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Archiv-Artikel

Am Ende mit der Geschichte

Das einzigartige Tourismusprojekt Erlebniswelt Renaissance verteilt sich auf sechs Standorte im Weserbergland und ist 2005 an den Start gegangen. Sein Herzstück, das Hochzeitshaus Hameln, wird jetzt wegen Besuchermangels abgewickelt

IN DER ABWÄRTSSPIRALE

Nachdem die Erlebniswelt Renaissance aufgrund baulicher Probleme weder, wie ursprünglich vorgesehen, am 1. Mai noch am Ersatztermin 30. Juli 2005 die Pforten öffnen konnte, geht man in Hameln am 1. September an den Start – mit Beginn der Nachsaison. Dem Vernehmen nach hat es im Vorfeld der Bundestagswahl Druck aus Hannover die Entscheidung forciert. Bei der Präsentation erweist sich das als Fehler: Die e-guider funktionieren nicht. Der Aufsichtsrat stellt dem Generalunternehmer ein Ultimatum: Bis 1. Dezember müsse eine intakte Technik bereit gestellt sein. Der allerdings meldet zuvor Insolvenz an. Ein Nachfolger wird mit einer neuen Lösung beauftragt – und meldet am 16. März 2006 Konkurs an. Als im Herbst das Equipment läuft, befindet sich die EWR bereits in finanzieller Schieflage – und das Image lädiert. Trotzdem beschließen Land und Kreise als Gesellschafter, das aufgelaufene Defizit von 1,3 Millionen Euro auszugleichen. TAZ

aus Hameln BENNO SCHIRRMEISTER

Am Morgen nach der Kreisausschusssitzung sind die Angestellten in Schwarz gekommen, alle. Das sei nicht abgesprochen gewesen, sagt Danuta Wichmann an der Kasse der Erlebniswelt Renaissance (EWR) im Hamelner Hochzeitshaus. „Wir waren alle da“, die gesamte Belegschaft. Tränen sind geflossen: Zur Insolvenz des gesamten Tourismus-Projekts ist es zwar nicht gekommen. Aber das „Renaissance-Zentrum“ im Hochzeitshaus – das Herzstück der EWR – wird liquidiert, seinen 20 MitarbeiterInnen wurde gekündigt. Der 30. September ist ihr letzter Arbeitstag. Und was dann?

Die EWR ist ein einzigartiges Projekt, nicht nur weil sie sechs Standorte im Weserbergland miteinander verbindet, Hameln, Bevern, Bückeburg, Rinteln, Stadthagen und – sogar Landesgrenzen werden überwunden! – Höxter. Mit den Planungen wurde 2001 begonnen, den offiziellen Startschuss gab im Sommer darauf die damalige niedersächsische Wirtschaftsministerin Susanne Knorre (parteilos). Ihr Nachfolger Walter Hirche (FDP) hat das Baby mit Freuden adoptiert, EU und Bund förderten mit Millionen-Summen. Denn: Hauptwirtschaftszweig im Weserbergland ist der Fremdenverkehr. Die Touristenzahlen allerdings sind rückläufig. Das Konzept: Die baulichen Relikte der Weser-Renaissance einerseits herauszuputzen. Und sie durch elektronische Führungen aufzupeppen: Der Besucher erhält einen so genannten E-Guider, setzt sich Kopfhörer auf, und das GPS-gesteuerte Gerät spielt, je nachdem, wo man gerade ist, ein Hörspiel ab.

Zum Beispiel im Hochzeitshaus. Zwischen 1610 und 1617 hat das der Rat der Stadt Hameln errichten lassen. Ein prächtiges Bauwerk in der City. Nur: Innen war es 2001 marode, außen dringend sanierungsbedürftig. Also hat man es komplett entkernt, die Fassade restauriert und ein neues Haus hineingesetzt – ein Science-Center zum Thema frühe Neuzeit. „Damals“, erinnert sich der Chef der SPD-Kreistagsfraktion, Ulrich Watermann, „waren alle besoffen von Expo- und Autostadt-Erfolgen.“ Tourismus-ExpertInnen prophezeiten der neuen Hamelner Attraktion bis zu 400.000 Gäste jährlich. Schlagzeilen machte das Projekt nach der Eröffnung im September 2005 allerdings nur dadurch, dass die Technik nicht funktionierte. In den Griff bekommen hat man das Problem erst im Frühjahr 2007 – nicht aber die abschreckende Wirkung: Die Besucherzahl wird dieses Jahr die 10.000er-Marke nicht überschreiten. „Wir waren“, sagt EWR-Geschäftsführer Holger Rabe, „in einer Abwärtsspirale.“

An der Optik hat es nicht gelegen. Das Innere des Hochzeitshauses hat man in einem zeitlosen Mix von futuristischer und historisierender Ästhetik gestaltet: In Stellwände aus Plexiglas sind Leuchtschleifen eingelassen, Reprisen von Renaissance-Darstellungen, Luther, Kronen, ein Segelschiff. Das Licht changiert von violett über orange zu neonweiß. Themeninseln sind in Comic-Manier gestaltet: Eine Galerie lebensgroßer Porträts Hamelner Bürger etwa. Jeden von ihnen hat es gegeben, liebevoll hat man die Lebensläufe rekonstruiert, und sie dann in eine Erzählung gegossen, die nun über den E-Guider ertönt. Ein frühneuzeitliches Teleskop simuliert ein großes Panorama der Stadt. Davor eine Säule mit Plexiglas-Halbkugel – wer die Hand darauf legt, zoomt ins Bild hinein, in eine Alltags-Szenerie des 16. Jahrhunderts. Zum Beispiel gerät ein Bettler vorm Wirtshaus in den Blick. Über Kopfhörer lamentiert es: „Geizhälse!“, die Figur hält die Hand auf, „wenigstens einen Gulden oder ein Stück Brot“, könne man ihm geben. Naja. Vielleicht gehört man nicht zum Zielpublikum. „Die Besucher, die gekommen sind“, sagt Rabe, „waren zufrieden.“

Bloß waren es jährlich etwa 100.000 zu wenig: Jeder Betriebstag des Hochzeitshauses hat Kosten verursacht. „Zur Liquidation“, sagt Watermann, „gab es keine Alternative“. Der Beschluss fiel einstimmig: Die Mehrheitsgruppe aus CDU, FDP und Wählergemeinschaft hatte zwar ursprünglich öffentlichkeitswirksam gefordert, sich ganz aus dem Projekt zu verabschieden. Aber dann hatte das Wirtschaftsministerium in Hannover die lokalen Akteure daran erinnert, dass Insolvenz wahrscheinlich bedeute, dass der Kreis die EU-Gelder zurückzahlen muss: Über zehn Millionen Euro. „Das“, sagt CDU-Fraktions-Chef Otto Deppmeyer, „wollten wir nicht verantworten.“

Liquidation heißt: Die aufzulösende Gesellschaft verabschiedet sich aus dem laufenden Geschäft – und möglicherweise übernimmt eine andere Gesellschaft die Tätigkeit. Als Träger käme ein Verbund von Kommune und Kreis in Frage. Bislang hat die Stadt Hameln jede Beteiligung abgelehnt. Allerdings: Ihr gehört das Haus. Die Ausstellung daraus zu entfernen und das Gebäude einer neuen Nutzung zu überführen würde, so gehen die Schätzungen, neue Umbaukosten von rund 1,5 Millionen Euro verursachen.