten, als er noch gegen meinen CDU-Vorgänger Stefan Mappus gerichtet war.
Haben Sie schon einen Freund verloren?
Gott sei Dank noch nicht.
Ihr größter Sieg?
Dass ich im Bundesrat kräftig daran mitwirken konnte, die Bundesregierung zum stufenweisen Atomausstieg zu zwingen.
Ihre größte Niederlage?
Dass wir den Stresstest zu Stuttgart 21 nicht eindeutig gewonnen haben.
Nervt Sie der Kult um Kretschmann?
Nein, er amüsiert mich eher.
Ihre Partei bereitet sich im Bund aufs Regieren vor. Sehen Sie – der im Land immer mit Schwarz-Grün geliebäugelt hat – diese Option für 2013?
Nein. Meine Prognose ist: 2013 wird es keine schwarz-grüne Koalition geben.
Warum nicht?
Mein Anliegen für eine mögliche Koalition mit der CDU war immer, Ökologie und Nachhaltigkeit mit einer wirtschaftsnahen Partei in der Ökonomie zu installieren – und damit in der Mitte der Gesellschaft. Das tun wir jedoch längst, und zwar an der CDU vorbei. Denn die Unternehmen sind bereits viel weiter, als es diese Partei ist. Neulich war ich ja auf der Internationalen Automobil-Ausstellung …
Wo man den Mann, der öffentlich weniger Autos fordert, sicher herzlich begrüßt hat.
Ach, darüber sind die längst weg. Was aber auffiel, ist, dass die Unternehmen inzwischen Autos mit ökologischem Design in den Vordergrund rücken, anders als noch vor ein paar Jahren. Die Wagen sehen aus, als kämen Sie aus Science-Fiction-Heften meiner Kindheit. Die Unternehmen haben – auch in anderen Branchen und auf breiter Front – begriffen, dass grüne Produkte riesige Chancen auf dem Weltmarkt eröffnen. So weit ist die CDU noch nicht.
Das heißt, die Realität hat diese Koalition überholt?
Ja. Die CDU hat den Anschluss an viele moderne Entwicklungen einfach verloren, sie ist orientierungslos. Auch Stuttgart 21 – wo Mappus einen verbohrten, bürgerfernen Kurs fuhr – ist ein Beispiel dafür. Ich denke, Frau Merkel und ihre Partei werden 2013 in der Opposition landen. Da gehören sie auch hin. Denn Opposition ist nicht Mist, sondern die Chance, sich neu zu orientieren. Natürlich wird es auch weiter schwarz-grüne Koalitionen geben, wenn es anders nicht reichen sollte. Aber eben nur dann.
Die erfolgsverwöhnten Grünen haben in Berlin gerade einen kräftigen Dämpfer bekommen. Was haben sie dort falsch gemacht?
Aus meiner Sicht hätte der Zuwachs der CDU, vor allem im Westen der Stadt, nicht sein müssen. Dort lebt das klassische Bürgertum, diese Wähler hätten wir möglicherweise besser in den Blick nehmen müssen. Aber eigentlich kann ich die Berliner Situation zu wenig beurteilen, die Stadt tickt ganz anders als Baden-Württemberg.
Muss nicht eine Lehre lauten: Wenn sich Grüne überschätzen, werden sie bestraft?
Ich habe immer gesagt, das Amt muss zum Mann kommen. Meine Linie muss aber auch nicht in jeder Situation richtig sein. Mir ist in den vergangenen Monaten, die für meine Parteifreundin Renate Künast sicher nicht einfach waren, vor allem eines aufgefallen: Die Umfragen machen mehr Wahlkampf als alle Parteien zusammen.
Was heißt das?
Diesen ständigen Wasserstandsmeldungen sind Sie als Politiker machtlos ausgeliefert. Da gilt ein sich selbst verstärkendes Prinzip: Wer absackt, wird von den Medien runtergeschrieben, die Leute wollen auf der Seite der Sieger stehen – und ähnliche Phänomene. Entweder man hat einen Lauf oder eben nicht. Für Wahlkämpfer ist es fürchterlich, wenn die Umfragen runtergehen, ich habe das ja selbst oft erlebt. Vor allem braucht man eine sehr, sehr große Gelassenheit.
Die Piraten haben ein sensationelles Ergebnis eingefahren. Sind sie für die Grünen gefährlich?
Ich halte die Piratenpartei für ein klassisches Protestphänomen, wenn auch ein durchaus pfiffiges. Dafür gibt es eindeutige Belege: Wer kostenloses S-Bahn-Fahren fordert, gleichzeitig die Verschuldung seiner Stadt nicht kennt und trotzdem von vielen gewählt wird, profitiert von genervten Protestwählern. Muss ja auch nicht schlecht sein, man kann ja froh sein, dass der Protest sich in einer solchen, und nicht in einer rechtspopulistischen Richtung manifestiert.
Wie wichtig ist der Erfolg Ihrer Regierung für die Chance auf Rot-Grün im Bund?
Sehr wichtig. Es ist gar keine Frage, dass wir unter genauer Beobachtung stehen. Insofern tragen wir eine große Verantwortung.
Wie sollen sich die Grünen für eine Bundesregierung aufstellen? Die Partei diskutiert etwa, ob sie den Spitzensteuersatz von 45 auf 49 Prozent anhebt.
