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Archiv-Artikel

Der Kalif von Köln

Es geht nicht um ein böses Wort allein. Meisners Predigt ist Ausdruck eines religiösen Fundamentalismus

Den Nazis galt eine Kunst als „entartet“, die sich nicht auf den Boden des Völkischen stellen mochte Die Geschichte der Künste in Europa war eine des Kampfes gegen religiöse Vereinnahmung

VON DIRK KNIPPHALS

Die Aufregung ist berechtigt. Den Nazis galt eine Kunst als „entartet“, die sich nicht auf den Boden des Völkischen stellen mochte; so eine Kunst sei individualistisch, zersetzend und dekadent – lauteten zwischen 1933 und 1945 die Schlagworte. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat nun in seiner unseligen Aktualisierung des „Entartungs“-Begriffes schlicht den Referenzpunkt ausgetauscht.

Wie er in einem Festgottesdienst zur Einweihung des Kölner Kunstmuseums Kolumba predigte, gilt ihm eine Kultur als „entartet“, die sich von der Verehrung Gottes abgekoppelt hat. Mit Zustimmung nimmt man die vielen Protestnoten zur Kenntnis, die Repräsentanten unserer Gesellschaft gegen diese Äußerung abgeben, sei es Christdemokraten wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann und der Bundestagspräsident Norbert Lammert, der Präsident der Berliner Akademie der Künste Klaus Staeck oder der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle. Dass mit „Entartung“ nicht operiert werden darf, gehört zum Konsens unserer Gesellschaft. Zum Glück ist das in den Reaktionen auf den Kardinal deutlich geworden.

Aber der Skandal geht über die Wortwahl hinaus. Kardinal Meisner hat mehr getan, als ein Wort zu verwenden, das zu Recht auf dem Index steht. Die zentrale Passage seiner Predigt lautet: „Vergessen wir nicht, dass es einen unaufgebbaren Zusammenhang zwischen Kultur und Kult gibt. Dort, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultur im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte.“ Selbst wenn Meisner eine andere Formulierung gewählt hätte, böte diese Ausführung Anlass genug für Empörung.

Denn man mag sich an vieles gewöhnt haben – auch an solche Sonntagsreden, die am tatsächlichen Besuch solch wunderbar profaner Kunstereignisse wie der Documenta oder zuletzt der Berliner MoMA-Ausstellung vorbeigehen. Aber nimmt man die Predigt auch nur einen Augenblick lang ernst, stellt man fest: Sie passt keineswegs zum Selbstverständnis einer modernen und liberalen Gesellschaft. Und so hilft es auch nichts, wenn Kardinal Meisner in einer Stellungnahme „Missinterpretation eines einzelnen Wortes“ bedauert. Der ganze Geist seiner Predigt atmet einen religiösen Fundamentalismus.

Dieser Geist liegt in der Kopplung von Kunst und Religion. Meisner sagt nichts anderes, als dass wahre Kunst nur diejenige Kunst ist, die Gott preist. Ein Taliban würde das kaum anders sagen. So sehr man in linksliberalen Kreisen normalerweise über solche Thesen die Achseln zuckt und zum Alltag übergeht, es ist durchaus an der Zeit, einmal festzuhalten: So eine Kopplung widerspricht nicht allein allem, was in Kunstführern steht und was Kunstlehrer ihren Schülern vermitteln sollten. Sie widerspricht auch der Basiserzählung der modernen Gesellschaft: der von der Emanzipation des Menschen.

So wichtig die Kirche jahrhundertelang als Mäzenatin der Kunst gewesen sein mag – die Grundlagen, auf der noch unsere Gesellschaft fußt, wurden geschaffen, als die europäischen Künstler den Zusammenhang zwischen Kultur und Kult aufkündigten und sich von der Gottesverehrung abkoppelten. Ein Renaissance-Kunstwerk wie den Florentiner „David“ von Michelangelo, das den Mensch frei und nackt und ohne Angst vor transzendentaler Obdachlosigkeit zeigt, könnte Meisner noch trickreich in seine Argumentation einbauen. Der Mensch gilt ihm als Ebenbild Gottes, also ist die Verehrung des Menschen für ihn auch Gottesverehrung. Nur muss er darüber hinweggehen, dass die Darstellung menschlicher Schönheit und Selbstermächtigung gegen den erbitterten Widerstand der Kirche durchgesetzt werden musste.

Die Geschichte der Künste in Europa war eine Geschichte des Kampfes gegen religiöse Vereinnahmung – so wie die liberale Gesellschaft insgesamt gegen die Ansicht durchgesetzt werden musste, dass jede Herrschaft auf Gott fußen muss. Vollends die künstlerische Moderne passt nicht mehr in Meisners Schema, was sich in seiner Ablehnung von Gerhard Richters neuem Fenster im Kölner Dom zeigt. Dem Einweihungsgottesdienst für dieses Kunstwerk blieb Meisner demonstrativ fern, ein Akt der Ignoranz gegen die moderne Kunst – und gegen die moderne Welt. Denn erst eine Kunst, die – keinem Gott mehr, sondern nur ihren eigenen Maximen verpflichtet – immer auch über das abstrakte Zusammenspiel von Farben und Formen nachdenkt, passt zur modernen Gesellschaft.

Den Begriff „Entartung“ haben schließlich keineswegs die Nazis erfunden. Sie haben ihn übernommen aus der im ausgehenden 19. Jahrhundert virulenten Kritik an der Moderne, etwa des Schriftstellers Max Nordau. Als „entartet“ oder auch „degeneriert“ galten Nordau so unterschiedliche Künstler und Intellektuelle wie Tolstoi, Richard Wagner, Ibsen, Nietzsche oder Zola – ihre Werke wertete er als Symptom einer durch Verstädterung und Industrialisierung gesteigerten Nervosität.

Kardinal Meisners Begriff der „Entartung“ mag nun vielfältige Empörung auslösen. Mindestens ebenso fragwürdig aber ist die sich in ihm ausdrückende Sichtweise, Modernisierung und Liberalisierung vor allem als Krise und Verfall wahrzunehmen – wo es doch Errungenschaften und Emanzipationsgewinne zu registrieren und offenbar gelegentlich wieder gegen die Kirche zu verteidigen gilt. Einem Ritus ohne Kunst mag tatsächlich der Pfiff fehlen. Aber einer Kunst ohne Gott fehlt keineswegs die Mitte. Vielmehr ist erst sie in der liberalen Gesellschaft angekommen.

Der Originalwortlaut der Predigt ist nachzulesen unter www.erzbistum-koeln.de