: Missbrauchs-Lehrer durfte weitermachen
PROZESS Das Amtsgericht Hannover verurteilt einen Grundschullehrer wegen Kindesmissbrauchs. Die Opposition fordert Aufklärung: Der Mann war schon 1993 aktenkundig, unterrichtete aber bis 2011
Zu zwei Jahren Haft auf Bewährung hat das Amtsgericht Hannover am Dienstag einen Grundschullehrer wegen sexuellen Missbrauchs und sexueller Nötigung in 72 Fällen verurteilt. Der mittlerweile pensionierte Lehrer hatte zugegeben, Anfang der 1990er Jahre eine damals siebenjährige Schülerin im Klassenzimmer missbraucht zu haben.
In „mindestens wöchentlicher Frequenz“ hat der heute 57-Jährige das Mädchen laut Anklage auf den Schoß genommen, am Oberkörper unter der Kleidung berührt und gekniffen. Ein „absoluter Tabubruch“, betonte der Staatsanwalt: Gerade die Schule sei ein Raum, „der für Kinder und Eltern als sicher gilt“, besonders an Grundschulen seien die Lehrer Vertrauenspersonen. Angeklagt war der hannoversche Lehrer ursprünglich in 144 Missbrauchs-Fällen an zwei Schülerinnen. Die Hälfte ließ das Gericht fallen – wegen Verjährung.
Das Urteil wird auch den Kultusausschuss des Landtags am Freitag beschäftigen. Eine Aktennotiz zu dem Verurteilten hat es bereits vor 18 Jahren bei der niedersächsischen Landesschulbehörde gegeben: Eltern hatten sich über „Distanzverletzungen“ beschwert. Damals, erklärt die Sprecherin der Landesschulbehörde, Susanne Strätz, sei mit allen Beteiligten gesprochen worden. Die Vorwürfe hätten sich aber nicht erhärtet, der Mann sei schließlich an eine andere Schule versetzt worden und seitdem nicht mehr aufgefallen. Unterrichtet hat er bis zu den Sommerferien 2011, dann wurde er frühpensioniert – aus gesundheitlichen Gründen, nicht aber wegen der Ermittlungen gegen ihn.
Ein Vorgang, der bei Grünen-, SPD- und Linksfraktion „drängende Fragen aufwirft“. Die Linken-Bildungspolitikerin Christa Reichwaldt fordert Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) auf, darzulegen, „wie konsequent er bei der Bekämpfung von sexuell motivierten Übergriffen auf Grundschulkinder wirklich ist“. Seit April 2010 muss die Landesschulbehörde Disziplinarmaßnahmen mit sexuellem Hintergrund an das Ministerium melden. Althusmann hatte sich zudem dafür ausgesprochen, Lehrer im Verdachtsfall grundsätzlich zu suspendieren.
Über die Ermittlungen gegen den Lehrer hatte die Polizei die Landesschulbehörde bereits 2010 mündlich informiert. Da es keine aktuellen Beschwerden gab, habe man „keine Handhabe“ gehabt, sagt Sprecherin Strätz. Eine offizielle Mitteilung der Staatsanwaltschaft sei erst im Juli 2011 gekommen – als der Mann schon in Frühpension war. Kritisch sieht Strätz einzig das Vorgehen vor 18 Jahren: „Heutzutage“, sagt sie, „würde man mit solchen Beschwerden komplett anders umgehen.“ THA