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Archiv-Artikel

Frieden um jeden Preis

SCHWARZ-GRÜN Seit dem 18. Januar 2014 regieren Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir in Hessen. Professionell und ohne öffentliche Zerwürfnisse. Was macht Schwarz-Grün eigentlich, wenn es mal nicht Harmonie demonstriert?

AUS WIESBADEN UND BERLIN ASTRID GEISLER UND STEFAN REINECKE

Sie fremdeln anfangs heftig. Während der Koalitionsverhandlungen von CDU und Grünen ist selbst der Menüplan ein abstimmungsbedürftiges Papier. Die hessische Staatskanzlei lässt gleich zweimal hintereinander vegetarisches Essen auftischen. Eine nette Geste an die grünen Gäste soll es sein, doch manchem Christdemokraten am Verhandlungstisch vergeht der Appetit. So kauft schließlich eine CDU-Größe an der nächste Tanke Würstchen für die Kartoffelsuppe.

Die Anekdote wird inzwischen lachend serviert. Die Unsicherheiten der ersten Stunden erscheinen im Rückblick putzig. Denn Schwarz-Grün in Hessen hat ein geräuschloses Jahr erstes Jahr hinter sich. Kein Krach drang nach außen, keine Meinungsverschiedenheit. Und wenn alles so gut weiterlaufe, prophezeit der Exsponti und Grünen-Veteran Tom Koenigs, dann werde sich genau dieses unauffällige, aber „ordentliche Regieren“ als Haupttugend der schwarz-grünen Koalition erweisen. Ein Politikstil der ruhigen Hand, getreu dem schläfrigen, aber erfolgreichen Vorbild der Kanzlerin. Laut Umfragen schätzen die WählerInnen diesen Stil: Die CDU käme heute wie 2013 auf 38 Prozent, die Grünen legten sogar auf 16 Prozent zu.

Mathias Wagner, 40, fiele optisch auch in der CDU-Fraktion nicht auf. Ein grüner Realo im grauen Businessoutfit. Der Fraktionschef ist die rechte Hand des grünen Vizeministerpräsidenten Tarek Al-Wazir. Im Gespräch erlaubt er sich scharfe Spitzen gegen die eigene Parteilinke. Zur CDU fallen ihm die Wörter Respekt und Vertrauen ein. Die Harmonie nach außen sei Ergebnis harter Arbeit nach innen, versichert Wagner. Jeden Montagabend in den Koalitionsrunden „erklären wir uns wirklich oft erst mal die Welt“. Diese Treffen mit der CDU-Spitze, sagt er, seien „keine Komfortzone und weder bequem noch lebensqualitätsfördernd“.

Volker Bouffier gilt als weniger unangenehm als sein Vorgänger Roland Koch. Die Grünen bewundern inzwischen, wie effektiv der 63-jährige Ministerpräsident hinter den Kulissen an der gesichtswahrenden Lösung von Konflikten arbeitet. Das habe fast schon „etwas Asiatisches“, witzelt Wagner. Der Umgang unter Grünen sei oft ruppiger.

Worüber genau man sich im kleinsten Kreis in den ersten zwölf Monaten gefetzt hat, darüber schweigen die Koalitionäre. Andernorts gehören Durchstechereien an die Medien zum politischen Tagesgeschäft, Schwarz-Grün in Hessen hat sie abgeschafft.

Auch im Maschinenraum der Koalition lobt man gegenseitig den Verständigungswillen. Dabei sind die parlamentarischen GeschäftsführerInnen durchaus verschieden. Die Grüne Angela Dorn, 32, ist eine politische Senkrechtstarterin und kommt aus der globalisierungkritischen Bewegung. Bouffier hielt sie früher für einen „Hardliner“, nun schätzt sie ihn als „Versöhner“. Ihr Pendant Holger Bellino, 56, ist ein jovialer CDU-Mann alter Schule, der gerne mal einstreut, was seine Frau über Politik denkt. Vor ein paar Jahren hätten sich beide nicht vorstellen können, zusammen zu regieren. Bellino verortete die Grünen 2013 bei den Blockupy-Demos noch „im schwarzen Block der Demokratiefeinde“.

Schnee von gestern. Heute loben beide fast wortgleich die Zusammenarbeit. Das ist mehr als die übliche Regierungs-PR. Es hat einen wahren Kern. Gerade weil sich CDU und Grüne in Hessen in manchem fern bleiben, achten sie auf die Umgangsformen. Schwarz-Grün ist eine Koaltion, in der man eher Sie als du zueinander sagt. Aber es gibt kleine Annährungen im Lebensstil. „Ich ernähre mich ökologischer als manche Grüne“, sagt Holger Bellino.

Also alles prima im Bündnis von Alt- und Neobürgertum? Nicht ganz. Auffällig ist die Karriere des CDU-Rechtsauslegers Hans-Jürgen Irmer. Unter Schwarz-Grün wurde er zum Fraktionsvize befördert. Irmer fällt regelmäßig durch Sprüche auf, die sogar der AfD peinlich wären. Etwa, dass es in Deutschland zu viele Muslime gebe oder dass Homosexualität „nicht normal“ sei. Die Grünen reagieren auf Irmers extrem feindselige Ausfälle sehr leise. Angela Dorn lobt, dass sich die CDU von dem Krawallrechten distanziere. Sie hofft bei dem Limburger Christdemokraten auf Besserung. Wichtig sei, wie er sich „in der Zukunft verhält“. SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel lässt das nicht gelten: „Die Grünen bilden einen Schutzschirm für Irmer, der immer wieder durch schwulen- und ausländerfeindliche Äußerungen auffällt.“ Auch Janine Wissler, Vizechefin der Linksfraktion, hält Irmer nicht bloß für einen Quartalsirren. Es gebe „eine gewollte Arbeitsteilung“ zwischen dem „Landesvater Bouffier und dem Rechtspopulisten Irmer“.

