Gemeinsam wirtschaften

Die Genossenschaft Gewerbehof Saarbrücker Straße bietet ihren Mietern nicht nur günstige Räumlichkeiten zu stabilen Preisen, sondern auch ein Mitspracherecht. Zudem schweißen ökologische und soziale Vorhaben die Gemeinschaft zusammen

VON SVEN KULKA

Hoch oben am Schornstein des ehemaligen Kesselhauses weht sie, die kleine rote Fahne. Für die Mitglieder der Genossenschaft Gewerbehof Saarbrücker Straße ein Symbol der Solidarität. 1995 gegründet, erwarb die Genossenschaft 2003 vom Berliner Liegenschaftsfonds einen Teil der alten Königstadt-Brauerei, wo sich heute mehr als 30 unterschiedliche Gewerbetreibende im Rahmen der Gemeinschaft eingemietet haben. Und das mit vielen Vorteilen: Sie haben ein Mietrecht auf Lebenszeit, zahlen eine geringe Miete und können mitbestimmen bei jedem Bauvorhaben. „Und die sind in jedem Fall ökologisch und finanziell ohne Risiko“, so Klaus Lemmnitz, Vorsitzender der Genossenschaft.

Das Konzept der Genossenschaft auf dem Geländer der ehemaligen Königstadt-Brauerei in Prenzlauer Berg funktioniert. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts stellten Braumeister hier Bier her – bis 1921. Danach war das Gelände Waffenfabrik, Filmpalast der UFA, Gerichtsaktenlager, Schuh- und Seifenfabrik, Stützpunkt des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, Fuhrpark des Magistrats. Heute bewirtschaften es zwei Betreiber. Auf dem zur Schönhauser Allee gelegene Teil der Brauerei errichtet ein privater Entwickler einen Büroneubau mit Läden im Erdgeschoss. Der zur Saarbrücker- und Straßburger Straße gelegene Bereich, ein rund 7.800 Quadratmeter großer Teil der Liegenschaft, ist seit 2003 im Besitz der Genossenschaft Gewerbehof Saarbrücker Straße. Sie hat zum Ziel, produzierendem Gewerbe sowie produktionsnahen Dienstleistungen eine günstige und sichere Betriebsstätte zu bieten, die historischen Gebäude zu erhalten, nachhaltig die Zukunft des Gewerbehofs zu gestalten, ohne die Betriebe zu gefährden.

„Wir sanieren und renovieren den Gewerbehof“, sagt Klaus Lemmnitz, angepasst an die Bedürfnisse der Gewerbetreibenden. Und sie sanieren nur das, was notwendig ist, „um die Mieten niedrig zu halten“. Also gehen die Genossen sehr behutsam mit ihren finanziellen Mitteln um: Jede neue Baustufe nehmen sie erst in Angriff, wenn die Finanzierung gesichert ist und mindestens 70 Prozent der Flächen Nutzer gefunden haben. Zudem saniere man bei laufendem Betrieb, „denn das ist billiger, weil die Mieteinnahmen in dieser Zeit weiterfließen“, so Lemmnitz.

Es ist nicht zuletzt der ökologische Ansatz ihres Konzepts, der die Mitglieder eint und an dem sie festhalten. Noch bis vor einigen Jahren gab es auf dem Gelände keine Heizung. Wärme produzierten die meisten Gewerbetreibenden mit Strom, die Fenster waren kaputt. Heute sind alle Mieter im Gewerbehof am Blockheizkraftwerk der Berliner Energieagentur vom Nachbargrundstück angeschlossen und die Fenster erneuert. Die Hauptanschlüsse des Blockheizkraftwerks befinden sich unter den historischen Gebäuden, in den gigantischen Kellergewölben der ehemaligen Brauerei: Kulisse für Film- und Fotoproduktionen. Damit noch nicht Ökologie genug: Überall auf dem Gelände stehen Blumen und Pflanzen in Rabatten, es gibt Pflanzschalen und Bänke. Im Herbst will Lemmnitz zahlreiche Nistkästen aufhängen, und für die Zukunft plant er eine Solaranlage, noch mehr Grün sowie eine Regenwasserauffanganlage mit Brunnen im Innenhof.

Die Genossen haben nicht nur eine grünen Daumen, sondern sind zudem sozial eingestellt. Es gibt ein großes Angebot für Kinder und Jugendliche. Außerdem bieten die ansässigen Betriebe Jugendlichen Ausbildungsplätze sowie Praktika in ihren Betrieben an. Sie kaufen Maschinen in der Gemeinschaft, die sie anschließend auch gemeinschaftlich nutzen. Oder sie helfen sich gegenseitig mit Kontakten. 240 Menschen bieten die Betriebe einen Arbeitsplatz.

Es klingt gut, das Konzept der Genossenschaft. Doch kostenlos gibt es das nicht. Die Mieter zahlen eine Einlage in Höhe von 70 bis 150 Euro pro Quadratmeter gemietete Fläche, mindestens jedoch 10.250 Euro je Einheit sowie eine Kaution. Aber es rechnet sich. Die Genossenschaft kann den Mietern faktisch nicht kündigen und garantiert annähernd stabile Mieten, die gering sind (vier bis acht Euro pro Quadratmeter), und ein Mitspracherecht.

Die Investitionen des Gewerbehofs erfolgen mit 30 Prozent Eigenkapital und 70 Prozent Fremdmitteln. Die Fremdmittel vergibt die Berliner Volksbank, die selbst auch Mitglied der Genossenschaft ist, in Form von Krediten. Das Eigenkapital besteht aus der Einlage sowie einem Finanzierungsfonds.

Ein Betrieb erhielt vor einiger Zeit einen Großauftrag von einer Kommune. Eine sichere Sache, dachte der Chef. Er kaufte Waren und Werkzeuge und begann zu produzieren. Kurz vor Auslieferung konnte die Kommune das Geld allerdings nicht flüssig machen und verschob die Zahlung vorerst. Für den Gewerbetreibenden eine Katastrophe. Die Genossenschaft hilft ihm nun solidarisch aus der Patsche. Bis die Kommune das Geld zahlt. „Die Gemeinschaft ist eine demokratische Wirtschaftsform, die wir hier im Gewerbehof leben“, sagt Lemmnitz. „Nachhaltigkeit“ nennt er das auch – für die Genossen, die Stadt, die historischen Gebäude und die Umwelt.

Freitag, den 21. September, findet auf dem Gewerbehof der „Aktionstag Zukunftsfähigkeit“ statt (siehe Seite 30)