: Was wollen die Eigentümer von ihren Zeitungen? Geld. Und basta!
“Nach meiner Meinung ist er ein nationaler Schatz, und solange er keine eigene Fernsehshow bekommt, bleibt Amerika stärker als Russland“, schrieb der Medienkritiker Neil Postman über den 1925 in Morrisonville, Virginia geborenen Baker. Der Journalist und Kolumnist gewann mehrere Pulitzer-Preise, unter anderem für seine „Observer“-Kolumne in der New York Times. Legendär ist Bakers Kolumne zur Mondlandung 1969: „Hier ist er also. Der Mensch auf dem Mond. Dieser armselige, wunderbare Pfuscher. Kaum schafft er es, die Widrigkeiten auf dem täglichen Weg ins Büro zu meistern - aber geben wir ihm ein Stückchen Metall, ein paar Chemikalien, ein bisschen Draht und zwanzig bis dreißig Milliarden Dollar - Wumm! - schon schießt er sich auf einen Felsbrocken eine Viertelmillion Meilen entfernt in den Himmel.“ Zehn Jahre später war auch Baker ganz oben: Der „Good Humor Man“ schaffte es im April 1979 auf den Titel des US-Nachrichtenmagazins Time. Baker ist ein scharfer Analytiker des Medienbetriebs und des Journalismus und schreibt heute regelmäßig für die New York Review of Books. Und obwohl er von 1992 bis 2004 eine eigene TV-Sendung (genauer: ein Kulturmagazin bei PBS) präsentierte, bleibt er - ein nationaler Schatz.
Steffen Grimberg
Die amerikanische Presse versinkt in Depressionen. Von zu vielen Seiten wird ihr versichert, ihre Tage seien gezählt, zu viele gute Zeitungen müssen dichtmachen, zu viel öffentliche Reputation ist ihr abhandengekommen. Von den Gerichten, die sie früher wie einen schlafenden Tiger behandelten, wird sie heute mit Geldstrafen eingedeckt; Reporter wandern ins Gefängnis, weil sie sich weigern, mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren. In Radiotalkshows und Internetblogs wird sie permanent verhöhnt und beschimpft. Sie selbst lässt sich allzu leicht einschüchtern und von der Propagandamaschine des Weißen Hauses vereinnahmen, die ihre Sicht der Dinge in den Medien durchsetzen will.
Das Internet lässt Anzeigenaufkommen und Auflagen schrumpfen, den Zeitungseigner ist offenbar jede unternehmerische Fantasie abhandengekommen, die man im elektronischen Zeitalter zum Überleben braucht. Empirische Studien, die aufzeigen, dass immer mehr junge Leute ihre Nachrichten aus dem Fernsehen und dem Internet beziehen, nähren das melancholische Gefühl, dass die Presse etwas von gestern ist, wie ein Pferdefuhrwerk auf einer achtspurigen Autobahn.
Und dann all die peinlichen Pannen: Hochstapler wie die Reporter Jayson Blair und Stephen Glass machen den Journalismus zur Farce. In Washington lässt sich das renommierte Corps der Hauptstadtkorrespondenten mit Lügen abspeisen und zur Hilfstruppe einer Clique neokonservativer Verschwörer machen, die den Irakkrieg produzieren. Und die alten Heldenfiguren? Zur Zeit der Watergate-Affäre wurden Journalisten bei Dinnerpartys auf die investigativen Taten eines Bob Woodward und Carl Bernstein angesprochen, auf Punch Sulzberger und Kay Graham, die ihre Karriere riskierten, als sie die Pentagon Papers veröffentlichten. Heute drehen sich solche Tischgespräche um journalistische Tricks und Schwindeleien und um eine Hauptstadtpresse, die sich über den Tisch ziehen lässt.
Die Melancholie, die seit langem die Redaktionen in aller Welt heimsucht, geht natürlich von dem Namen Rupert Murdoch aus. Doch für die Journalistenzunft der USA war der eigentliche Schock die Enthüllung von letztem Mai, dass die Familie Bancroft als Mehrheitseignerin des Wall Street Journal womöglich bereits sei, das Blatt für fünf Milliarden Dollar zu verkaufen. Der Verkauf irgendeiner Zeitung ist heutzutage etwas ganz Normales, aber The Wall Street Journal ist nicht irgendeine Zeitung. Sie ist eine der stolzesten Säulen des amerikanischen Journalismus. Und sie wurde, wie die New York Times und die Washington Post, seit Generationen von den Nachkommen ihres Gründers kontrolliert.