Dass sich die traditionell rechte hessische CDU unter Schwarz-Grün flugs in eine weltoffene Partei verwandelt hätte, ist jedenfalls eine kühne Hoffnung. Als Merkel diese Woche erklärte, der Islam gehöre zu Deutschland, protestierte die hessische Junge Union dagegen.

Nicht nur bei der Causa Irmer müssten die Grünen eigentlich mit der Faust in der Tasche unterwegs sein. Auch beim NSU-Untersuchungsausschuss tun sie sehr viel, um den Koalitionsfrieden zu wahren. Als die SPD den Ausschuss im Parlament beantragte, enthielten sich Grüne und CDU. Mit dem Gremium, so die Grüne Dorn, werde nur die vergebliche „Hoffnung geweckt, endlich alles aufzuklären“, obwohl es keine neuen Akten gebe. Das klingt wachsweich.

Fakt ist: Alle anderen NSU-Ausschüsse in Bund und Ländern wurden einmütig beschlossen. Die Enthaltung in Wiesbaden ist, sagt SPD-Mann Schäfer-Gümbel, ein „Kainsmal“ für die hessischen Grünen. Bei den Sondierungen der SPD mit Bouffier 2013 habe „die CDU klargemacht: Sie will bei NSU nichts aufklären“. Al-Wazir und Co, kritisiert der SPD-Mann, würden „alles der Koalitionsraison unterordnen, sogar die Aufklärung des NSU“.

Ein heftiger Vorwurf. Versagten die Grünen dem Ausschuss ihre Stimme, um den CDU-Ministerpräsidenten zu schonen? Bouffier ist in der Affäre um den Kasseler NSU-Mord keine Randfigur. Als Halit Yozgat 2006 erschossen wurde, war ein hessischer Verfassungsschützer am Tatort. Bouffier, damals Innenminister, entschied sich gegen eine schonungslose Aufklärung dieses bizarren Umstands. Stattdessen deckelte er die Ermittlungen. Der Quellenschutz beim Verfassungsschutz ging für ihn vor. Auch im NSU-Ausschuss, klagen SPD und Linkspartei, stehen die Regierungsfraktionen auf der Bremse.

Auch als die Opposition kürzlich, wie in Thüringen und Schleswig-Holstein praktiziert, einen Winterabschiebestopp für Flüchtlinge forderte, mauerte Schwarz-Grün – vielmehr die CDU. Die Grünen folgten zähneknirschend. „Vor zwölf Monaten“, so Schäfer-Gümbel, wäre das „unvorstellbar gewesen.“

Vor allem Al-Wazir übergeht gern schweigend, was die Harmonie stören könnte. So soll Bouffier mit einem Brief 2011 an RWE Entschädigungsansprüche des Atomkonzern gegen Hessen unterstützt haben. Ein böser Verdacht. Vom grünen Energieminister Al-Wazir hört man dazu bislang nichts. Ruhe ist erste Regierungspflicht.

Den hessischen Grünen scheint beim Blick in die Abgründe zwischen Ansprüchen und Umsetzung nicht mehr schwindelig zu werden. Sie beruhigt der Blick auf das große Ganze – aus dieser Perspektive scheint den Ökos das Projekt lohnenswert. Al-Wazir gibt Schwarz-Grün-Skeptikern gerne den Ball zurück: „Wäre es besser, mit den aus eurer Sicht Richtigen nur die Hälfte umzusetzen oder in der Opposition gar nichts?“ Als Energieminister treibt er den Windkraftausbau in Hessen voran – und hat Bouffiers Rückendeckung.

Bis 2018 soll der Anteil der erneuerbaren Energien verdoppelt werden. Widerstand gegen die Windparks kommt von Bürgerinitiativen – oft angeführt von lokalen CDU-Größen. Aber das wäre bei einer anderen Regierung wohl auch so. Umweltschützer loben das neue Waldgesetz und die bessere Förderung des Ökolandbaus. Auch die Kennzeichnungspflicht für Polizisten bei Demos hätte die CDU ohne Druck der Grünen nicht eingeführt.

Taugt Hessen als Modell? CDU-Mann Bellino hält die Koalition durchaus für einen Probelauf. „Hessen ist das erste Flächenland, in dem Schwarz-Grün funktioniert. Obwohl es beim Flughafenausbau sehr verschiedene Auffassungen gibt.“ In Hamburg und im Saarland scheiterten schwarz-grüne Kombinationen. Doch wenn Hessen hält, so die Logik, dann geht es überall. Auch im Bund.

Die Grünen sind da vorsichtiger als die CDU. Wohl weil man zwischen Kassel und Wiesbaden sehen kann, wie teuer der Koalitionsfrieden für sie ist.