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Archiv-Artikel

Raus aus Afghanistan?

Für viele Linke ist die Debatte um die Verlängerung des Bundeswehr-Mandats für Afghanistan auch eine Auseinandersetzung um ihre Ideale. Viele stürzt dies in Gewissenskonflikte. Die taz fragt nach

DEMO GEGEN AFGHANISTAN-EINSATZ

Zu einer Großdemonstration gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan werden am Samstag in Berlin Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet erwartet. Wie die Veranstalter mitteilten, kommen die Demonstranten mit 30 Bussen und einem Sonderzug. Die Demo wird von einem Aktionsbündnis aus fast 200 Initiativen und Organisationen veranstaltet und soll um 12 Uhr vor dem Roten Rathaus beginnen.

Angesichts der im Oktober anstehenden Afghanistan-Abstimmung im Bundestag wollen die Veranstalter gegen eine Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes protestieren. Das Aktionsbündnis lehnt sowohl das Isaf-Mandat als auch die Beteiligung an der Operation Enduring Freedom und die Entsendung von Tornado-Flugzeugen ab.

Als Redner werden unter anderem Linken-Chef Oskar Lafontaine und der Politologe Peter Grottian auftreten. Auch eine Vertreterin der Grünen wird trotz des parallel stattfindenden Göttinger Sonderparteitags als Rednerin erwartet. Dort will die Partei über den Bundeswehr-Einsatz beraten.

www.afghanistandemo.de der tag SEITE 2, meinung SEITE 11

PROTOKOLLE WALTRAUD SCHWAB

„Frieden für Afghanistan. Bundeswehr raus.“ So lautet das Motto, unter dem am Samstag Friedensorganisationen und Parteien zur Demonstration aufrufen. Der Slogan ignoriert, dass die Frage, ob das Mandat für den Bundeswehreinsatz verlängert werden soll, längst nicht mehr eindeutig bejaht oder verneint werden kann.

Urs Kleinert von Attac-Berlin. Attac unterstützt den Demoaufruf.

Wir sehen, was in Afghanistan passiert: Immer mehr internationale Soldaten kommen ins Land, und gleichzeitig weiten sich die gewaltsamen Konflikte aus. Es gibt Kampfhandlungen auch in Gegenden, wo es vorher ruhig war. Manche sprechen von einer Irakisierung. Ich würde das nicht unterschreiben. Viele Afghanen empfinden das Land jedoch als besetzt und die afghanische Regierung als vom Westen eingesetzt. Bestimmte Warlords werden zudem von den Nato-Staaten unterstützt. Deshalb haben jetzt Gruppen Zulauf, die gegen diese sind. Unter anderem auch die Taliban.

Das macht es alles so schwierig. Die Präsenz der internationalen Schutztruppe Isaf heizt das noch an. Sie ist eine weitere Kriegspartei. Die Bundeswehr hat eigentlich den Auftrag, eine zivile Sicherheitsstruktur für die Bevölkerung aufzubauen. Tatsächlich sichert sich die Bundeswehr vor allem selbst. Damit hat sie ihren Auftrag verwirkt. Wenn wir jetzt fordern, dass die Bundeswehr abzieht, wird das sicher nicht bedeuten, dass die Leute von heute auf morgen nett zueinander sind und sofort demokratische Wahlen abhalten. Es wird unruhig bleiben. Wir können nicht sagen, was in der Zukunft passiert, aber wir können sagen, dass das, was bisher geschieht, so keinen Frieden bringen kann.

Dann gibt es noch etwas, was in der Diskussion viel zu kurz kommt. Afghanistan wird von der Bundesregierung benutzt, um den Widerstand gegen militärische Einsätze als Mittel der Außenpolitik zu brechen. Der Einsatz in Afghanistan wird als Hilfe für die Bevölkerung verkauft. So klopft man die Gegner von Auslandseinsätzen weich.

Sven Hessmann, Pressesprecher von Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. Die IPPNW unterstützt den Demoaufruf.

In der derzeitigen Situation trägt die Bundeswehr in Afghanistan zur Militarisierung bei. Der Tornado-Einsatz ist ein Teil der Kriegsführung. Damit ist die Trennung zwischen der militärischen Operation Enduring Freedeom (OEF) und dem humanitären Imperativ, den die internationalen Schutztruppen (Isaf) gehorchen sollen, nicht mehr gegeben. Die Bundeswehr sagt, sie mache zivilgesellschaftlichen Aufbau. In Wirklichkeit verschanzt sie sich in den Kasernen.

