: Unerwünschte hier wie dort
URAUFFÜHRUNG Das Junge Schauspiel des Staatstheaters Hannover thematisiert in „Deportation Cast“ Abschiebungen von Roma ins Kosovo. Ein Stück, das weit über das Einzelschicksal hinausweist
VON TERESA HAVLICEK
Eine Müllkippe irgendwo im Kosovo, dort lebt Elvira mit ihrer Familie seit ihrer Abschiebung aus Deutschland. Eben noch ist sie in Hannover zur Schule gegangen, hat sich verliebt, vor der Mathearbeit gefürchtet. Jetzt sitzt sie an einem Ort, an dem sie die Sprache nicht versteht, ein Ort, der ihre Heimat sein soll. Abschiebungen von Roma ins Kosovo greift die überaus gelungene Uraufführung von „Deportation Cast“ am Jungen Schauspiel des Staatstheaters Hannover auf.
Schnell wechseln die Szene zwischen dem Kosovo und Deutschland: Auf der einen Seite Elvira, ihr alkoholkranker Vater, der versucht, die Familie mit Dosensammeln über die Runden zu bringen und Geld für die Medikamente für den traumatisierten Sohn Egzon zu besorgen. Auf der anderen Seite in Deutschland Elviras Freund Bruno, der daran verzweifelt, nicht helfen zu können und einen Vater zu haben, der als Pilot auch Abschiebeflüge nach Priština fliegt.
Es ist eine tragische Dynamik, die die Schicksale vom Punkt der Abschiebung an nehmen. Am Ende zerbrechen beide daran: Elvira und ihre Familie, eine unerwünschte Minderheit hier wie dort, und Brunos Familie, die zur Mehrheit gehört, die die Minderheit erst zu Unerwünschten macht. „Bisher habe ich nur zweimal gemerkt, dass ich angeblich ein Roma-Mädchen bin“, sagt Elvira: „Das erste Mal, als sie unser Haus in Mitrovica abgebrannt haben, das zweite Mal als sie uns in Hannover nachts aus der Wohnung geholt haben.“
„Deportation Cast“ geht dabei über die individuelle Ebene hinaus. Intensiv hat Autor Björn Bicker recherchiert: Er hat nicht nur mit Betroffenen gesprochen, sondern auch mit Sachbearbeitern von Ausländerbehörden, Anwälten, Aktivisten von Organisationen wie dem Roma Center Göttingen. All das fließt als übergeordnete Ebene ein: Der Arzt, der den Abschiebeflug begleitet, die Sachbearbeiterin, die die Abschiebung anordnet, der Anwalt, der das nicht verhindern kann, die Aktivistin, die das Ganze begleitet – alle treten in Bickers Stück auf.
Ihre nüchternen, ja desillusionierten Schilderungen und Kommentare rekonstruieren das Schicksal von Elviras Familie. Zugleich machen sie deutlich, dass es eines von vielen ist. „So ist das“, sagt etwa der Anwalt resigniert: „Manchmal kann man das Schlimmste verhindern, manchmal nicht“. Abgeklärt klingt die Aktivistin, die sagt, „an den Gesetzen ändern wir nichts“ – Träume von Veränderung habe sie sich „abgeschminkt“. Dem Arzt dagegen geht es schlicht ums Geschäft: Von posttraumatischen Störungen „verstehe ich als Orthopäde natürlich nicht so viel“, erklärt er, „aber da kann man sich schnell schlau machen.“ Sätze wie diese lassen eine Beklommenheit aufsteigen, die sich so leicht nicht abstreifen lässt.
Dass „Deportation Cast“ keine moraline Anklage mit erhobenem Zeigefinger ist, liegt auch an der Inszenierung von Regisseur Peter Kastenmüller. Zurückgenommen, fast nüchtern, bringt er das Stück auf die Bühne. Dem Ensemble gelingen die Szenenwechsel mit Leichtigkeit: Vier DarstellerInnen spielen die zwölf Figuren – höchste Konzentrationsarbeit. Unmittelbar wird zwischen Schauplätzen und Rollen gewechselt, vom Kosovo nach Deutschland, von der abgeschobenen Elvira zur Sachbearbeiterin in der Ausländerbehörde.
Er folge „einem aufklärerischen Impuls“, sagt Autor Bicker über sein Stück. Gut 10.000 Roma droht die Zwangsabschiebung, seit Deutschland vor anderthalb Jahren ein Rückübernahmeabkommen mit der kosovarischen Regierung abgeschlossen hat. Eine öffentliche Debatte darüber aber fehle, sagt Bicker, nur eine „Nebenöffentlichkeit“ nehme Notiz. „Deportation Cast“ soll für den Autor auch ein „Beitrag zu mehr Emphase und Sachlichkeit“ sein.
Das gelingt bestens – ein Pflichtprogramm nicht für Schulklassen, sondern auch Niedersachsens schwarz-gelber Landesregierung nur zu empfehlen.
Vorstellungen: 30.9., 2., 11., 20. und 27.10., 19.30 Uhr, Junges Schauspiel Hannover, Ballhof Zwei