„Es wird zu viel Schrott produziert“

Wenn Beuys’ Filze mit einem japanischen Teehaus konfrontiert werden, scheint das zunächst abwegig. Doch darin steckt eine interessante Parallele zwischen westlicher Minimal Art und traditioneller japanischer Kunst. Der spürt jetzt das Kunstmuseum Wolfsburg nach

MARKUS BRÜDERLIN, 59, war bis 2005 Leitender Kurator der Fondation Beyeler, Basel. Seit 2006 ist er Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Brüderlin, Ihre Ausstellung arbeitet mit Elementen der Kunst des Zen-Buddhismus. Haben Sie eine religiöse Schau gemacht?

Markus Brüderlin: Nein. Es geht um Moderne Kunst, die wir der japanischen Ästhetik der Leere gegenüberstellen. Unsere Ausstellung konzentriert sich auf die Verwandtschaft zwischen minimalistischer Ästhetik und jener Reduktion, mit der die japanische Kunst arbeitet – vor allem in der Architektur. Schon für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts lassen sich da formale Analogien feststellen – zwischen Bauhaus und Teehaus sozusagen. Und das, obwohl moderne Architekten wie Gropius und van der Rohe immer behauptet haben, sie seien davon nicht inspiriert.

Sie glauben denen nicht?

In unserem Ausstellungskatalog versucht Manfred Speidel nachzuweisen, dass die Pioniere tatsächlich erst nach 1950 begannen, Japan zu rezipieren. Gropius zum Beispiel schrieb anlässlich eines Japan-Besuchs im Jahr 1953 an Le Corbusier, dass alles, wofür sie gekämpft hätten, in der alt-japanischen Kultur schon lange realisiert sei.

Schreiben Sie also die Kunstgeschichte neu?

Wir versuchen eine Neubetrachtung der Modernen Kunst aus der Perspektive japanischer Ästhetik. Denn zu Beginn des 21. Jahrhunderts finden wir es sehr angemessen, uns nochmals des Phänomens der Abstraktion und Reduktion anzunehmen.

Anhand welcher Beispiele demonstrieren Sie das?

Wir konfrontieren beispielsweise Paul Klee mit einer Teeschale aus dem 17. Jahrhundert und finden frappierend ähnliche Kalligraphien. Eine Vitrine von Joseph Beuys mit Filzanzügen steht einem mit Lehm verputzten Teeraum gegenüber. Diese Gegenüberstellung der rationalen Minimal Art und der intuitiv-rituellen Zen-Kunst birgt viele Überraschungen. Und vielleicht ist dies überhaupt eine Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts: die Synthese westlicher Aufklärung und östlicher Spiritualität.

Sie konfrontieren westliche Kunst mit östlichem Kunsthandwerk. Wollen Sie die im Westen sauber gezogene Grenze zwischen Kunst und Kunstgewerbe aufweichen?

Durchaus. Wobei ich etwas Ähnliches schon 2001 in der Schau „Ornament und Abstraktion“ in Riehen bei Basel gemacht habe. Da haben wir Pollock mit einem persischen Teppich konfrontiert und die Arabeske als Grundelement der abstrakten Kunst begriffen. Die Migration der Formen war also schon dort unser Thema. In Wolfsburg präsentieren wir den Gegenpol zum Ornament, das ja eher mit Fülle assoziiert wird: Wir widmen uns der Leere.

Aber welchen Erkenntnisgewinn bringt das reine Wissen um die Übernahme von Formen überhaupt?

Wenn Kunst wirkt, dann tut sie dies am überzeugendsten durch die Kraft und Klarheit von Formen. Und wir bereiten dieser Einsicht hier in Wolfsburg die entsprechenden klaren Räume. Der Rummel um die Kunst lässt diese immer mehr zu einem bloßen Kunstmarkt-Event verkommen. Und es braucht doch irgendwo ernsthafte Einrichtungen, die der Kunst den Respekt zurückgeben.

Sie haben einmal gesagt, dass die Ästhetik der westlichen Moderne eine stetige Annäherung an die japanische Kunst der Leere sei. Heißt das, dass die japanische Kunst der westlichen formal überlegen ist und man ihr nacheifern sollte?

Nein. Aber wenn man beobachtet, dass sich westliche Künstler immer wieder neu auf die östliche Leere und auf östliche Lehre beziehen, erkennt man, dass tatsächlich eine Annäherung stattfindet.

Trotzdem sind die beiden Kulturen nur bedingt vergleichbar. Muss eine solche Konfrontation nicht zwangsläufig an der Oberfläche verharren?

Nein. Unsere Schau lebt vom Prinzip der Analogie. Wir nähern Dinge einander an – und plötzlich blitzen Ähnlichkeiten auf. Im selben Moment werden aber auch die Unterschiede spürbar. Auf genau diese Spannung zwischen Verwandtschaft und Individualität zielen wir.

Sie veranstalten diese Schau in der Autostadt Wolfsburg. Ist sie als Gegenpol zur Konsumkultur konzipiert?

Durchaus. Es wird ja gerade im Kulturbereich immer mehr Schrott produziert, und man konstatiert allgemein ein Bedürfnis der Menschen nach Qualitätvollem, auch nach einer gewissen Ruhe. Dazu passt unser Japan-Garten, den wir vor ein paar Tagen als feste Einrichtung eröffnet haben. Da sind auch die Autoentwickler von VW durchaus willkommen. Hier können neue Ideen ausgebrütet werden, und ich bin sicher, dass das einen Innovationsschub hervorrufen wird.

In Richtung eines umweltfreundlichen Elektroautos zum Beispiel?

Ich weiß nicht, ob die Japaner speziell ökologisch denken. Ich bin kein Grüner, aber der schonende Umgang mit Ressourcen ist doch eine Selbstverständlichkeit.

Und diese Achtsamkeit sollen die hiesigen Autoentwickler in Ihrem Zen-Garten lernen?

Warum nicht. Bei der kontemplativen Konzentration geht es ja letztlich darum, den eigenen Horizont zu erweitern, die Dinge intensiver zu betrachten und das eigene Denken zu verändern.

In welche Richtung konkret?

Das muss jeder für sich selbst entscheiden.

„Japan und der Westen. Die erfüllte Leere“ ist von heute bis 13. 1. 2008 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.