AMERICAN PIE
: Lasches Lederei

AMERICAN FOOTBALL Haben die New England Patriots bei ihrem Einzug ins Super-Bowl-Finale geschummelt? Die Liga ermittelt

Das passt zum Image der Patriots, die außerhalb von Boston nicht gut gelitten sind

Wussten Sie, dass das Spielgerät beim American Football mit einem Luftdruck von mindestens 0,86 Bar, höchsten aber 0,93 Bar aufgepumpt sein soll? Dass jede Mannschaft im Angriff mit eigenen Bällen spielt? Dass die zwölf Ledereier, die jedes Team benutzen darf, exakt zwei Stunden und 15 Minuten vor Spielbeginn von den Schiedsrichtern überprüft und markiert werden müssen? Wussten Sie nicht? Trösten Sie sich: Auch in den USA, der Heimat des Sports, wusste das bislang so gut wie niemand – bis zum Halbfinale der NFL-Playoffs am vergangenen Sonntag.

Denn am Tag, nachdem die beiden Teams ermittelt wurden, die am 1. Februar im Super Bowl aufeinandertreffen werden, ging es nur noch am Rande um die irre Aufholjagd, die die Seattle Seahawks gegen die Green Bay Packers hingelegt hatten. Auch kaum Gesprächsstoff lieferte die Tatsache, dass Star-Quarterback Tom Brady mit dem überzeugenden Triumph seiner New England Patriots gegen die Indianapolis Colts zum zweiten Spieler in der Geschichte der NFL wurde, der in sechs Super Bowls spielen wird. Alles Randnotizen. Stattdessen wurde die amerikanische Öffentlichkeit in aller Ausführlichkeit aufgeklärt über Luftdruck und weitere Feinheiten aus dem NFL-Regelbuch.

Denn kaum war ihre Mannschaft aus den Playoffs ausgeschieden, berichtete eine in Indianapolis erscheinende Zeitung, der Gegner aus New England hätte die Frechheit besessen, nach der schiedsrichterlichen Überprüfung die Luft wieder aus den Bällen zu lassen, um Brady im strömenden Regen, der an diesem Abend den Spielort Boston heimsuchte, einen besseren Zugriff auf den Ball zu verschaffen. Der ungeheuerliche Vorwurf wird nun von der NFL höchstoffiziell untersucht.

Seit Bill Belichick im Jahr 2000 den Cheftrainerposten übernahm und ein Jahr später Brady als Quarterback installierte, sind die Patriots das erfolgreichste Team in der NFL. New England ist Dauergast in den Playoffs und hat dreimal den Super Bowl gewonnen. Diese einmalige Dominanz wurde allerdings auch mit Mitteln erreicht, die nicht immer ganz legal waren. Belichick ist ein wortkarger Muffel, der Journalisten hasst, aber auch ein begnadeter Tüftler, ein strategisches Genie, der auch das komplizierte Regelwerk nach Löchern absucht, die man ausnutzen könnte. Neuerdings versuchen die Patriots, ihre Gegner dadurch zu verwirren, dass sie für nahezu jeden Spielzug eine neue, ungewöhnliche Aufstellung aufs Feld schicken. Im Viertelfinale gegen Baltimore war die Trickkiste so weit geöffnet, dass deren Chefcoach John Harbaugh anschließend von „betrügerischen“ Praktiken sprach. Man darf davon ausgehen, dass sich die Ligaverantwortlichen nach Saisonende ihr Regelbuch ansehen und womöglich ändern werden. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Patriots für Regelmodifikationen gesorgt hätten.

Aber Belichick dehnt Vorschriften nicht nur, er bricht sie bisweilen auch. Der größte Regelverstoß ging als „Spygate“ in die NFL-Historie ein: 2007 wurde bekannt, dass die Patriots jahrelang gegnerische Teams mit illegalen Videoaufnahmen ausspioniert hatten. Belichick wurde zu einer Strafe von 500.000 Dollar verdonnert.

Im Vergleich dazu sind die neuesten Vorwürfe kaum der Rede wert. Oder, wie es Tom Brady formulierte, „lächerlich“. Aber sie passen zum Image der Patriots, die außerhalb von Boston nicht gut gelitten sind. Brady, Ehemann von Topmodel Gisele Bündchen, gilt als vom Erfolg verwöhnter, arroganter Pinkel, sein Trainer als notorischer Betrüger mit schlechten Manieren. Zusammen aber kann das ungleiche Paar nun seinen vierten Titel gewinnen – mit dann sicherlich korrekt aufgepumpten Bällen. THOMAS WINKLER