Der große Nachttischchen-Schwindel

Die Aufklärung des Bremer Krankenhausskandals schreitet voran: Der Betrugsprozess gegen den ehemaligen Geschäftsführer des Klinikum Ost, Andreas Lindner, brachte gestern neues Licht in dessen millionenschweren Medientischchen-Deal

30. Juni 2006: Die Bremer Gesundheitssenatorin Karin Röpke (SPD) entlässt den Geschäftsführer des Klinikums Ost, Andreas Lindner. Die Grünen hatten Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Gutachten bemerkt. 1. Juli: Staatsrat Arnold Knigge tritt zurück. 3. Juli: Gesundheitssenatorin Röpke beruft den ehemaligen Präsidenten des Bremer Finanzgerichts, Hans-Jürgen Ziemann, als Sonderermittler. 19. September: Ziemann veröffentlicht seinen Abschlussbericht: Lindner habe „getäuscht, verschleppt, falsch berichtet“. 11. Oktober: Senatorin Röpke tritt wegen des Falls Kevin zurück. 12. Oktober: Die Bürgerschaft beschließt die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Klinik-Skandal 1. November: Lindner übernimmt die Geschäftsführung von Kliniken der Marseille AG. 3. Januar 2007: Lindner verhaftet. Die Marseille-Gruppe entbindet ihn von allen Aufgaben. 17. April: Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses attestiert der Behörde vollständiges Versagen. 29. Juni: Prozessbeginn gegen Lindner. Die Anklage lautet auf Untreue in 57 Fällen. taz

aus Bremen BENNO SCHIRRMEISTER

Der Zeuge ist schmal, trägt einen braunen Alltagsanzug und wird von seinem Anwalt begleitet. Auch Antonius Sch. soll demnächst angeklagt werden in Bremen, wegen seiner Verstrickung in den Bremer Klinikskandal – genauer: Seine Mittler-Tätigkeit beim Nachttischchen-Deal. Aus gleichem Grund will ihn jetzt das Landgericht als Zeugen hören.

Sein eigenes Verfahren wird das Amtsgericht verhandeln: Sch. ist verdächtig, Beihilfe zur Untreue geleistet zu haben, das klassische Delikt für kleine Rädchen. Das große Rad gilt in diesem Fall Andreas Lindner. Der war 15 Monate lang kaufmännischer Geschäftsführer des städtischen Klinikums Bremen Ost – und hat dabei, laut Anklage, einen Gesamtschaden von 10,2 Millionen Euro verursacht. Zum Beispiel durch Nachttischchen.

Am Nachttischchen-Geschäft war Antonius Sch. beteiligt. Und er ist darüber irgendwie auch zum Opfer geworden: Sch. sitzt infolge des Bremer Skandals in Bielefeld im Gefängnis. Früher durfte er seine Strafe als so genannter Berufsfreigänger absolvieren, familiennah in Düsseldorf, Büro-Arbeit und Akquise-Tätigkeiten für ein Krankenhaus und einen Gesundheitsdienstleister, für den, so schildert er’s, seine alte Verurteilung kein Problem gewesen sei – ein Untreue-Delikt. Dann aber stieß die Bremer Staatsanwaltschaft auf seinen Namen. Und seither ist die Hafterleichterung futsch.

Man tue alles, führt sein Anwalt aus, um das Verfahren zu beschleunigen. Sein Mandant habe „unter harten Bedingungen im geschlossenen Vollzug“ gesessen. Der Arme, denkt man, und: Schön dass es noch Arbeitgeber gibt, die den Gedanken der Resozialisierung so ernst nehmen. Nur: Warum tummeln die sich gerade im Gesundheitswesen? Auch Lindner war vorbestraft, bevor ihn der Bremer Senat anstellte. Seine Bewerbungsunterlagen: gefälscht. Ein polizeiliches Führungszeugnis – nicht angefordert. Kaum war er in Bremen rausgeflogen, übernahm ihn die Hamburger Marseille-Gruppe als Geschäftsführer von zehn Reha-Kliniken. Man habe, so Ulrich Marseille vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, die vorherige Anstellung in Bremen „als erstklassige Referenz“ gewertet.

