„Vom Wal wird erzählt“

Die Theatersaison ist eröffnet: Heute feiert das Moks mit „Ahab“ im Brauhauskeller Premiere. Regisseur Heiner Fahrenholz erklärt, wie er ein Monstrum auf die Bühne bringt – und Moks-Leiterin Rebecca Hohmann verrät, was sich mit dem Intendantenwechsel fürs Kinder- und Jugendtheater geändert hat

REBECCA HOHMANN, Dramaturgin, arbeitet seit 1999 am Moks und hat 2004 dessen Leitung übernommen. HEINER FAHRENHOLZ lebt als freischaffender Regisseur und Bühnenbildner in Braunschweig.

Interview von BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Frau Hohmann, Herr Fahrenholz – die erste Moks-Premiere der Saison ist auch Ihr erster Auftritt im Brauhauskeller, oder?

Rebecca Hohmann: Das stimmt. Bei „Ahab“ hat sich das über die Disposition ergeben. Aber in der ganzen Saison findet, absichtlich, ein reges Spielstättentauschen statt. Für „Nachtblind“, unsere nächste Produktion, gehen wir sogar ins große Schauspielhaus. Und am 19. Oktober hat das Schauspiel-Ensemble bei uns seine erste Premiere.

Aber auch im Brauhauskeller bleibt für „Ahab“ das Grund-Problem: Die Bühne ist klein. Und der Wal ist groß.

Heiner Fahrenholz: Vom Wal wird erzählt. Auch das Buch ist ja nicht nur die Geschichte vom großen Fisch, der kein Fisch ist.

Sondern?

Fahrenholz: Der Roman ist in gewisser Weise selbst ein Monstrum – eine wüste Mischung literarischer Formen, von Erzählsträngen. Es handelt von Gott und der Welt – und eben vom Walfang. Wir haben auch etwas in Herman Melvilles Biografie gesucht und in Texten aus seinem Umfeld: Zum Beispiel haben wir eine Beschreibung seines Arbeitszimmers benutzt, dann war er als Matrose tätig, aber eben auch als Angestellter. Unsere Bühne ist so etwas wie ein Zitat seines Lebens, ein Arbeitszimmer mit einem Schuss Behörde. Der Darsteller erzählt die Geschichte, begibt sich in seine Erinnerungen, sein persönliches Archiv hinein.

Ein Einpersonenstück?

Ja, das ist ein Solo. Was es nicht einfacher macht.

Und der Wal…?

Fahrenholz: … taucht nicht selber auf.

Heißt das Stück deshalb nicht „Moby Dick“?

Fahrenholz: Ja, sicher, und auch um klarzumachen: Man kann diese Geschichte nicht nur mit großer Kulisse machen und 150 Darstellern, und es geht nicht nur um die Zentralgeschichte. Es ist die Mischung – die Seitenzweige, die wissenschaftlichen Einschübe, die Essays – die den Roman ausmacht. Melville hat mitunter die Neigung zu derben Späßen, ein paar davon machen wir mit. Dann gibt es Stellen von großer Tiefe und andere, da denke ich: Uiuiui, das ist jetzt aber ganz dicht am Kitsch.

Also erleben wir gar kein Abenteuer?

Fahrenholz: Doch, natürlich. Darum kann man die Zuschauer ja nicht betrügen. Darum kommt man nicht herum – und das will man auch gar nicht: Die Geschichte vom Wal ist zu erzählen. Aber wie – das hat uns gereizt.

Hohmann: Es ist eher ein inneres Erleben. Man begleitet einen Leser in das Buch. Ein wichtiger Aspekt ist ja die Begeisterungsfähigkeit, die man beim Lesen haben kann…

Also wäre das ein Stück, das Werbung fürs Lesen macht?

Fahrenholz: Vielleicht eher fürs Leben? Dass man sich nicht davon schrecken lässt, wenn die Formen mal schwieriger werden…?

Hohmann: Na, dass es aufs Buch neugierig macht, kann man schon sagen. Man wird danach neugierig – wie ist das jetzt im Roman, und es kann sein, dass man sich dann irgendwann, vielleicht Jahre später, sagt: Das möchte ich jetzt mal lesen.

