Alle auf derselben Party

Das Leben harzt, Musik knarzt. Oliver Greschke alias Magnum 38 bringt seinen ersten Langspieler raus. „Old Europe Strikes Back“ sucht den Ausgleich zwischen Rock mit elektronischen Mitteln und Elektro im Rockgewand. Das klappt auf Anhieb

VON RENÉ HAMANN

Die Lage wird immer prekärer. Auch Elektroniklabels leiden schwer an der allgemeinen Umstrukturierung in Richtung digital, das Berliner Kampflabel Shitkatapult bildet da keine Ausnahme. Zum Glück gibt es neben dem Leistungsträger T. Raumschmiere auch das neue Album „Walls“ von Apparat, das dank einer gesunden Mischung aus feiner Elektronik und eher indiegeprägten Ansätzen gut fluppt. „Walls“ jedenfalls geht auch verkaufstechnisch ganz gut, also kann man das nächste Geschoss aufs Katapult binden: Oliver Greschke alias Magnum 38. Der ist mit 37 Jahren zwar kein Youngster mehr, findet nach einigen Maxis und Remixen hier aber endlich erstmals die Möglichkeit, sich mit „Old Europe Strikes Back“ auf der Langstrecke auszuprobieren. Was auf Anhieb klappt.

Es rappelt nämlich ganz schön, es knarzt und quäkt auf der Platte. Greschke dockt einerseits an das Kaputte seiner Labelkollegen an und weiß andererseits auch mal sanftere Flächen einzustreuen. Und dann gibt es diese zwei Vokalhits, „Disko Toni“, wo eine gewisse C Vidic singt, und „More“ mit Randy Twigg. Das ist fast Kirmestechno, das fällige Comeback des Eurotrashs, nur eben in hart und bollernd.

Greschke selbst verfolgt einen verbindenden Ansatz. LiebhaberInnen des angenehmen Vibes, der Melodiebögen bei schnurgerader Bassdrum finden die eher breakbeatorientierten Stücke von Magnum 38 eher zu brachial, zu sehr auf die Zwölf, zu rockorientiert. Rockmusik mit digitalen Mitteln ist es aber auch nicht, was Greschke macht. „Grundsätzlich ist es schon elektronische Musik“, sagt er im Interview. „Ich finde es auch schade, dass sich in Berlin die Szenen so ausdifferenziert haben. Mir wäre es lieber, wenn sich alles wieder mehr vermischen würde.“ Rock und Elektro, House und Breakbeat. Alle auf derselben Party.

Apropos Party. Bei Magnum 38 vermischen sich nicht nur die Stile, sondern auch die Mittel. So sind Auftritt und Auflegen bei ihm ein und dasselbe: Er legt, wie man inzwischen sagt, MP3s auf und bearbeitet sie live mit Equalizern, analogen Synthesizern und anderem Gerät. Im Unterschied zu anderen MP3-Jockeys spielt er aber nur eigenen Kram, den er zum Großteil zu Hause vorbereitet hat. Greschke nennt das dann auch nicht DJ-Set, sondern Liveauftritt. „Es könnte noch mehr in die Richtung live sein“, sagt er. „Mehr machen da vorne.“ Manchmal sieht das merkwürdig aus, wenn die Musik von Magnum 38 durchaus das Haus rockt, Magnum 38 selbst aber nur posendes Knöpfchendrehen, Headbanging und Auf-der-Stelle-Hüpfen machen kann. Das allerdings sehr hinreißend.

Im gewöhnlichen Leben arbeitet Greschke in den Bereichen Webprogrammierung und Sounddesign. Was also nicht weit entfernt ist von dem, was er abends und am Wochenende zu Hause macht. Da arbeitet er neben den üblichen Musikprogrammen wie QBase mit einer Software, die er selbst mitentwickelt hat und die ähnlich wie alte Synthesizerprogramme neue Sounds produziert. „Da habe ich mir so ein paar Effektteile gebaut. Das ist schöner, als mit der Maus auf kleinen Flächen punktgenau herumzuklicken. Und es macht stolz, wenn man was hat, was kein anderer hat.“

Dass die Rockattitüde im Elektrogewand nicht von irgendwoher kommt, lässt sich auch mit seiner Geschichte erklären. Greschke macht seit zwanzig Jahren Musik. Mit 17 spielte er in Mannheimer Punkbands und schrieb schreckliche Texte dazu. „Das musste immer so pathetisch sein“, meint er heute. Die Texte zu „Disko Toni“ und „More“ hat er jedenfalls der jeweiligen Sängerin überlassen. Trotzdem kann er sich vorstellen, in Zukunft noch mehr in Richtung Vocals zu arbeiten (vielleicht mit Einzeilern). Was auch ein Erfolg versprechendes Rezept sein könnte. „Disko Toni“ jedenfalls ist ein lokaler und internationaler Sommerclubhit geworden, nicht nur dank der Mitarbeit von T. Raumschmiere und dem Remix von Motor. Die meisten anderen Stücke geben sich übrigens nicht zahmer, was sich auch an den Titeln ablesen lässt: „Pille Palle“ heißt da eins, „Volle Kraft voraus“ ein anderes. Berlin-Bezug gibt’s ebenfalls: Ein Stück heißt „Frankfurter Tor“ und klingt so chaotisch und laut wie dieses Straßeneck selbst. Greschke muss es wissen, er wohnt da ganz in der Nähe.

Die labelinternen Umstellungen führen übrigens dazu, dass selbst in der Welt der elektronischen Musik, die einst eine Vinyl-Bastion war, inzwischen mehr auf Download gesetzt wird. Für Leute, die noch physische Tonträger brauchen, erscheint „Old Europe Strikes Back“ nur auf CD. Vorerst. Eine Vinylpressung wird es nur geben, wenn die Platte außerordentlich gut läuft. Da heißt es entweder abwarten, herunterladen oder kaufen gehen. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, sie wird keine falsche sein.

Magnum 38: „Old Europe Strikes Back“ (Musick/Shitkatapult). Record Release Party am 26. 10. in der Maria