heute in bremen
: Hürden höher hängen

Der Chaos Computer Club informiert über „Überwachung in der Informationsgesellschaft“

Entspricht Innenminister Wolfgang Schäuble den Visionen von George Orwell?

Constanze Kurz, Chaos Computer Club Berlin: Mit Biometriedaten und Funkchips in Reisepässen oder der Vorratsspeicherung aller Kommunikationsdaten weitet der Staat die Kontrolle seiner Bürger immer mehr aus. Die Polizei geht dazu über, nicht mehr geschehene Verbrechen aufzuklären, sondern potenzielle Verdächtige zu finden und dann durch Überwachung festzustellen, wie verdächtig sie wirklich sind. Die Grenzen zwischen Polizei und Geheimdiensten lösen sich auf.

Die Verhaftungen von Terror-Verdächtigen werden als Argument genutzt, nun endlich die Online-Durchsuchung einzuführen. Zu Recht?

Keinesfalls. Die Verdächtigen wurden ja auch mit den bestehenden Maßnahmen gefunden. Die absolute Mehrzahl aller Überwachungsmaßnahmen führt zu keinem Ermittlungsverfahren. Deswegen müssen die gesetzlichen Hürden hier höher statt tiefer gehängt werden. Dass Schäuble die Online-Durchsuchung will, hat vor allem einen Grund: Immer mehr Menschen, auch ganz normale Bürger, verschlüsseln ihre E-Mails mit moderner Open-Source-Kryptographie. Die ist so gut, dass selbst BKA-Spezialisten sie nicht knacken können. Es sei denn, sie klauen den digitalen Schlüssel bei einer Online-Durchsuchung vom Computer des Anwenders.

Bisher gab es keinen erfolgreichen islamistischen Terroranschlag in Deutschland. Trotzdem werden permanent weitere Befugnisse für die Polizei gefordert. Was passiert, wenn ein erster Anschlag stattfindet?

Dieses Szenario bereitet vielen Menschen Sorge. In Großbritannien ist die Politik hysterisch geworden, in Spanien war das nicht der Fall. Das hat auch mit unterschiedlichen Toleranzniveaus und Traditionen zu tun. Letztlich wird man hier entscheiden müssen, ob man mit einem Restrisiko leben will – oder die ganze Bevölkerung überwacht.

Interview: Christian Jakob

„Kafka, Orwell, Schäuble“, Villa Ichon, Goetheplatz 4, 20 Uhr