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Archiv-Artikel

Lecken verboten

SHOPPING Es war eine Ausstellung der besonderen Art: Ein Einkaufsroboter orderte Dinge aus dem Darknet. Jetzt kam die Staatsanwaltschaft – und nahm das Kunstwerk mit

Es geht um die Kunstfreiheit und um die Frage: Wer ist verantwortlich, wenn ein Roboter autonom handelt?

Kommt der Staatsanwalt zum Künstler. Sagt der Künstler: „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“ Sagt der Staatsanwalt: „Guten Tag, Ihr Kunstwerk ist beschlagnahmt.“

Sie ahnen es schon: Das ist natürlich kein Witz, sondern das, was im hübschen Örtchen Sankt Gallen in der Schweiz nun passierte. Dort, in den weiten weißen Räumen der Kunsthalle hatte das Zürcher Künstlerduo der !Mediengruppe Bitnik, Carmen Weisskopf und Domagoj Smoljo, eine Ausstellung zum Darknet kuratiert – und auch ein eigenes Werk beigesteuert. Ihr Projekt: ein Bot, also ein von ihnen geschriebenes Computerprogramm, orderte nach dem Zufallsprinzip Dinge aus dem Darknet – das ist jener Bereich Internet, der von Suchmaschinen nicht auffindbar ist und gern als Umschlagplatz für alles Mögliche, darunter auch Illegales, genutzt wird. Im Wochenrhythmus orderte ihr Einkaufsroboter also vollautomatisch die verschiedensten Dinge – und bestellte sie ohne Umwege in die Kunstausstellung. Dort erhielten sie nach und nach Platz in grauen Ausstellungsvitrinen. Mit dabei: eine Ladung Chesterfield-Zigaretten, eine gefälschte Louis-Vuitton-Tasche und eine Visa Card Platin. Außerdem: 10 Ecstasy-Pillen, grellgelb mit Twitter-Logo. Warenwert: 50 US-Dollar. Das war zu viel für die Staatsanwaltschaft Sankt Gallen.

Sie beschlagnahmte das Kunstprojekt und liefert damit nun den Stoff für eine interessante Debatte. Es geht um die Kunstfreiheit und um die Frage: Wer ist verantwortlich, wenn ein Roboter autonom handelt? Bitnik fordert nun alle beschlagnahmten Gegenstände zurück – und hier wird es interessant.

Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft noch gegen unbekannt. Ein Behördensprecher sagte der taz: „Ziel des Verfahrens ist nicht in erster Linie, jemand einer Strafe zuzuführen, sondern vor allem die Drogen aus dem Verkehr zu ziehen.“ Wenn die Substanzen in den Verkehr kämen, so die Argumentation, könnten sie Dritte gefährden.

Bitnik dagegen hält die Drogen gar nicht mehr für Drogen, sondern für einen Kunstgegenstand, der dem gleichen Schutz unterliegen müsse wie Bilder, Büsten oder andere Kunstobjekte. „Es ist so etwas wie ein Original, ein Bild“, sagte Smoljo der taz. „Man darf das nicht einfach vernichten.“ Bitnik beharrt darauf, die derzeit noch versiegelten Drogen zurückzuerhalten, um sie auch in Folgeausstellungen präsentieren zu können. Damit allerdings tritt Fall zwei in Kraft: Wer den Besitz für sich reklamiert, dürfte auch der Besitzer sein. Und der Besitz von Drogen ist auch in der Schweiz verboten.

Der Streit dreht sich übrigens, Stichort Fremdgefährdung, nur um die Pillen. Im Hinblick auf die anderen Gegenstände scheint die Staatsanwaltschaft keine Ambitionen zu haben – sie wurden nur mit beschlagnahmt, weil die Ausstellung ohnehin schon komplett verpackt war zum Abtransport.

Ein schönes Ende ist dies aber allemal für eine Ausstellung, die darauf ausgelegt war, eine Debatte über das Darknet als Freiraum zu eröffnen.

Ein entscheidendes Detail ist allerdings noch ungeklärt: ob es sich bei den Pillen überhaupt um Drogen handelt. Um dies herauszufinden, müsste man sie zunächst untersuchen – oder mal dran lecken. Beides aber, so viel ist klar, wäre unweigerlich ein Eingriff in die Kunstfreiheit. Oder, mindestens: eine recht unterhaltsame Performance.

MARTIN KAUL