piwik no script img

Archiv-Artikel

Kulinarisch für zwei fünfzig

VOLXKÜCHEN Einst eine Institution der Hausbesetzerszene, bietet eine breite Auswahl an Voküs auch heute noch jeden Abend ein günstiges Abendbrot. Zu Gast sind auch modebewusst gekleidete Studis

VON ALISSA STARODUB

Rund 30 Leute sitzen am Samstagabend im Hof eines ehemals besetzten Hauses in der Köpenicker Straße auf Bänken, Holzpaletten und dem Boden. Die meisten von ihnen fallen durch extravagante Kleidung und Frisuren auf: Nieten an Jacken, Gürteln und Halsbändern sowie Reißverschlüsse an unüblichen Stellen, Lederjacken mit Antifa-Symbolen. Hier treffen sich junge und ältere Punker. Ein junger Mann räumt benutzte Teller ab und verschwindet eilig in der Gemeinschaftsküche. Als er wiederkommt, hält er zwei appetitlich duftende Pizzen in den Händen – frisch aus dem hauseigenen Steinofen. Bestellen können die Gäste bei einer jungen Frau, die an dem einzigen Tisch im ganzen Hof sitzt. Der ist überladen mit Heften, Flyern und Flugblättern über Tierrechte und nachhaltige Lebensweisen. Die junge Frau zeigt auf ein Menü, das die Wahl zwischen fünf Pizzen bietet – 2 Euro ohne, 2,50 mit Käse. „Alles hier ist vegan, auch der Käse“, sagt sie.

Die Gruppe, die sich jeden Freitagabend zum Pizzateigkneten trifft und samstags die Volxküche organisiert, heißt Veganarchist Distro. „Wir haben nach einer Lösung gesucht, wie wir kostenlos Infomaterial zur Verfügung stellen können, und haben uns für die Vokü-Variante entschieden“, sagt die Frau mit dem Info-Material. Bei einem Preis von zwei Euro pro Pizza bleibe genug übrig, um für die Druckkosten aufzukommen. Veganarchist Distro mache dabei keinen Gewinn – abgesehen vom Spaß am Pizzabacken. Die Gäste der Volxküche werden hier mit Namen aufgerufen, sobald der Steinofen ihre Pizza ausgespuckt hat. Die Wartezeit vertreiben umhertollende Hunde und die über Jahrzehnte mit Gemälden dekorierte Hausfassade.

Eine der beliebtesten Volxküchen Berlins ist in Friedrichshain zu finden. Den genauen Ort wollen die Betreiber nicht öffentlich bekannt machen, um nicht die Aufmerksamkeit des Gesundheitsamts zu erregen, das darüber entscheidet, wer Essen ausgeben darf. Hier stehen Bierbänke draußen und Sofas drinnen. Sonntags wird vegan gekocht. Gemüsegerichte mit Fleischersatz und Desserts gibt es ab 19 Uhr. Obwohl 120 Portionen zubereitet werden, riskiert man in der größten Vokü der Stadt, hungrig zu bleiben, wenn man später kommt. Die Portionen, die es für zwei Euro am Bartresen gibt, sind so üppig, dass manche trotz gutem Appetit damit nicht fertig werden. Die Besucher dieser Vokü lassen sich keiner Subkultur zuordnen, hier treffen sich junge gepflegte Stadthippies mit älteren Punkern. Viele von ihnen sind modebewusst gekleidet und könnten sich auch ein Essen leisten, das mehr als zwei Euro kostet. Sie kommen für das soziale Ereignis, die Atmosphäre in der Vokü.

„Diese Vokü gehört zu einem eingetragenen Verein“, erzählt einer der Köche, während er Teller spült. „Die Vereinsbeiträge sind aber nicht fest, sondern je nachdem, wie man Lust hat.“ Er kocht hier seit einem Jahr und ist durch seinen Freundeskreis in eine der Arbeitsgruppen „reingerutscht“, in denen die Vereinsmitglieder sich engagieren. „Ich mische hier seit 2004 mit“, sagt eine andere Köchin. „Damals bin ich arbeitslos geworden und brauchte etwas zu tun. Von einem Bekannten wurde ich hierher zum Schnibbeln eingeladen und ich habe mich hier wohl gefühlt.“

Wer bei seinem Vokü-Besuch auf Fleisch nicht verzichten möchte, hat in Berlin drei Volxküchen zur Auswahl. Eine befindet sich in einem der ersten besetzten Häuser Berlins in Schöneberg. Jeden Montag und Freitag kochen zwei Bewohner des inzwischen durch die Unterzeichnung eines Pachtvertrags legalisierten Hauses jeweils 15 Portionen von einem vegetarischen Menü und einem Menü mit Fleisch. Für zwei Euro erwirbt man einen Dominostein an der Bar und tauscht ihn am Eingang der Küche für ein Hauptgericht, einen Salat und ein Dessert ein. Ist der Hunger gestillt, wäscht jeder seinen Teller ab und stellt ihn in den Geschirrtrockner. „Das war wie Essen bei Mama“, sagt ein älterer Herr und streicht sich zufrieden über den Bauch.

Es ist kein Zufall, dass Voküs heute noch als fester Bestandteil der linksalternativen Szene hauptsächlich in ehemals besetzten Häusern zu finden sind, denn es war die Hausbesetzerbewegung, die diese Idee wiederbelebte. Schon im 19. Jahrhundert hatte es in Berlin Volksküchen gegeben. Sie waren zur Speisung der Armen gedacht. Um Energie zu sparen, wurde dort von mehreren Familien in großen Töpfen gekocht, um viele Portionen für sehr wenig Geld verteilen zu können.

Seit es in Deutschland keinen Nahrungsmangel mehr gibt, steckt hinter der Idee einer Vokü meist eine ideologische Motivation: möglichst vielen Menschen Nahrung zugänglich zu machen, für die keine Tiere gelitten haben, oder Sammelaktionen für Nachbarschaftshilfen.