Fahrenholz:Nichts gegen das Lesen, lesen ist prima. Aber den pädagogischen Anspruch, dass die Zuschauer jetzt alle Moby Dick lesen, habe ich nicht.

Anders formuliert: Die Dramatisierung versucht jedenfalls nicht, das Buch zu ersetzen.

Hohmann: Nein, das könnte Theater auch gar nicht.

Fahrenholz: Das Buch hat sicher 700 Seiten…

Hohmann: …eher 800!

Fahrenholz: Das bekommt man nicht in einer Stunde unter. Das ist ein ganz anderes Zeitangebot. Man wird nicht aus der Vorstellung rausgehen und denken: Das kann ich abhaken.

Hohmann: Das ist mit der Grund, weshalb wir beim Moks oft die großen Geschichten der Weltliteratur machen, den Werther zum Beispiel, oder jetzt den Moby Dick. Unser Ausgangspunkt ist es, die Geschichten zu erzählen, die wir selber wichtig und interessant finden. Und die Jugendlichen dafür zu begeistern.

Die Jugendsparte macht, mit der Oper, den Saisonauftakt: Zufall oder Zeichen?

Fahrenholz: Die Frage geht jetzt aber nicht an mich.

Hohmann: Darauf, dass das Moks nicht erst im November startet, waren wir immer bedacht. Wir hatten immer eine frühe Premiere. Aber es stimmt: Dass wir, die kleine Sparte, mit einer Uraufführung direkt neben dieser Riesenproduktion antreten, bei der sicher gut 100 Akteure beteiligt sind – das hat uns schon gefreut.

Und das Risiko, nicht wahrgenommen zu werden?

Hohmann: Das gibt es. Aber die Gleichzeitigkeit macht schon deutlich: Die Sparten existieren nebeneinander, alles hat seine Berechtigung und seine Qualität.

Heißt das: Intendant Hans-Joachim Frey nähme die Jugendsparte eher ernst als sein Vorgänger?

Hohmann: Pierwoß hat die Jugendsparte auch ernst genommen.

Naja, aber um im Schauspielhaus inszenieren zu dürfen, musste Ihr Vorgänger Klaus Schumacher erst nach Hamburg abwandern…

Hohmann: Auf jeden Fall kann man sagen, wir haben einen großen Vertrauensvorschuss erhalten. Und Jugendtheater bekommt einen sehr hohen Stellenwert. Das sieht man auch daran, dass neben unserem Programm die Sparten Schauspiel und Oper drei Jugendtheater-Produktionen machen.

Fahrenholz: Was mich als Theatermenschen immer verblüfft: Wie hartnäckig sich diese Unterscheidung hält. Hey, Leute, denke ich, es ist Theater. Es ist doch Quatsch, so zu tun, als ob das etwas komplett anderes wäre.

Hohmann: Ich glaube auch, dass so etwas eher von außen herangetragen wird. Das spiegelt sich auch darin, dass Jugendtheater oft nicht ernsthaft wahrgenommen wird. Oder gesagt wird: Das ist für Kinder, das muss niedlich sein. Hier arbeiten genauso professionelle Künstler wie in den anderen Sparten – und genauso ernsthaft. Es ist ja auch nicht so, dass unser Publikum sich nicht von uns ernst genommen fühlt.

Fahrenholz: Ich bin jedenfalls ein Anhänger davon, die Schubladen zu öffnen.

Aber auch Sie haben Altersbegrenzungen. Bei Ahab steht zum Beispiel im Spielplan: 12+.

Fahrenholz: Stimmt. Vielleicht befriedigt das ein Bedürfnis nach Orientierung…

Hohmann: Manchmal hat das für mich allerdings auch etwas von einer FSK-Grenze, ganz ehrlich. Beispielsweise, wenn körperliche Gewalt auf der Bühne eine Rolle spielt. Da denke ich schon: Das muss ein Fünfjähriger wirklich noch nicht sehen.