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Archiv-Artikel

Schöner wohnen zwischen Strohballen

NACHWACHSEN Styropor und Mineralwolle sind als Dämmstoffe in der Bauwirtschaft bisher nahezu konkurrenzlos. Aber deren Öko-Bilanz wirft Fragen auf. Darum steigt die Zahl der Bauherren, die auf nachwachsende Rohstoffe wie Stroh als Alternative setzen. Auch am Rande Schwerins wurden gerade zwei Strohballenhäuser eingeweiht

Meterhoch türmen sich die quaderförmigen Strohballen in der alten Lagerhalle. Ulrich Bunnemann hat sie nicht als Einstreu für Rinder oder Pferde gebunkert. Der Schweriner Architekt setzt den nachwachsenden Rohstoff als Dämmmaterial ein. Das erste der beiden zweigeschossigen Wohngebäude auf dem Gelände der alten Brauerei ist bereits bezogen. Das zweite Haus hat gerade Richtfest gefeiert.

Die beiden strohgedämmten Gebäude stehen auf einem Areal mit eigenem Zugang zum Ziegelinnensee, idyllisch am Rande der Schweriner Innenstadt gelegen. Mehr als 20 Jahre lang lag es brach. „Wir verfolgen das Konzept des Anders-Wohnens in Schwerin, nutzen den Bestand und bleiben in den vorhandenen Konturen“, erklärt der Architekt und Bauherr. Vorherige Projekte seien vom vollständigen Abriss der Fabrikgebäude ausgegangen. „Hier wollten Investoren eine Wasserstadt errichten. Die sah eher nach Dubai aus – mit ebensolchen Kosten“, sagt Bunnemann.

Neben städtebaulichen sind für ihn vor allem auch ökologische Gesichtspunkte entscheidend. Deshalb sollen die fest gepressten Strohballen nicht nur bei den in Ständerbauweise errichteten neuen Wohnhäusern zum Einsatz kommen. Auch beim Umbau der alten Lagerhallen und der Verwaltungsgebäude zu Wohnungen setzt Bunnemann auf den ökologischen Dämmstoff. „Stroh ist typisch für Mecklenburg-Vorpommern und in fast unbegrenzter Menge verfügbar“, sagt er. Außerdem seien die Dämmwerte kaum schlechter als bei Materialien, die mit großem Energieaufwand aus Erdöl oder Mineralien hergestellt werden. Sein Stroh-Lieferant sei ein Bauer aus der Nähe Schwerins.

Die ökologischen Vorzüge von Stroh als Baumaterial sind auch amtlich bestätigt. Mitte Oktober 2014 wurde in Brüssel die Umweltproduktdeklaration für den Wärmedämmstoff Baustroh von der europäischen ECO-Plattform übergeben. „Baustroh weist den niedrigsten Herstellungsenergiebedarf aller zugelassenen Wärmedämmstoffe bei gleichzeitig sehr hoher CO2-Speicherfähigkeit auf“, erklärt der Architekt Dirk Scharmer. Wer ein Gebäude in Holzbauweise errichte und mit Stroh dämme, erspare der Atmosphäre 60 Tonnen klimaschädliche CO2-Emissionen. „Dies entspricht umgerechnet 400.000 Kilometern Autofahren“, rechnet Scharmer vor. Von dem Zertifikat erhofft er sich weitere Impulse für den Einsatz von Stroh und eine Ausweitung der Anwendungsgebiete.

Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe im mecklenburg-vorpommerschen Gülzow bei Güstrow, die seit Jahren den Einsatz natürlicher Produkte in der Bauwirtschaft fördert, registriert schon seit einiger Zeit wachsendes Interesse an Alternativen zum weit verbreiteten Kunst-Dämmstoff Styropor. „Das Bewusstsein für Ressourcen- und Klimaschutz wächst“, sagt der Bauberater Andreas Brückner. „Deshalb nehmen Bauherren auch den überschaubaren Mehrpreis für Stroh oder Zellulose in Kauf.“ Denn bei sachgerechtem Einbau seien Stroh und Zellulose vollwertige Dämmstoffe.

Nach Angaben der Fachagentur hat die Zulassungsstelle für Bauprodukte und Bauarten die Anwendungsbereiche für Stroh deutlich erweitert. Lehm- oder Kalkputz könne nun direkt auf die Ballen aufgebracht werden, ohne dass aufwendige Einzelfallgenehmigungen nötig seien. Das mache den ohnehin preisgünstigen Dämmstoff noch wirtschaftlicher, heißt es. Vorgefertigte Wandelemente aus Holzrahmen mit einer verputzten Strohausfachung werden so auch für gewerbliche Bauvorhaben interessant. Im niedersächsischen Verden etwa steht das europaweit erste fünfstöckige Bürohaus aus Strohballen, im vergangenen Oktober ist der erste Mieter eingezogen (taz berichtete).

Für Bunnemann sind die Einsatzgebiete der Strohdämmung längst nicht ausgereizt. „Üblich ist bisher die Ausfachung tragender Holzrahmen mit Strohballen. Das ist platzsparend und effektiv. Doch auch bei der nachträglichen Dämmung von mehrgeschossigen Häusern kann Stroh zum Einsatz kommen“, sagt er. Baurechtliche Bestimmungen hinderten ihn aber daran, den sechsstöckigen ehemaligen Siloturm, in dem ebenfalls Wohnungen entstehen, mit einer vorgehängten Fassade mit Stroh zu dämmen. „Manches braucht halt noch etwas Zeit“, sagt er. Aber die Richtung sei klar.  (dpa)