: Jukebox
Krautig bildungsnahes Flirren und Wummern
Aus gegebenem Anlass darf wieder der Begriff „Krautrock“ abgestaubt werden. Was gleich die alte Frage aufwirft, was das denn überhaupt sein soll.
Irgendwie komische Musik aus Westdeutschland, eher alt und am besten mit Entstehungszeit Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger. Darauf kann man sich noch mit allen verständigen und dann gleich mit heißen Ohren darüber streiten, wer auf dieser Ehrenliste (als die Krautrock im popmusikalischen Gedächtnis längst gilt) eingetragen werden darf. Die Band Cluster (der gegebene Anlass: Cluster, gerade frisch wiedervereint, eröffnen am heutigen Freitag im Ballhaus Naunynstraße das Interface-Festival) bestimmt. Mit ihrem überzuckerten Repetitiv-Pop, den Brian Eno so toll fand, dass er mit den Cluster-Musikern mehrere Platten aufnahm. Und Neu! sowieso mit dem experimentellen Wummern. Meinetwegen auch Tangerine Dream mit der schon arg verblasenen Sphärenmusik. Aber soll der hausbackene Hardrock von Birth Control oder gar Novalis mit dem Orgelschwulst wirklich Krautrock sein?
Man muss sich streiten.
Ganz bestimmt Krautrock aber ist „Krautrock“, erster Titel des vierten Albums von Faust. Ein zwölfminütiges stumpfes Flirren über ein Minimal-Motiv. Großartig!
Ende der Sechziger haben die bildungsnahen Schichten in Deutschland den Rock übernommen. Mit ihren Klavierstunden. Mit den Kunstkenntnissen. Rock gehörte nicht unbedingt dazu. Amon Düül gründete sich als Künstlerkommune, die Musiker von Kraftwerk kamen von der Uni. Bei der Gründung von Can hatte nur Gitarrist Michael Karoli überhaupt Erfahrung mit Beatmusik. Der Rest hielt sich an Stockhausen. Mit Chuck Berry hat das nicht viel zu tun. Man darf vermuten, dass die Krautrocker das Straßenkind Rock ’n’ Roll einfach nicht richtig verstanden haben. Eine anständige Version von „Johnny B. Goode“ jedenfalls bekamen sie nicht hin. Selbst wenn sie gewollt hätten.
Dass man heute im einstigen popmusikalischen Entwicklungsland Deutschland weiter sein mag, ist jetzt auch nicht mehr von Bedeutung. „Partnerland“ der diesjährigen Popkomm ist Deutschland. Tja. So eine Schaltung zu den Konzerten der deutschen Bands dort (die einzeln für sich bestimmt vollkommen belanglos sind) könnte aber – alle Tonspuren gleichzeitig laufen lassend – eine wirklich abgefahrene Musik ergeben. Kruder komischer kakofonischer, ja, Krautrock. Eine herrliche Vorstellung. THOMAS MAUCH