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Archiv-Artikel

Sanfter Sinkflug durch Do-Re-Mi-Fa-Sol

Die Opernkompanie Novoflot bringt mit „Kommander Kobayashi, Staffel drei“ in den Sophiensælen ihre begeisternd gestartete Spaceopernsaga über die Abenteuer der fünf „Hermenauten“ zu einem etwas enttäuschenden Abschluss

Kommander Kobayashi ist wieder da. Fast exakt ein Jahr nach dem Start der zweiten Staffel ging die Opernsaga mit der Premiere von Staffel drei am Freitag in die Schlussrunde. Sowohl Vorfreude als auch Erwartung waren groß, begeisterten Staffel eins (Januar 2005) und zwei (September 2006) dieses Projekts doch über alle Maßen.

Die freie Berliner Opernkompanie Novoflot (Regie: Sven Holm, musikalische Leitung: Vicente Larranaga, Dramaturgie: Sebastian Bark) hatte es geschafft, dem schwergewichtigen Begriff „zeitgenössische Oper“ Leichtigkeit und Witz zu verpassen und ihn in inhaltlichen wie auch inszenatorischen Dingen weit aus dem Feld der „E-Musik“ herauszuführen. Das gelang, indem sie die einzelnen Folgen von unterschiedlichen KomponistInnen schreiben ließ, indem sie ein auch schauspielerisch begabtes junges Sängerensemble ins Boot holte und indem sie eine Geschichte erzählte, die zwischen Space Opera, den Teletubbies, einem Philosophieseminar und einer komödiantischen Philosophieseminar-Verarsche hin- und herhüpfte. All diesem Wahnsinn zum Trotz operierten sie niemals auf Kosten der Musik.

Die fünfköpfige Bordbesatzung auf dem Raumschiff La Fenice, die Hermenauten, hatte bislang auf irrwitzig herrliche Weise damit zu tun, ordnungstörende Wellen unter Kontrolle zu bekommen, unter Einfluss der akustischen Droge „Schrei“ allerhand Begehren auszuleben, das Universum an- und auszuknipsen und den Willen des Kommanders misszuverstehen. Das Orchester spielte dazu Marschmusik neben Atonalem und erzeugte Töne mit Seifenblasen, Plastiktüten und vor dem Mikrofon zu streichelnden Plüschtieren. Das war aufregend.

Jetzt also Staffel drei, das große Finale. Der Ungar Samu Gryllus vertont den ersten Akt. Den Hermenauten wird klar, dass sie sich reproduzieren müssen, um zu überleben. Aufgescheucht laufen sie hin und her, singen aus den Fenstern, singen inmitten des Publikums, das noch im Hof der Sophiensæle steht. Was ist zu tun in Sachen Fortpflanzung? Die Meisterin aus Budapest antwortet mit sinnentleerten „Do-Re-Mi-Fa-Sol“-Etüden im Csárdás-Rhythmus, schließt dann aber doch einen Beihilfe-Vertrag mit den Verzweifelten. Das Publikum wird über eine für Schwindelanfällige ungeeignete Flugzeugtreppe ins Innere der La Fenice geleitet und steht dann dort zwischen aufgetürmten Airline-Essensboxen aus Styropor herum, während ein Ritual beginnt, an dessen Ende ein Jemand den Keim der Hermenautik in sich aufgenommen haben soll.

Schon hier ist passiert, was bei Kommander Kobayashi bislang noch nie passiert ist: Es ist zu langwierig. Dabeisein heißt durchhalten. Story und Musik reichen sich nicht die Hand, um schwerelose Fahrt aufzunehmen. Die Parts bleiben fleddrig, und nach über einer Stunde gefühlter Introduktion verkündet die Meisterin, dass das mit der Bekeimung nicht geklappt hat. Pffffft – Luft raus.

Teil zwei hat Klaus Lang komponiert. Der Kommander (Soichi Kobayashi) macht klar: Es gibt kein Entrinnen, er selbst ist der Tod. Mit einer Axt bewehrt bewacht er die Ausgänge, während die Hermenauten im Angesicht ihres Untergangs im Ritardando durchdrehen. Tii! (Eiko Morikawa), Scrabble (Sibylle Fischer) und Ma’ (Rupert Bergmann) stehen nur noch einzelne Silben, in langgezogenen Haltetönen artikuliert, zur Verfügung. Das Orchester bindet Clusterteppiche im Ultra-Legato aneinander und stellt dann und wann mit gestrichenen Weinrandgläsern einen irisierenden Klang her.

Und trotzdem fehlt musikalische Spannung. Am hinhörintensivsten ist der Moment, in dem die Hermenauten donnernd die leeren Styroporboxen umstoßen. Zum Schluss tritt ein Chor auf. Ganz in schwarz und mit Bergmannsleuchten auf der Stirn, singt auch er nur vier Silben: Ko-ba-ya-shi, dräuend und sakral. Der Keyboarder orgelt dazu in Widor’scher Erhabenheit. Der Letzte, der nach diesem albernen Ragnarök noch einen Ton von sich gibt, ist natürlich Kommander Kobayashi: Jetzt streicht er das Weinglas.

Das hat eine Erdenschwere und Selbstgefälligkeit, wie man sie von Veranstaltungen im herkömmlichen Betriebssystem „Oper“ her kennt – auf La Fenice hat das nichts zu suchen! Der Keim der Hermenautik ist in Kommander Kobayashi drei nicht mehr aufgegangen. Aber es bleibt zu wünschen, dass dieser Keim – also ein theoretisch erratisches, klanglich reizendes und in popkulturellem Sinne unterhaltsames Verständnis von zeitgenössischer Oper – bald woanders wieder fruchtet.

KIRSTEN RIESSELMANN

Weitere Aufführungen: 14.–16. 9., 20 Uhr, Sophiensæle