Mit Che in den Landtag

Bei ihrem Fusionsparteitag präsentieren sich Niedersachsens Linke harmoniebedürftig. Einstimmig stimmen sie für den Zusammenschluss von Linkspartei und WASG – und attackieren die SPD, die von Berlin „ferngesteuert“ werde

Die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Niedersachsen hat laut einer Umfrage im Auftrag der ARD einen soliden Rückhalt bei den Wählern. Knapp fünf Monate vor der Landtagswahl erreicht die CDU 44 Prozent und die FDP sieben Prozent der Stimmen. Die SPD kommt auf 34 Prozent, die Grünen erzielten neun, die Linke zieht nach jetzigem Stand mit drei Prozent nicht ins Parlament ein.Die Direktwahlfrage entschied Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) mit 61 Prozent für sich. Sein SPD-Herausforderer Wolfgang Jüttner käme laut Infratest Dimap auf 17 Prozent, wenn die Bürger den Regierungschef direkt wählen könnten. taz

von KAI SCHÖNEBERG

Sitzungsleiter Christoph Hilligweg spielt mit einer Mini-Drehorgel „Die Internationale“, auf der Parteitagsflagge im Freizeitheim in Hannover-Ricklingen prangen die Köpfe von Bert Brecht, Rosa Luxemburg und Che Guevara. Die Linken rufen den Slogan der chilenischen Volksfront nach dem Pinochet-Putsch: „El pueblo unido jamás será vencido“ – „Vereint wird das Volk nie besiegt werden“. Doch trotz Revolutionslyrik präsentiert sich die am Samstag neu gegründete Partei Die Linke in Niedersachsen wenig aufmüpfig. Jahrelange Querelen zwischen Linkspartei und WASG scheinen vergessen, als sich die Delegierten am Samstag um genau 11.59 Uhr erheben, um das Abstimmungsergebnis für die Fusion der beiden Sprengsel zu feiern: Alle 196 Delegierte stimmen dafür.

Bärtige Gewerkschafter, kahlgeschorene Junglinke und nicht wenige Frauen wollen gemeinsam bei der Landtagswahl am 27. Januar 2008 den Sprung ins erste Parlament eines westdeutschen Flächenstaats wagen. Dafür wettern sie gegen Privatisierung und Hartz IV, nehmen den „Kampf gegen Armut“ auf und versprechen „Bildung für alle“. Der Parteitag kommt bei der Debatte um die Geschlechterquotierung für Delegierte ins Stocken. Und, als Markus Schmidt aus Hildesheim verkündet, „es sei ein Schlag ins Gesicht vieler Mitglieder“, wenn Bewerber um Wahl- und Parteiämter Einkünfte erst ab einer „Bagatellgrenze“ von 400 Euro angeben müssen.

Wie harmoniebedürftig die neue Partei jedoch ist, zeigt sich auch an Edmond Worgul. Der VW-Betriebsrat aus Gifhorn und Ex-WASG-Vorstand, der seine Kandidatur zum Parteichef eingereicht hatte, zieht zurück: Es reiche aus, wenn mit Kreszentia Flauger eine Figur aus der einstigen Wahlalternative in der Partei-Doppelspitze vertreten ist, sagt Worgul. Die 41-jährige IT-Spezialistin aus Wildeshausen erhält 173 Stimmen, satte 85 Prozent. Ihr männlicher Gegenpart, der Liedermacher, Musikmanager und Ex-Linksparteiler Diether Dehm, fährt 166 Stimmen (82 Prozent) ein.

Die Linken könnten die Wahl zwischen Nordsee und Harz in knapp fünf Monaten vielleicht doch noch interessant machen. Zurzeit deutet in Niedersachsen vieles auf die Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition in Niedersachsen hin: Laut einer Umfrage erreichen CDU und FDP zusammen 51 Prozent der Stimmen (siehe Kasten). Nur wenn die Linke über die Fünf-Prozent-Hürde springt, ist die bürgerliche Mehrheit zu knacken.

Eine Koalition mit der SPD lehnt Dehm jedoch unter dem Beifall der „lieben Genossinnen und Genossen“ ab. SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner sei viel zu schwach, „der greift doch gar nicht an“, tost Dehm. Niedersachsens Sozialdemokraten seien von Berliner Partei-Granden „wie Sigmar Gabriel und Hubertus Unheil ferngesteuert“ und litten unter einer „spezifischen Geschichte der Unzuverlässigkeit“, weiß Dehm. Er war selbst 33 Jahre in der SPD, dichtete einst für Willy Brandt sein Bots-Lied „Das weiche Wasser bricht den Stein“ zur Parteihymne um. Und, so fragt Dehm: „Hat denn Jüttner jemals eine große Koalition mit dem Sozialstaatskiller Wulff ausgeschlossen?“ Allerdings: Eine Tolerierung von Rot-Grün erscheint den Linken erwägbar, um nicht nur in der Oppositionsecke zu schmollen. „Schwarz-gelb“, sagt Dehm, „und der Laden von Jüttner ist nur dann zum Schwanken zu bringen, wenn wir in den Landtag kommen“.

Davor müssen Dehm und seine inzwischen rund 2.500 Parteimitglieder aber noch zittern: Bei der Wahl 2003 holte die damalige PDS gerade 0,5 Prozent. Dehm wird zum gefeierten Star des Parteitags – er ist aber auch das Problem der Partei. Obgleich der gebürtige Frankfurter seit drei Jahren die Linkspartei in Niedersachsen führt und die Heirat mit der WASG managte, tritt er beim Listenparteitag im November nicht an. Da er sein Bundestagsmandat in Berlin behalten will, fehlt den Linken zwischen Harz und Heide eine Gallionsfigur. Ko-Parteichefin Flauger soll Spitzenkandidatin werden, derzeit arbeitet sie im Bremer Büro des Bundestagsabgeordneten Axel Troost. Politisch ist sie jedoch ein unbeschriebenes Blatt. Um Platz 2 bewirbt sich Hans-Henning Adler, Ratsherr in Oldenburg. Immerhin: Bei der Direktwahl zum Oberbürgermeister erreichte er vor einem Jahr 6,5 Prozent.

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