: Remixen als Kunst des Understatement
Der DJ Ewan Pearson ist einer der begehrtesten Remixer unserer Tage. Für sein neues Album „Piece Work“ hat er seine Arbeiten zusammengestellt
„Einen Remix zu machen ist, wie mit Lego zu spielen. Aufgrund der technischen Möglichkeiten heutiger Musikprogramme bekommst du den Originaltrack in Einzelteilen zugesandt. Drums hier, Basslauf da, Gitarre A, B und C. Alles einzeln und zum Neuzusammensetzen. Ich liebe es. Es ist wie Weihnachten. Und du bekommst das große Lego-Set geschenkt.“ Ewan Pearson hat gerade eine Doppel-CD mit 21 Lego-Tracks vorgelegt. Auf „Piece Work“ (Studio K7) versammelt er Remixe von Künstlern wie Depeche Mode, Chemical Brothers, Franz Ferdinand, Goldfrapp oder den Pet Shop Boys. Für Ewan Pearson ist im Schnitt sechsmal im Jahr Weihnachten. So viele Mixe macht der gebürtige Engländer, der nun seit fünf Jahren in Berlin wohnt, in 365 Tagen.
In einem Café am Wasserturm in Prenzlauer Berg, wo schreiende Kleinkinder den Sound des Viertels prägen, sitzt Pearson an einem Tisch, in der Hand ein Buch über Mathematik. Das habe ihn mal wieder interessiert. Mit seinem grau melierten Haar, schicken Seidenschal und dem feinen Sakko schaut er eher aus wie ein Literat. Dazu trinkt er grünen Tee aus der Kanne. Was wie eine gekonnte Selbstinszenierung wirkt, bildet aber wohl die Realität ab. Der Technoproduzent hat Literatur studiert und 1999 mit „Discographies“ auch ein Buch herausgebracht, das Dance Music mit Theorie zusammendachte. Pearson wäre beinahe Akademiker geworden, ist aber dann, so könnte man sagen, in der Diskothek versackt. Von dort schreibt er eine Kolumne für das Musikmagazin Groove. Er hat den Großteil des letzten The-Rapture-Albums produziert und das Soloalbum von Tracy Thorn, der Sängerin von Everything But The Girl. Mit Al Usher macht er als Partial Arts eigene Musik. Bekannt ist er aber für seine Remixe.
Bei einem Pearson-Remix denkt man zuerst: Och, ein bisschen langweilig ist das. Schon das Ausgangsstück ist in der Regel eher bolzender Pop, und Remix scheint außer einem 4/4-Beat wenig Neues zu enthalten. Tatsächlich begreift man einen Pearson-Remix langsam, das braucht Zeit, denn was da passiert, ist, dass da eben nicht viel passiert. „Es geht mir darum, einen neuen Kontext zu erschaffen, doch die Stimmung des Originals zu erhalten.“ Das geht manchmal gar nicht gut, wie bei dem schon zu perfekten Ausgangsstück „No Gravity“ von Closer Music. Oft funktioniert es aber wunderbar, wie bei Goldfrapps „Ride A White Horse“, das er auf 15 Minuten ausdehnt und neu ausleuchtet.
„Ich komme aus der Disco-Tradition, in der man auch im Remix das Ausgangsstück bewahrt, in der es einen Vocal-Mix gibt, einen Instrumental-Mix, der gar nichts macht, außer die Vocals wegzulassen, und den Dub-Mix, der am meisten mit der Struktur spielt“, sagt Pearson. „Man kann bei einem Mix nie komplett machen, was man will. Es ist ein Zwischenraum. Und es gibt nie den Punkt, vor einem leeren weißen Blatt zu sitzen. Doch ich habe Hoffnung, dass es irgendwo irgendwann irgendwie Kunst ist, was ich mache.“
Für viele Musiker und Produzenten bedeutet das Remixen überhaupt eine eher zweifelhafte Tätigkeit, in der Major-Plattenfirmen Songs von bekannten DJs aus bloßer Marketingstrategie zu Clubhits verfeinern lassen.
„Es ist ein zynisches, kommerzielles Marketingding, aber es gab in der Vergangenheit Leute, die diesen Rahmen genommen haben und eine völlig neue Kunstform daraus gemacht haben. Und auch heute gibt es wieder eine Gruppe von Produzenten, die in der Tradition alter Discogrößen wie Larry Levan oder des Erfinders des Mixes, Tom Moulton, an die Songs gehen.“
In den letzen Jahren war das DJ-Duo DFA hier wohl am prägnantesten. Zu Beginn dieses Jahrhunderts gab es mit seinen Remixen den Anstoß zu einem ganzen Genre, dem Dance-Punk. Geistesverwandt sind die Norweger Lindstrom und Prins Thomas, die anhand ihrer Remix-Arbeiten eine verschobene Space-Disco wieder aufleben lassen. Pearson bleibt bei seinen Mixen näher am Original, drückt nicht seinen Stil auf. Wie auch im Gespräch lenkt er von sich selbst ab und ist um Unauffälligkeit bemüht. Statt sein Innerstes herzuzeigen, lässt er lieber anderes durch sich sprechen, schweift in Discotradition und Poptheorie ab. Manchmal denkt man, er hätte mehr wagen können.
Für Rock-Traditionalisten bleibt sein Modell eine harte Nuss. Pearson ist Fulltime-Musiker, seine Aufgabe ist aber das Mixen, das Auswählen, Auf- und Zusammenlegen, die Archivarbeit, das Nebeneinanderstellen. Er montiert, collagiert, historisiert und spielt uns vor, sucht Verbindungen und kontextualisiert interessante Produkte neu. Damit gleicht er weniger dem intuitiven Gitarristen, der den Fuß fest auf der Monitorbox hat, als dem zeitgenössischen Konzept-Künstler. TIMO FELDHAUS