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■ Das ganze Stadion Deutschland 2011, R: Felix Grimm
Gemächlich weht die schwarze Flagge mit dem Totenkopf im Wind. Dahinter wackelt eine graue Taube auf der Suche nach ein paar Körnern über die krummen Stufen der Gegengraden. Nur ein paar Ordner sind schon im Stadion an diesem sonnigen Samstagmittag im April 2010. Allerbestes Fußballwetter und unter dem Dach der Gegengrade verlegen die Spielberichterstatter für Sehgeschädigte die letzten Kabel. Hier wird Live-Übertragen – nicht nur ins Internet sondern auch unters Dach, wo die Fans mit Sehproblemen das Spiel von Jan und Wolf auf die Ohren bekommen. Und auch einiges mehr, denn unter Fans gibt es schließlich immer etwas zu besprechen und die Fans stehen bei „Das ganze Stadion“ ganz im Mittelpunkt.
Engagierte Leute wie die Spielberichterstatter oder die Männer an den Megaphonen in der Südkurve. Die wissen, wenn es an der Zeit ist, das Stadion zum Beben zu bringen, um die eigene Mannschaft förmlich zum Torschuss zu tragen. Sie wissen jedoch auch genau, was in und um den Verein herum so passiert und machen sich darüber Gedanken.
Auch dafür ist Platz in dem etwas anderen St. Pauli-Film von Felix Grimm. Unbequeme Fragen wie die, ob der Eventzuschauer von morgen der Fankultur von heute noch ihren Platz lässt, werden gestellt. Natürlich flimmern dazu die Bilder der Séparées, der Business Seats und der dienstbaren Geister in weißen Schürzen über die Leinwand, die Bier und Häppchen auch an den Sitzplatz bringen. Ungewohnte Bilder beim braun-weißen Stadtteilclub, der sich mit neuem Stadium und solidem Finanzkonzept anschickt, das Schmuddelimage abzustreifen. Allerdings ist der Grad zur Kommerzialisierung schmal und beim FC St. Pauli wird eben die „Prise mehr Reflexion“ eingefordert – zumindest von einem Teil des Fanspektrums.
Genau das kommt beim Hamburger Dokumentarfilmer Felix Grimm zu Wort – in aller Regel jedoch aus dem Off. Im Mittelpunkt steht schließlich das Geschehen auf den Rängen im Stadion an diesem Spieltag im April 2010. Die Gesänge der Fans, ihre Sprechchöre, der Tanz der Bierbecher auf den Rängen, der Fahnen und Megaphone – manchmal mit, manchmal ohne Choreographie – wie bei einem ganz normalen Fußballspiel. Diese Bilder hat Filmemacher Grimm in den Vordergrund gestellt und bei den Dreharbeiten am Millerntor waren ein gutes Dutzend Kameras im Einsatz. Mal am Zaun, dann auf einem Megaphon montiert oder auf einem Flaggenmast. Das sorgt genauso wie die großartige Idee, ein Kameraauge auf einer Bierpappe zu installieren für ungewöhnliche Perspektive. Davon gibt es reichlich und nicht nur die Bilder bleiben haften – auch die eigenwillige Machart des Films. Felix Grimm verzichtet darauf, die Fanvertreter, die er interviewt hat, ins Bild zu setzen. Folglich steht das Geschehen auf den Rängen und nur indirekt das auf dem Rasen im Mittelpunkt der 60 Minuten. Ein Film über Fans und kritische Fankultur, den so wohl kein Verein zu bieten hat. Knut Henkel
Premiere beim Filmfest Hamburg am Dienstag im Metropolis 21.30, Wiederholung Fr 7. 10, 19.00 im B-Movie