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Archiv-Artikel

Wirbel bei den Wirbellosen

ÖKOLOGIE Badestrände sind ein Störfaktor

Wenn wir an einem Sommertag vom Strand in einen Süßwassersee waten, können wir uns eins mit der Natur fühlen. Dass unsere Intuition in dieser Hinsicht trügt, hat jetzt ein Team vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) unter Leitung von Martin Pusch bewiesen. Demnach lassen Badestrände das Gewässerufer ökologisch verkümmern. Der Doktorand Mario Brauns beschrieb in seiner Dissertation, wie sich eine komplexe Nahrungskette nicht nur an solchen Stellen, sondern auch vor künstlichen Uferbefestigungen fast auflöst. Ihre Ergebnisse haben die Forscher im Journal of Applied Ecology veröffentlicht.

Um herauszufinden, wer wen wo frisst, fischten sie acht Jahre lang Insektenlarven, Muscheln, Schnecken und Kleinkrebse aus drei Seen in Berlin und Brandenburg. Alle drei haben Badestrände ebenso wie naturbelassene Ufer und Uferbefestigungen, teils Spundwände. Am Langen See im Osten Berlins sind zwei Drittel des Ufers verbaut, am Unterruckersee bei Prenzlau noch 91 Prozent naturbelassen.

Nahrungsquellen ermittelt

Die Wissenschaftler untersuchten die 29 häufigsten Arten unter den Wirbellosen. Von jeder Fundstelle trockneten und pulverisierten sie Exemplare jeder Art und schickten sie zur Cornell University in die USA. Dort maß ein Massenspektrometer die Anreicherung der seltenen Isotope, C-13 und N-15 in den Überresten. Je mehr Kohlenstoffisotope in einer Tierart, desto mehr Nahrung hat sie direkt aus dem Gewässer aufgenommen (also Algen statt Falllaub). Je höher der Stickstoffanteil, desto mehr ernährt sie sich von anderen Tieren.

Während sich an den natürlichen Ufern alle 29 Arten innerhalb eines komplexen Nahrungsnetzes aufeinander bezogen, blieben im Extremfall des Badestrands von Rheinsberg am Grienerickesee nur drei übrig: Zuckermückenlarven, die eingewanderte neuseeländische Deckelschnecke sowie die gemeine Kugelmuschel. Sie ernähren sich von organischen Feinpartikeln.

Auf die Frage nach den Nahrungsbeziehungen an Seeufern kam das Team vom IGB nur deshalb, weil die Einleitung klassischer Schadstoffe in vielen Berliner und Brandenburger Gewässern deutlich abgenommen hat. „Trotz der verbesserten Wasserqualität kehrten an vielen Gewässerufern bestimmte Arten von Wirbellosen nicht im erwarteten Maße zurück. Und so fragten wir uns, ob es da nicht noch andere Ursachen gibt“, erzählt der Gewässerökologe.

Rückzugsräume schaffen

Badestrände, so tröstet er, machten ja nur wenige Prozent der Seeufer aus. Dagegen ziehen sich vor Siedlungen und an Wasserstraßen kilometerlange Befestigungen hin. Da man diese nicht überall beseitigen kann, regt Pusch an, davor wieder im Wasser wurzelnde Bäume zu pflanzen und Schilf wuchern zu lassen. „Je verästelter eine Uferregion ist, je mehr sie den Wirbellosen Rückzugsräume bietet, desto belastungsfähiger ist deren Lebensgemeinschaft“, referiert er und fügt hinzu: „Im Übrigen hat man dann einen viel romantischeren Blick aufs Wasser.“

BARBARA KERNECK