Der Status als Familienbesitz schützte alle drei Zeitungen vor den penetrantesten von der Wall Street ausgehenden Forderungen nach höherer Profitabilität. Das ermöglichte einen Journalismus von hoher Qualität - und hohen Kosten. Nach einer weithin herrschenden Überzeugung waren die Eigentümerfamilien von dem noblen Gefühl beseelt, dass ihre Zeitungen quasi öffentliche Institutionen seien. Die konnten natürlich nicht ohne Gewinne überleben, aber der Profit war nicht der Hauptzweck ihrer Existenz. Dass eine dieser Familien nun womöglich doch verkaufen und sich mit dem Geld absetzen könnte, verstärkt die Befürchtung, dass keine Zeitung für die Republik so unentbehrlich ist, dass sie nicht auf dem Mark verscherbelt werden könnte, wenn nur der Preis stimmt. Murdochs Einstieg beim Wall Street Journal ist ein böses Omen für alle Journalisten. Wenn einmal das Schild „Ausverkauf“ im Schaufenster steht, folgt häufig ein anderes mit dem Wort „Geschäftsaufgabe“.
Es gibt immer mehr Abhandlungen über alle möglichen Probleme des Journalismus, doch die meisten beschäftigen sich mit der publizistischen Seite des Geschäfts, vielleicht weil die meisten Leute, die über Journalismus schreiben können, sich nicht gern zum Thema Finanzen äußern. Und doch liegen die entscheidenden Probleme auf der Eigentums-und der betriebswirtschaftlichen Ebene. Die besten Diskussionsbeiträge zur Krise in den Redaktionsräumen und Chefetagen der Zeitungen finden sich auf deren eigenen Wirtschaftsseiten und in Vorträgen von Journalisten in Managementpositionen. Ein Text, der von vielen Zeitungsleuten gelesen wurde, ist eine Rede, die der frühere Herausgeber der Los Angeles Times, John S. Carroll, im vergangenen Jahr vor seinen Kollegen von der American Society of Newspaper Editors gehalten hat. Hier artikulierte Carroll höchst einprägsam die Zukunftsängste, die heute viele schreibenden Journalisten und Redakteure empfinden.
Der Titel des Vortrags lautete „Was wird aus den Zeitungen?“. Wie die Frage schon andeutet, fiel Carrolls Prognose wenig rosig aus. Besonders alarmiert äußerte er sich darüber, dass es zwischen Eigentümer und Journalisten keine Verständigung und keine gemeinsamen Zielvorstellungen mehr gibt. Das rührt laut Carroll daher, dass die Funktionen, die früher zu den Kompetenzen eines starken Herausgebers gehörten, neuerdings von Finanzmanagern der Wall Street wahrgenommen werden. Der Zerfall der Gemeinsamkeit an der Spitze begann vor etwa vierzig Jahren, als die ersten Eigentümer von Lokalblättern an große Pressekonzerne verkauften. Mit der Entwicklung der Finanzmärkte verlagerte sich die Macht dann von diesen Konzernen auf die Investmentfonds, die Profite machen, indem sie anderer Leute Geld mittels gezielter Investitionen vermehren. Seitdem war kaum noch zu erkennen, wem eine Zeitung gehört. Laut Carroll waren die Eigentümer keine „identifizierbaren Menschen“ mehr. Der Unternehmer, der bis dahin ein konkreter Name war, wurde zum anonymen Es. Dieses Es scheint manchmal ein Büro voll Marktforschern zu sein, die auf ihren Computern die Welt nach profitablen Investitionschancen durchforsten; manchmal auch nur ein Fondsmanager, der weder journalistische Erfahrung hat noch irgendein Interesse am Zeitungmachen.
In dieser „postunternehmerischen Phase des Eigentums“ wurde laut Carroll die „Zweckbestimmung der Zeitung“ durch die neuen Eigentümer immer enger definiert: „Unter den früheren, lokal verankerten Besitzern machte die Fähigkeit der Zeitung, Geld zu machen, nur einen Teil ihres Wertes aus. Heute ist diese Fähigkeit alles. Dahin ist die Vorstellung, dass eine Zeitung eine Orientierung bieten sollte, dass sie eine Verantwortung gegenüber der lokalen Gemeinde hat, dass sie der breiteren Öffentlichkeit verpflichtet ist. Wenn wir eines Tages auf diese vierzig Jahre zurückblicken, werden wir uns vermutlich fragen, wie wir es zulassen konnten, dass das Allgemeinwohl so radikal dem privaten Profitstreben untergeordnet wurde.
Am Ende fragte Carroll: „Was wollen die jetzigen Eigentümer von ihren Zeitungen? Die Antwort lautet schlicht und einfach: Geld. Und basta.“ Und das Zeitungswesen? Es fiel jener Wall-Street-Theorie zum Opfer, dass man Profite maximieren kann, indem man das Produkt minimiert. Überall und ständig wurde von den Zeitungen gefordert, ihren Aktienwert aufzubessern, was zu einer Kahlschlagsanierung mittels Kosteneinsparungen führte. Zurück blieb eine Presselandschaft mit lauter ausgelaugten, moribunden oder schwer verwundeten Zeitungen, deren Nutzen für Leser, die sich für das Geschehen auf der Welt, im eigenen Lande und auf Lokalebene interessieren, immer stärker abnimmt. Aus Kostengründen schrumpfte die Zahl der Auslandskorrespondenten, wurden Büros in Washington verkleinert oder geschlossen, und das Corps der Lokalreporter wurde zusammengestrichen, das früher die Gouverneure und Bürgermeister und die Parlamente der Einzelstaaten ebenso unter Beobachtung gehalten hatte wie die lokalen Halunken und Betrüger oder Leute, die eine lokale Jury bestechen. Reduziert wurde auch der Umfang einer typischen Zeitungsseite - die Druckkosten wurden zu Lasten der gedruckten Inhalte gesenkt.
