: Lässig, gefällig, poetisch
Italienisches Design gefällt seit jeher mit seinen unbekümmerten Formen, die Distanz zum Rationalismus des Faschismus wahrten. Heute allerdings huldigt manch große Designer-Geste nur noch dem postmodernen Wir-sind-wer-Lebensgefühl
VON MICHAEL KASISKE
Italien ist ein Sehnsuchtsland. Auch was Gestaltung betrifft, welche stets geschmackvoll in Form, Materialität und Proportion erscheint. Wie italienische Reisegruppen, die wegen adretter Kleidung und gepflegtem Äußeren auffallen, freilich auch wegen einer zuweilen ignoranten Unbekümmertheit. Ein sich offensichtlich selbst genügendes Land mit einem Formgefühl, das eines ist: ansprechend.
Der Einzug der Formen aus Südeuropa in Deutschland begann in der Nachkriegszeit, als Italien sich dem „Belle Design“ hingab – und auch der Schauspielerin Lollobrigida, in aller Munde als „Gina nazionale“ bekannt. Sie war in persona attraktives Image für die aufblühende Wirtschaft jenseits der Alpen.
Mit dem spielerischen und gefälligen Charakter entsprach die an menschlichen und poetischen Fähigkeiten reiche „Schöne Formgebung“ dem Aufschwung im Norden Italiens, der zur Politik und zur rationalistischen Gestaltung des Faschismus Distanz wahrte. Zeitgleich wurde hierzulande hingegen etwa den Produkten der Ulmer Hochschule für Gestaltung, die sich auf das Bauhaus berief, die Form um der Form willen ideologisch nahezu versagt – sie sollten allein ihrer Funktion gerecht werden.
Am überzeugendsten zeigt die italienische Formgebung ihre Freiheit bei Autos. Das Überzeugen gleichermaßen durch Vision und Eleganz mag in dem seit der Antike ungebrochenen Hang zur prominenten Allüre begründet sein. „Das italienische Design“, erläutert der Architekt Vittorio Gregotti, „ist imstande, durch eine brillante ästhetische Lösung die Lücken zwischen Entwicklungsstand und Produktion weitgehend zu schließen, da sie oft auf Improvisation zurückgreift.“
Dieses dynamische Handeln hat seine Basis in der Struktur überwiegend mittelständischer, familiengeführter Unternehmen. Kaum jemand weiß, dass die beiden erfolgreich nach der Ölkrise 1974 entwickelten Massenprodukte Volkswagen Golf und Fiat Panda außerhalb der Konzerne beim Karosserie-schneider Italdesign entstanden sind. Was sich auf die Möbelindustrie übertragen lässt, denn die bei Fachmessen so eloquent und weltläufig auftretenden Firmen gleichen eher Manufakturen als Industrieunternehmen.
Bei ihrer überwiegenden Zahl stand lange Zeit ein Patriarch vor, der bis zur Etablierung firmeneigener Designabteilungen die unangefochtene Position als Trendgeber innehatte. Das „Belle Design“ verhalf vielen dieser heute weitsichtig erscheinenden Männer zum Erfolg, wie den Gebrüder Cassina oder den drei Pirelli-Managern, die Arflex gründeten. Das auf den Norden beschränkte ökonomische Wachstum durch die Möbelindustrie wurde jedoch auch als kaltschnäuzig gegenüber dem Rückstand des Südens empfunden. „Dieses ‚Realismusgebot‘ trug dazu bei“, so Gregotti, „dass das Design einige Jahre lang bei der ‚höheren‘ Kultur, vor allem bei der Kulturpolitik der Linken, in den Verdacht geriet, eine im Wesentlichen systemerhaltende Tätigkeit zu sein.“
Die gefälligen Produkte widersprachen durch beliebige formale Anleihen jedoch auch zunehmend dem Anspruch jüngerer Architekten auf die Gestaltung eines besseren Lebens. Deshalb reüssierten Ende der 1960er-Jahre Gruppen wie Superstudio oder Archizoom mit ironischen oder visionären Objekten, die als „Architettura Radicale“ bekannt wurden. Darunter der keilartige Sessel namens „Mies“ und das weltumspannende „Unendliche Monument“, das heute wie ein zeichenhafter Vorläufer der Globalisierung erscheint.
Die jungen Gestaltungsrevolutionäre machten sich zunutze, dass bereits der Büromaschinenhersteller Adriano Olivetti das Produktdesign als Ikone eingesetzt hatte; er hatte früh erkannt, dass dem Image die gleiche Bedeutung wie dem Nutzen eines Produktes beizumessen ist.
Seine überzeugendste Position erlangte italienisches Design um 1970 mit der Synthese aus einer Antihaltung mit der Funktionserfüllung. Sofas wie „Superonda“, das Erwachsene zu vielfältigen Sitz- und Liegepositionen auffordert und für Kinder ein beliebtes Spielobjekt darstellt, wurde von Archizoom im strapazierfähigen Plastikbezug vorgestellt. Ein Mitglied der Gruppe, Paolo Deganello, entwarf kurz danach den Sessel „AEO“, der wie eine Improvisation aus Flugzeugsessel und Zelt erscheint. Oder das Sofa „Anfibio“, das Alessandro Becchi ersann: Ein Objekt, das wie eine den Matratzenlagern der Hippies entsprungene Form daherkommt und an Lässigkeit kaum zu überbieten ist.
Die Energiekrise und die zunehmende innenpolitische Zerrüttung führten schließlich zum „Razionalizmo“ zurück, jener Richtung, die während des Faschismus entstanden war; aufgrund ihrer Modernität war sie nicht in dem Maße diskreditiert wie der Neoklassizismus in Deutschland. Dass diese Rückbesinnung auf die große Geste allerdings zum postmodernen „Gequatsche“ führen würde, war nicht zu erwarten gewesen. Das Lebensgefühl „Wir sind wer“ schlug sich in allerlei imposantem Schnickschnack nieder. Selbst der Architekt Aldo Rossi, einst im linken Spektrum verortet, ließ sich zu Tischgeräten hinreißen, die in keinem Architekturbuch auftauchen mögen.
„Leben und Weben ist hier, aber nicht Ordnung und Zucht“, so brachte Johann Wolfgang von Goethe die Differenz Deutschlands zu Italien seinerzeit auf den Punkt. Im Sehnsuchtsland, immerhin das mit der höchsten Architektendichte, geht es bis heute darum, eine „bella figura“ zu machen. Vielleicht erliegen die in Sachen Formgebung als übertrieben rational und funktional verschrienen Deutschen deshalb immer wieder der Leichtigkeit der Italiener.
Bezugsquellen für italienische Möbel in Berlin: dopo_domani, Kantstr. 148, Berlin-Charlottenburg, Tel. (0 30) 8 82 22 42, www.dopo-domani.de. Modus, Wielandstr. 27–28, Berlin-Wilmersdorf, Tel. (0 30) 8 89 15 60, www.modus-moebel.de. Kollwitz 45, Kollwitzstr. 45, Berlin-Prenzlauer Berg, (0 30) 44 01 04 13, www.kollwitz45.de