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Archiv-Artikel

„Viele Kollegen haben schlicht Angst“

KOLUMBIEN Der Journalist Hollman Morris über Bedrohungen, Missstände und kleine Fortschritte

Hollman Morris

■ 42, ist über die Fernsehsendung „Contravia“ mit gut recherchierten Reportagen über das andere Kolumbien bekannt geworden. So bekannt, dass er derzeit mit einem Stipendium der Harvard University in Washington arbeitet. In Kolumbien ist es zu gefährlich für ihn. Am Sonntag erhält er den Nürnberger Menschenrechtspreis .

taz: Herr Morris, vor zehn Tagen hat der oberste Gerichtshof in Kolumbien den ehemaligen Geheimdienstchef Jorge Noguera zu 25 Jahren Haft wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Wie denkt jemand, der vom Geheimdienst systematisch bespitzelt wurde, über ein solches Urteil?

Hollman Morris: Es ist ein Fortschritt, ein Signal des obersten Gerichtshofs an die Demokratie und die demokratischen Strukturen in Kolumbien. Mit dem Urteil ist bewiesen, dass der Geheimdienst DAS von Paramilitärs infiltriert war. Das hatten Recherchen von Journalisten der Wochenzeitung Semana und andere Medien ans Tageslicht gefördert. Allerdings sollte man in diesem Kontext nicht vergessen, dass der damalige Präsident Álvaro Uribe Vélez sich trotz erster Beweise öffentlich vor seinen Geheimdienstchef gestellt hatte, ihn als guten Jungen bezeichnet und die Journalisten vehement beschimpft hatte. Warum? Weil sie akribisch recherchiert hatten.

Der DAS hat auch systematisch oppositionelle Politiker, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten wie Sie ausspioniert …

Ja, und da steht ein Urteil gegen Noguera und die anderen Verantwortlichen noch aus.

Sie haben Kolumbien vor einem Jahr verlassen, weil Sie und Ihre Familie nicht mehr sicher waren. Denken Sie derzeit an eine Rückkehr?

Es gab zwei Gründe für meine Ausreise. Einerseits war es angesichts der Morddrohungen kaum mehr möglich zu arbeiten, anderseits war ich nach all den Jahren unter diesen Bedingungen ausgebrannt. Ich habe mich daher entschieden eine Pause einzulegen und ein Forschungsstipendium der Harvard-Universität anzunehmen.

Eine direkte Konsequenz der achtjährigen Regierungsperiode des Álvaro Uribe Vélez?

Ja, definitiv, denn so wie ich haben viele Kollegen, die über den Konflikt in Kolumbien mit all seinen Facetten berichteten, schlicht Angst. Eine so extreme Situation habe ich in meinen 17 Berufsjahren nie erlebt, und ich bin zuvor nie persönlich durch den Präsidenten angegriffen und diffamiert worden.

Denken Sie über eine Rückkehr nach?

Derzeit habe ich meine Arbeit hier in Washington, wo ich mit meiner Familie endlich einmal Luft holen kann. Ich lerne Englisch und arbeite an einer Studie zum Geheimdienst in Kolumbien, habe Verpflichtungen in Washington. Natürlich verfolge ich die Entwicklung in Kolumbien und es ist positiv, dass sich der Ton der Regierung merklich verändert hat. Aber das macht die Angriffe aus dem Präsidentenpalast unter denen das gesellschaftliche Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Journalisten sehr gelitten haben, nicht ungeschehen. Eine öffentliche Richtigstellung ist angebracht, denn es war schließlich kein Dorfpolizist, der uns als Feinde der Demokratie bezeichnet hat.

Welche Bedeutung hat aus dieser Perspektive der internationale Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg, den Sie am Sonntag verliehen bekommen?

Wir brauchen einen Journalismus, der den Opfern der Gewalt eine Stimme gibt, und da können Länder wie Deutschland helfen. Und ich betrachte den Preis auch als eine Unterstützung für den journalistischen Nachwuchs. Der muss ermutigt werden zu recherchieren und unbequeme Fragen zu stellen. Der Preis zeigt auch, dass Deutschland die Augen öffnet und sich genauer anschaut, was in Kolumbien vor sich geht.

Wirklich?

Ja, durchaus. So zum Beispiel ist das Ausmaß der Korruption im Ausland mehr und mehr bekannt, und es gibt ein Interesse daran, zu begreifen, was unter Álvaro Uribe in Kolumbien passiert ist. Das birgt allerdings auch das Risiko, dass man die neue Regierung von Juan Manuel Santos überschätzt, denn nach wie vor gibt es gravierende Menschenrechtsverletzungen.

Welche Bedeutung hat in diesem Kontext die Öffentlichkeitsarbeit der kolumbianischen Botschaften?

Die Marketingstrategie, die Kolumbien als sicheres Land darstellt, als Land purer Leidenschaft, basiert auf Uribes Strategie der „demokratischen Sicherheit“. Das ist allerdings eine Militarisierungsstrategie auf Kosten der Menschenrechte und der persönlichen Freiheit der Kolumbianer. Für das bisschen mehr Sicherheit haben wir einen hohen Preis gezahlt, die Ärmsten den höchsten.INTERVIEW: KNUT HENKEL