Die Zeitungseigentümer neuen Stils sind oft irritiert, wenn sie von ihren Redakteuren und Reportern das traditionelle Argument hören, Journalismus sei eine öffentliche Dienstleistung, da man den Bürgern die Informationen liefere, die erst eine funktionierende Demokratie ermöglichen. Die neuen Eigentümer sehen ihre Pflichten anders. Wie Carroll beobachtet hat, sind sie zuweilen „ehrlich überrascht“, wenn sie Leuten begegnen, die sich nicht zuerst und vor allem den Aktionären verpflichtet fühlen.
Carroll: „Sie fragen sich: Was treibt diese Leute an? Die Aufgabe jedes Beschäftigten besteht nach ihrem Verständnis darin, ein gutes finanzielles Ergebnis zu erzielen. Die Leute in der Unternehmensspitze empfinden unsere Überzeugungen als verschroben, destruktiv und entnervend.“ Carrolls Rede ist deshalb von unschätzbarem Wert, weil sie aus Sicht eines aktiven Journalisten schildert, wie die Marktkonkurrenz die Branche verändert hat. Eine ähnlich bittere Bilanz aus Sicht des Eigentümers verfasste unlängst Donald Graham, der Vorstandsvorsitzende der Washington Post. Sein Kommentar erschien auf der Meinungsseite des Wall Street Journal, und zwar im April 2007, als die Wall Street die New York Times ins Visier genommen hatte.
Erstaunlicherweise scheint Graham - als Zeitungseigentümer - der These Carrolls zuzustimmen, dass das ungehemmte Marktprinzip in der Zeitungsbranche nicht gut funktioniert und bei rigoroser Durchsetzung sogar die Tendenz hat, die ganze Branche kaputt zu machen. Ganz ähnlich warnt Graham in seinem Essay mit erkennbarem Zorn, dass die Fixierung der Finanzwelt auf die Profitmaximierung dem Journalismus den Garaus machen könnte.
Grahams Stellungnahme war die Reaktion auf das Vorhaben eines Finanzmanagers des Bankhauses Morgan Stanley, die Unternehmenskonstruktion der New York Times zu zerschlagen, die der Familie Sulzberger die Kontrolle über die Zeitung ermöglicht. Als der Times-Konzern 1967 an die New Yorker Börse ging, wurde festgelegt, dass die Kontrolle des Unternehmens den Besitzern einer bestimmten Klasse von Aktien vorbehalten ist. Die meisten dieser Anteile stammten aus dem Erbe von Adolph S. Ochs, der die moderne Times 1896 gegründet hat. Sie gehören also dem heutigen Herausgeber Arthur O. Sulzberger jr., der ein Enkel des Zeitungsgründers ist.
Morgan Stanley versuchte im Frühjahr 2007, eine Revolte der Besitzer nichtprivilegierter Aktien zu inszenieren. Diese wurden von der Bank gedrängt, nicht für die Kandidaten zu stimmen, die der Times-Konzern für seinen Verwaltungsrat nominiert hatte. Wie Graham selbst zugab, ist er in dieser Sache allerdings nicht unparteiisch, denn auch bei der Washington Post gibt es privilegierte Aktien, die der Familie die Kontrolle über das Unternehmen sichern.
Zu dem, was sie heute ist, wurde die Post durch Eugene Meyer (selbst ein prominenter Wall-Street-Akteur), der die Zeitung 1933 bei einem Zwangsverkauf erstand. Als Meyers Enkelsohn ist Graham heute, obwohl das Vermögen seiner Familie an der Wall Street entstanden ist, deutlich besorgt darüber, wie gnadenlos die moderne Finanzwelt mit der Zeitungsbranche umspringt. Wer den Angriff von Morgan Stanley auf die Aktienstruktur der New York Times unterstütze, sagt Graham, belaste die Zeitung mit „wahnwitzigen Risiken“. Würde man die privilegierten Aktien abschaffen, würden „innerhalb Minuten die Käufer Schlange stehen“. Und die Interessenten wären nicht nur Kapitalbeteiligungsgesellschaften, sondern auch „Milliardäre mit großem Ego, internationale Medienkonzerne, denen noch ein berühmter Titel in der Sammlung fehlt und viele mehr“. Man würde die New York Times, so Grahams Prognose, „versteigern wie eine Rinderhälfte“. Russell Baker