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Archiv-Artikel

Da bleibe ich lieber krank

betr.: „Auch Arme können rechnen“, taz vom 31. 8. 07

Der Himmel bewahre die, welche an den Folgen einer psychischen Erkrankung leiden, vor solchen Fürsprechern, die glauben, sie hätten uns einen Gefallen getan, wenn sie öffentlich verbreiten, nicht nur Arme könnten nicht rechnen, sondern psychisch Erkrankte schon gar nicht.

Rechenbeispiel: Wenn ein psychisch erkrankter Mensch eine Wohnung zu der amtlich tolerierten Bruttowarmmiete von 360 Euro bewohnt, dann bleiben von den für ausreichend vorgeschlagenen 750 netto noch 390 Euro, um den Rest des Lebens zu finanzieren. Zum Rest des Lebens gehört außer Fressen und Saufen Strom und gelegentlich Koch- und Badegas, ein irgendwie Telefon und ein irgendwie Uralt-Computer nebst Drucker mitsamt Toner und Papier, außerdem vielleicht ein Zeitungsabo und die eine oder andere Neuerscheinung auf dem Büchermarkt, vielleicht ne Glotze und die Praxisgebühr etcetera bis zum Erreichen der Zuzahlungsgrenze. Stopp, das ist, wenn Mensch sich einigermaßen vernünftig ernähren will, schon gar nicht mehr zu bezahlen. Von Kino, Theater, Konzert, Ausstellung darf geträumt werden, desgleichen von Sauna, Fitness oder sonstigem Sport. Fahrradfahren wird zur reinen Notwehr, neue Klamotten entstehen kostengünstig durch Umarbeitung alter aus der Kleiderkammer. Aber das eine oder andere, das günstig herzustellen wäre, kostet Zeit, welche blöderweise nur schon durch die Arbeit im sozialen Arbeitsmarkt blockiert ist, wo Mensch lernt, sich durch regelmäßige Arbeit, Tagesstrukturierung und Anerkennung zu beachtlichen Leistungen befähigen zu lassen. Nach dem vorgestellten Konzept lernt sich das besser, wenn dafür unter Tariflohn bezahlt – weil das den Übergang in den Tariflohn einer regulären Beschäftigung attraktiver macht. Unterm Strich: Da bleibe ich lieber krank, lasse mich in die Grundsicherung abschieben, bessere dort selbige durch Babysitten und Flyerverteilen oder dergleichen auf, dosiere den Umgang mit dem, was im Umgang mit den menschlichen Wundern psychischer Gesundheit in Depression oder Suff treibt, auf das mir zuträgliche Maß und lasse im Übrigen den lieben Gott einen guten Mann sein … CHRISTINE RÖLKE-SOMMER, Berlin

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