Schon bei Prozessauftakt Ende Juni hatte Lindner zum Nachttischchen-Deal Stellung genommen. Er gab zu, den Auftrag über 1.000 so genannte Multimedia-Schränke im Wert von 5.684.000 Euro an die Hildener Firma Quadroplan vergeben zu haben. Die hätten aber, so Lindner „Arbeitsabläufe erleichtern und Patientenwünsche befriedigen“ sollen. Allerdings: Weder ist davon auszugehen, dass sämtliche PatientInnen – darunter die geriatrischen, die auf der Intensiv-Station und die 400 KundInnen der Psychiatrie – den dringenden Wunsch nach Internet-Anschluss und moderner Telefonie hegen. Noch, so scheint es, hätte das gute Stück alle dringenden Bedürfnisse abgedeckt. So weist Krankenhaustechniker Martin F. in seiner Aussage darauf hin, dass „in unsere Nachttischchen der Schwesternruf integriert ist“ – und die innovativen High-Tech-Möbel mit der hauseigenen Anlage nicht kompatibel gewesen wären.

Er schildert die Geschichte aus Sicht der Belegschaft: Erstmals erfahren habe er von den Anschaffungs-Plänen am 24. Mai 2006 – und auch gleich Bedenken angemeldet. Durch die Schränkchen wäre „ein komplett neues Antennennetz notwendig geworden, ein Großteil der Schwesternruf-Anlage hätte erneuert werden müssen, die Datenleitungsstruktur auch“, zählt er auf. Die Folgekosten hätten, so schätzt er, „im Bereich zwei Millionen Euro“ gelegen. Und die Pflegedienstleitung hielt die Dinger einfach für zu groß.

Zur internen Diskussion kam es aber nicht: Schon am 9. Mai 2006, lange bevor irgendein Krankenhausmitarbeiter vom Nachttischchen-Plan erfuhr, hatte Lindner den Kaufvertrag unterzeichnet – beraten nur von einem gewissen Gotthard Brand, CDU-Politiker und Rechtsanwalt in Kassel. Der sollte pro Nachtschränkchen, so legt es ein „Handelsmakler-Vertrag“ fest, 600 Euro Provision kassieren. In einem anderen Fall hat Brand sich als „Strohmann Lindners“ bezeichnet.

Den Handelsmakler-Vertrag wiederum hat Antonius Sch. entworfen. „Ich habe ihn nach Kassel gefaxt“, sagt er vor Gericht, Anfang Februar war das wohl, „und nach zirka einer Woche kam das Signal, das sei so in Ordnung.“ Ob von Lindner selbst oder von Brand, das kann er nicht sagen: Telefonischen Kontakt mit dem Juristen habe er nicht gehabt.

Frank R., der Gründer und Geschäftsführer von Quadroplan hatte Antonius Sch. beauftragt, Kunden für sein neu entwickeltes Klinik-Multimedia-Schränkchen zu werben. Noch älter war Sch.s Kontakt mit Lindner. Als Lindner ihn Anfang 2006 in Düsseldorf aufsucht, sind die Nachttischchen nicht der Anlass. Aber kaum bringt Sch. sie ins Spiel – fängt der Bremer auch schon Feuer: Sofort, so der Zeuge, sei die Rede von einer möglichen Komplett-Ausstattung gewesen. Und im Rausgehen habe Lindner dann erwähnt, dass er für solche Geschäfte einen Rechtsanwalt als Berater habe. Und dass für den ein Honorar einzurechnen sei.

Er sei verdutzt gewesen, so Antonius Sch., und habe „ein komisches Gefühl im Bauch“ verspürt. Schließlich kennt er den Zweck solcher Berater-Verträge aus eigener Erfahrung. Die Anklageschrift beziffert die Provision, die Lindner via Brand für den Nachttischchen-Schwindel kassiert hat, auf 354.000 Euro.

Antonius Sch. geht die Sache an die Nieren. Immer wieder wiederholt er, er habe ja „keine krummen Dinger mehr machen“ wollen. Und er habe den Quadroplan-Chef auf seinen Verdacht hingewiesen und überlegt, selbst aus dem Handel auszusteigen. „Nur leider“, sagt Antonius Sch., und ein Schluchzer schüttelt ihn, „war ich nicht so stark“.