Gesamtschulen jetzt erwünscht

Ministerpräsident Wulff kündigt Lockerung des Gesamtschulverbots an, doch die nötige Gesetzesänderung ist erst für 2008 anvisiert. Gesamtschul-Inis fürchten Wahlkampfbluff

VON KAIJA KUTTER

Steter Tropfen höhlt den Stein. Die Proteste von Gesamtschulinitiativen haben Niedersachsens Landesvater Christian Wulff vier Monate vor der Landtagswahl zum Einlenken bewegt. Denn seit die CDU regiert, dürfen in dem Flächenland keine neuen Schulen dieses Typs gegründet werden. Vor Journalisten kündigte Wulff nun zu Wochenbeginn eine Lockerung an: „Dort, wo es bisher keine Gesamtschulen gibt und wo Kommunen als Schulträger diese unbedingt haben wollen, soll auch eine eingerichtet werden können.“

Die oppositionelle SPD kündigte daraufhin an, ihren erst kürzlich abgewiesenen Antrag zur Aufhebung des Gesamtschulverbots im November nochmals zu stellen. „Dabei sind wir gespannt, ob sich dann im Landtag die ideologischen Vorkämpfer gegen Gesamtschulen plötzlich vom Saulus zum Paulus wandeln“, sagte Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner.

Doch an eine generelle Aufhebung des strittigen Satzes im Schulgesetz, „neue Gesamtschulen dürfen nicht errichtet werden“, denkt die CDU-Regierung gar nicht. „Niedersachsen ist und bleibt ein Land des gegliederten Schulwesens“, sagt Georg Weßling, Sprecher von CDU-Kultusminister Bernd Busemann. Es gehe um die „Lösung von Einzelfallproblemen“, für die eine Gesetzesänderung nötig sei. Weßling: „Das ist vom Verfahrensablauf her vor der Wahl nicht mehr zu schaffen.“

Die Sache sei „so konkret nicht“, sagt der Sprecher. So kann er nicht sagen, ob Kommunen wie Hannover, die bereits Gesamtschulen haben, künftig eine weitere einrichten dürfen. Der Oberbürgermeister Stephan Weil hatte bereits angekündigt, das würde er gern tun. Obwohl es in der Leinestadt sechs Gesamtschulen gibt, müssen Jahr für Jahr rund 200 Schüler abgewiesen werden.

„Die reichen, um eine neue Gesamtschule zu gründen“, sagt Niels Johannsen von der GEW-Hannover. Im Norden und Süden der 500.000-Einwohner-Stadt gebe es einen Bedarf an Gesamtschulplätzen. Dort sowie in Oldenburg, Schaumburg, Gosslar und Braunschweig machten Gesamtschulinitiativen Druck, den Wulf jetzt aufweichen wolle. Johannsen: „Ob die CDU im Fall eines Wahlsieges das Gesetz ändert, ist für uns fraglich.“

Zumindest inhaltlich ist auch das Fachministerium alles andere als überzeugt von einer Kursabkehr. „Wenn man Bahn fahren will und der Zug ist überfüllt, hängt man zusätzliche Wagen an, ehe ein neuer Zug den Fahrplan durcheinanderbringt“, sagt Kultussprecher Weßling.

Ähnlich sei dies mit den Gesamtschulen in Hannover, die pro Schule nur vier bis sechs Parallelklassen (Züge) hätten, obwohl acht genehmigt seien. Auch könnten bis zu 32 Schüler in einer Klasse sitzen. Nutze man beide Faktoren, könnten in Hannover „mehr Schüler an Gesamtschulen aufgenommen werden als abgewiesen wurden“. Und in ganz Niedersachsen könnte man durch Achtzügigkeit an den 59 Gesamtschulen sogar 77 neue Klassen schaffen. Weßling: „Das sind etwa die 2.300 Schüler, von denen die GEW immer behauptet, dass sie nicht aufgenommen werden könnten“.

Für Niels Johannsen ist dies „wenig hilfreich“. Es gebe nur „eine Gesamtschule in Hannover, die noch Kapazitäten hätte, weil sie vierzügig ist“, sagt er. Dies sei aber eine Stadtteilschule, die aus pädagogischen Gründen kein „Großsystem“ sein wolle. Die übrigen hätten schon sieben, acht Züge und über 2000 Schüler.

„Das ist großer Blödsinn“, kommentiert auch GEW-Landeschef Eberhard Brandt die Ministeriumsäußerung. Die meisten Schulen könnten sich schon aus baulichen Gründen nicht vergrößern. Brandt: „Seit wann können Lehrer Klassenzimmer basteln?“ Es müsse jeder Kommune erlaubt sein, Gesamtschulen zu gründen, die für jedes Kind erreichbar sein müssten. Brandt: „Die CDU muss uns vor der Wahl sagen, was sie machen wird. Sonst ist das Bauernfängerei.“