Ich bin für einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent. Allerdings unter der Voraussetzung, dass die Grünen nicht gleichzeitig noch andere Steuern erhöhen oder einführen, zum Beispiel eine befristete Vermögensabgabe oder eine Vermögenssteuer. Steuererhöhungen müssen wir sorgfältig gegeneinander abwägen, sonst treffen sie dieselben Kohorten zu stark.
Müssten die Grünen nicht gerade diese Kohorten – nämlich Vermögende – in diesen Zeiten stärker ins Visier nehmen?
Die trifft man mit einem hohen Spitzensteuersatz auch. Eine Vermögensabgabe oder -steuer halte ich für problematisch. Sie ist extrem aufwendig zu erheben. Ihre Einführung würde mehr Aufwand, mehr Personal und letztlich hohe Kosten in den Ämtern bedeuten. Das trifft die Länder, für eine Erhöhung der Spitzensteuer braucht man keine einzige Stelle mehr.
Die Grünen wollen im kommenden Jahr klären, welche Ideen ins Programm kommen und welche zu teuer sind. Was muss an erster Stelle stehen?
Wir müssen in zwei Hauptfeldern investieren: in Bildung und ökologische Modernisierung. Der demografische Druck ist enorm, deshalb müssen wir das Bildungssystem umgestalten. Dabei brauchen wir die Begabung jedes Kindes.
Ökologische Modernisierung wollen Sie auch in Ihrem Bundesland vorantreiben. Was sind Ihre Erfahrungen?
Es tut sich zwar viel in der Wirtschaft, bei uns und in der ganzen Republik. Aber eine Erfahrung aus meiner kurzen Regierungszeit ist, dass alles viel, viel länger dauert, als ich gedacht hätte. Dabei müssen wir aufs Tempo drücken: Das Zeitfenster für einen dramatischen Klimawandel ist noch einmal kleiner, als es mal prognostiziert wurde.
Ein weiteres dickes Brett ist der Dauerstreit um S 21. Im November steht die Volksabstimmung an, das hohe Quorum ist allerdings kaum zu erfüllen. Ist die Abstimmung eine Farce?
Nein. Diese Regierung hat die Entscheidung dem Volk übertragen, eine andere hätte einfach gebaut. Leider konnten wir die CDU nicht dafür gewinnen, das Quorum abzusenken. Politik ist eben die Kunst des Möglichen.
Auch Grüne sagen hinter vorgehaltener Hand: Hoffentlich ist das bald vorbei, wir wollen wieder über anderes reden. Trügt der Eindruck?
Selbstverständlich treten bei so einem Konflikt Ermüdungserscheinungen ein. Das ist ja überhaupt nicht verwunderlich. Wir haben aber, wenn wir verlieren sollten, den Konflikt überhaupt nicht von der Backe. Nehmen wir an, Stuttgart 21 würde gebaut und es tritt alles ein, was wir jetzt als Risiko prognostizieren – dann haben wir richtig Stress.
Sie haben im Wahlkampf versprochen, das Land zahle keinen Cent mehr für das Projekt, jetzt mussten Sie überweisen. War das ein Fehler?
Das war das einzige Mal, dass ich das Maul in der Opposition zu voll genommen habe. Deshalb habe ich hier auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wir gehen – gestützt durch ein Gutachten des Staatsrechtlers Hans Meyer – davon aus, dass die Mischfinanzierung Land/Bund verfassungswidrig ist, die SPD beruft sich auf ein Gegengutachten. Eine klassische Pattsituation.
Finanzierung falsch eingeschätzt, Quorum nicht abgesenkt, ihr Verkehrsminister wollte die Zuständigkeit für den Bahnhofsbau gleich ganz abgeben. Welche Note geben Sie den Grünen bei S 21 bisher?
Befriedigend. Die Frage ist nur, ob das mit der Schulnote so passt. Es ist ein Irrtum zu glauben, man kann in der Politik alles auf Bestnoten hin planen. Es gehört auch immer Fortune dazu.
S-21-Gegner diskutieren, ob sie überhaupt an der Abstimmung teilnehmen sollen. Verstehen Sie ihren Frust?
Nein. Solche Torheiten können den Erfolg zunichte machen. Würde sich eine solche Haltung breitmachen, wäre das fatal. Wir würden uns damit um unseren Sieg bringen, den wir bei S 21 schon eingefahren haben, nämlich den, dass dieser Konflikt die ganze Republik fundamental geändert hat: In Zukunft wird kein Großprojekt mehr einfach von oben nach unten durchgedrückt werden können.
Erwarten Sie von der Protestbewegung, dass sie das Votum der Bürger akzeptiert?
Genauso wie von den Befürwortern. Wer das nicht tut, hat direkte Demokratie noch nicht richtig verstanden.
Die S-21-Gegner sollen dann aufhören zu demonstrieren?
Ich sähe dann keinen Sinn mehr in Demonstrationen. Wogegen denn?
Gegen einen aus Gegnersicht immer noch unsinnigen Bahnhof?
Man kann natürlich ewig weiterdiskutieren. Und ich persönlich werde den unterirdischen Bahnhof nicht plötzlich für gut und richtig halten, sollte sich eine Mehrheit dafür aussprechen. Aber irgendwann müssen Entscheidungen gelten, und wann, wenn nicht dann, wenn das Volk gesprochen hat.