Wir stellen die Forderung, dass sie nun abzieht, obwohl danach ein gefährliches Machtvakuum entstehen kann. Wir sind uns als ÄrztInnenorganisation sehr bewusst, dass keine medizinische Versorgung funktionieren kann, wenn das medizinische Personal Angst haben muss, auf dem Weg zum Krankenhaus verletzt oder getötet zu werden. Auf der anderen Seite sind wir aber der Meinung, dass dieser notwendige Schutz nur durch zivile, afghanische Kräfte gewährleistet werden kann. Militärgewalt wird unserer Meinung nach einfach nur noch mehr Gewalt hervorrufen.

Thomas Gebauer, medico international. Die Organisation ruft nicht zur Demo auf.

Wir haben 2001 klar gesagt, es ist ein Fehler, dort militärisch zu intervenieren. Es ist aber interveniert worden. Wir waren und sind aus politischen Gründen gegen diese Intervention, die keine Legitimierung hat. Die Operation Enduring Freedom (OEF) war ganz klar ein Vergeltungsschlag der USA. Es war falsch, die Taliban militärisch anzugreifen und dadurch den Warlords an die Macht zu verhelfen. Man hätte sie – wie das Apartheitsregime in Südafrika – politisch beseitigen müssen. Die nach dem Militärschlag nachgezogenen internationalen Schutztruppen (Isaf) sind das Feigenblatt dieser Operation.

Aber jetzt ist die Intervention Realität und unsere Partner vor Ort – das sind Minenräumorganisationen, Menschenrechts-NGOs und auch kleinere Kulturprojekte – sagen klipp und klar: Wenn die Isaf-Truppen jetzt abziehen, gibt es Bürgerkrieg. Sie sagen: Jetzt müsst ihr uns schützen. Ich war letzte Woche dort. Sie sagen es, obwohl die Isaf-Truppen ihren Auftrag, für Sicherheit zu sorgen und eine afghanische Polizei auszubilden, die eingebunden ist in demokratische Strukturen, bisher nicht erfüllt haben. Derzeit überlagert das Militärische den ursprünglichen Auftrag der Isaf und dient nur noch der Stabilisierung von Nato-Interessen. Im Land selbst ist dagegen in den letzten Jahren alles schlechter geworden.

Es gibt keine nennenswerte soziale Entwicklung, Armut und Korruption sind schlimmer geworden. Und durch die Straßen sieht man diese präpotent wirkenden Militärs in gepanzerten Wagen fahren, die keine Bevölkerungsnähe haben. Es geht nicht um die Frage: Isaf – ja oder nein? Gefordert werden muss ein politischer Strategiewechsel der Nato, der mit einer entwicklungspolitischen Offensive einhergeht, um die Wirtschaft in Afghanistan wieder anzukurbeln und so soziale Entwicklungen in Gang zu setzten.

Barbara Unmüssig, Heinrich-Böll-Stiftung. Es ist die Parteistiftung der Grünen. Die Forderung „Bundeswehr raus aus Afghanistan“ spaltet die Partei.

Wir unterstützen in Afghanistan Projekte, die am demokratischen Aufbau beteiligt sind. Wir fördern vor allem die Partizipation von Frauen am politischen Prozess. Wir stärken Fraueninstitute, die zur sozialen Frage aus Geschlechter- und Frauenperspektive arbeiten. Wir fördern Bildungs- und Bewusstseinsarbeit. Zum anderen aber versuchen wir auch direkt mit Stammesältesten in verschiedenen Regionen zu arbeiten. Dies, obwohl wir es in ländlichen Regionen mit einer sehr patriarchalen Situation zu tun haben. Wir thematisieren trotzdem die Geschlechterfragen und die Partizipation von Frauen. Wir versuchen, Stammesälteste zu überzeugen, dass Mädchen in Schulen und Frauen in der Ausbildung ein wichtiger Faktor für die regionale Entwicklung sind. Deshalb muss ich mich mit der Frage auseinandersetzen, welchen militärischen und sicherheitspolitischen Schutz braucht demokratische Aufbauarbeit unter Einbeziehung von Frauen. Da komme ich zu dem Schluss, dass auch in den nächsten Jahren ein UN-Mandat der Isaf notwendig ist.

Ich sage gleichzeitig: Es muss einen Strategiewechsel beim Isaf-Einsatz geben. Die Isaf darf sich nicht vor den Karren der OEF spannen lassen. Es muss aber auch einen Strategiewechsel beim zivilen Aufbau geben. Die Geber müssen sich koordinieren und nicht länger ihre eigenen Interessen protegieren. Die kulturelle Inkompetenz der externen Geber ist massiv. Wir setzen darauf, die Kapazitäten der Afghanen zu stärken und nicht das Feld freizuräumen für internationale Vorlieben. Unsere Partnerinnen sagen: Bitte lasst uns nicht alleine. Das muss ich ernst nehmen.